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211. Karl Leonhard Reinhold an Baggesen

Kiel, den 25. Juli 1795.

Schon vor der Ankunft Deines lieben beruhigenden Briefes war ich, und größtentheils wol durch die Gründe beruhigt, die ich Dir in dem meinigen vorlegte, und die durch den Deinigen vielmehr bestätiget und weiter auseinandergesetzt als aufgehoben sind. Daß aber das peinliche Gefühl des unerwartet theils gegestörten und beschränkten, theils gänzlich eingebüßten Genusses, den mir die Freundschaft für diesen Sommer zugedacht hat, durch alle möglichen Vernunftgründe nicht vertilgt werden – daß es nur allmälig sich verlieren könne, das begreifst Du so gut als ich, und siehst daher die kleine Äußerung dieses Gefühls für das, was sie war, für eine Ergießung und Erleichterung des Herzens an, die der Freund dem Freunde nicht nur erlaubt, sondern von ihm erwartet. Also zwischen uns ist und bleibt es beim Alten. Nur ein Paar mögliche Misverständnisse muß ich zu heben suchen; und dann kein Wort mehr über die ganze Sache.

»Riefst Du mich nicht,« schreibst Du, »selbst auf, so zu handeln, wie ich handelte?« Ja wohl! aber unter der Voraussetzung, daß Du dem Herzog sagen würdest, daß für Euch Alles hier in Kiel bereits durch mich veranstaltet worden sei, und daß der Herzog nach dieser Erklärung gleichwol durch die Ablehnung seiner Einladung betrübt werden würde. Unter dieser Bedingung hielt ich's freilich für Pflicht. Hast Du das Eine, bevor Du die Einladung annahmst, gesagt, und darauf aus der Antwort des Herzogs das Zweite geschlossen, dann kannst Du mit Recht schreiben, daß Du nach meiner eigenen Uberzeugung nichts als Deine Pflicht gethan habest. Außerdem hat Dir Deine Phantasie den Streich gespielt, mit dem mich selbst die meinige oft genug täuscht: das Übergewicht eines Wunsches über einen anderen Wunsch, welches Du Dir aus freundlicher Gutherzigkeit für mich nicht selbst eingestehen wolltest, für Bestimmung durch Pflicht auszugeben. Aber auch in diesem Falle habe ich Dir nichts zu verzeihen. Kömmst Du einmal dahinter, daß es so zugegangen ist, und du gestehst mir's offenherzig: so werde ich Dich dafür vielleicht noch mehr achten und höher schätzen.

Nein, Lieber! – Die größere äußere Kälte an Dir ist's nicht, was ich an Dir liebe – und die größere äußere Wärme ist's nicht, was Du an mir liebst. Du verwechselst die Rollen, die uns die Natur angewiesen hat. Vielleicht könnte ich dazu beitragen, Deinen Kopf abzukühlen, aber Dein Herz erwärmen kann ich nicht, wenn es erkältet werden sollte. Dies war bisher der wichtige Dienst, den mir Deine Freundschaft leistete. Mein Herz ist und war nie kalt, aber doch viel weniger warm, als das Deinige Deiner ganzen übrigen Idividualität, Deiner äußern Lage u. s. w. nach sein kann und soll. Bist Du aber nicht vielleicht innerlich kälter geworden, als Du sonst warst? O! ich finde es nach deinen Erfahrungen, seitdem wir uns im Sommer 1793 getrennt haben, eben so verzeihlich als begreiflich. Aber wenn Dieses unschädlich ablaufen soll, so mußtest Du der Sache im Innersten Deines Ichs auf den Grund kommen.

Mit der letzten Post hat meine Frau Briefe aus Weimar erhalten. In einem heißt es: »Ich habe diesen Morgen einen sehr poetischen Brief von Baggesen erhalten, zu dessen Beantwortung mir es an Zeit und Lust fehlt.« Ich sehe noch zu dunkel in den Veranlassungen dieser kalten Äußerungen eines früher so schönen Verhältnisses, als daß ich schon jetzt etwas zur Wiederherstellung desselben beitragen könnte. Die Zeit wird mehr für Dich thun, der ich Dir in dieser Sache Alles zu überlassen anrathen möchte. Bei Wieland ist es wol nur dépit amoureux. Indessen, lieber Baggesen, wenn Dich die Menschen hassen, weil Du ihnen nicht immer wie ein Gott erscheinen kannst, wenn Dich die Götter – die Du allenthalben zu Hause und auf Reisen aus allen ungewöhnlichen Menschen machst – verlassen – Orest!

ich bin Dein Freund
Pylades R.

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