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291. Heine an Rudolf Christiani

Göttingen, den 26. Mai 1825.

Wenn es in der ganzen Christenheit irgend einen Menschen gibt, der Ursache hat mit mir unzufrieden zu sein, so ist es der Doktor Christiani in Lüneburg. Was wollen Sie mehr als dieses offne Geständnis? Nun schlagen Sie in der Carolina nach und bestimmen Sie meine Strafe. Doch diese wird nicht allzu hart ausfallen. Denn erstens weiß ich, daß ich bei Ihnen noch in großer Gunst stehe, zweitens wissen Sie, oder besser gesagt, Ihr Selbstbewußtsein sagt Ihnen, daß ich oft genug an Sie denken muß, daß Briefschreiben überhaupt so eine ganz eigene Sache ist, und daß oft Halbfreunde oder sogar Scheinfreunde sich täglich schreiben und wahre Freunde nur selten, manchmal sogar nie. Über letzteres ließe sich wohl eine große, höchst schmerzliche Dissertation schreiben.

Aber dieses alles will ich nicht zur Entschuldigung gebrauchen, sondern bloß einen physischen Zustand und dessen Einwirkung auf meine Gemütsstimmung. Ich war nämlich den ganzen Winter krank, und jetzt leide ich an allmählicher Genesung.

Den vorigen Sommer sah es auch nicht sehr glänzend mit meiner Gesundheit aus und obendrein lag auf mir die Zentnerlast der Pandekten. Meine Erholung waren kalte Bäder, Chronikenstudium, Skandäler, Shakespeare, Ulrichs Garten, sowie auch einige Pfuschereien im Gebiet der Literatur. Letzteres war aber sehr unbedeutend, Ausarbeitung einer Memoirenpartie, Anfang eines Romans und einige kleine Köter von malitiösen Gedichten. Den Herbst machte ich eine Fußreise nach dem Harz, den ich die Kreuz und Quer durchstreifte, besuchte den Brocken, sowie auch Goethe auf meiner Rückreise über Weimar. Ich reiste nämlich über Eisleben, Halle, Jena, Weimar, Erfurt, Gotha, Eisenach und Kassel hierher wieder zurück. Viel Schönes habe ich auf dieser Reise gesehen, unvergeßlich bleiben mir die Täler der Bode und Selke. Wenn ich gut haushalte, kann ich mein ganzes Leben lang meine Gedichte mit Harzbäumen ausstaffieren. –

Über Goethes Aussehen erschrak ich bis in tiefster Seele, das Gesicht gelb und mumienhaft, der zahnlose Mund in ängstlicher Bewegung, die ganze Gestalt ein Bild menschlicher Hinfälligkeit. Vielleicht Folge seiner letzten Krankheit. Nur sein Auge war klar und glänzend. Dieses Auge ist die einzige Merkwürdigkeit, die Weimar jetzt besitzt. Rührend war mir Goethes tiefmenschliche Besorgnis wegen meiner Gesundheit. Der selige Wolf hatte ihm davon gesprochen. In vielen Zügen erkannte ich den Goethe, dem das Leben, die Verschönerung und Erhaltung desselben, sowie das eigentlich praktische überhaupt, das Höchste ist. Da fühlte ich erst ganz klar den Kontrast dieser Natur mit der meinigen, welcher alles Praktische unerquicklich ist, die das Leben im Grunde geringschätzt und es trotzig hingeben möchte für die Idee. Das ist ja eben der Zwiespalt in mir, daß meine Vernunft in beständigem Kampf steht mit meiner angeborenen Neigung zur Schwärmerei. Jetzt weiß ich auch ganz genau, warum die Goetheschen Schriften im Grund meiner Seele mich immer abstießen, so sehr ich sie in poetischer Hinsicht verehrte und so sehr auch meine gewöhnliche Lebensansicht mit der Goetheschen Denkweise übereinstimmte. Ich liege also in wahrhaftem Kriege mit Goethe und seinen Schriften, so wie meine Lebensansichten in Krieg liegen mit meinen angeborenen Neigungen und geheimen Gemütsbewegungen. – Doch sein Sie unbesorgt, guter Christiani, diese Kriege werden sich nie äußerlich zeigen, ich werde immer zum Goetheschen Freikorps gehören, und, was ich schreibe, wird aus der künstlerischen Besonnenheit und nie aus tollem Enthusiasmus entstehen.

So bist du denn der ganzen Welt empfohlen,
Das übrige brauch' ich nicht zu wiederholen.

Es ist aber spaßhaft, wie ich immer und überall, und ging ich auch nach der Lüneburger Heide, zu Erzgoethianern komme. Zu diesen gehören auch Sartorius und seine Frau, vulgo geistreiches Wesen genannt, mit denen ich hier am meisten verkehre. Ich brachte ihnen Grüße von Goethe, und seitdem bin ich ihnen doppelt lieb. – Es gibt sogar unter den Studenten Goethianer.

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