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286. G. H. Schubert an Kerner

1844.

Mein geliebter, brüderlicher Freund!

Hat irgend jemand Geduld und Nachsicht mit mir getragen, so bist Du es. Du Herz voll Liebe, auch gegen solche, die Deine Liebe nicht verdienten. Ich würde es mir selber nicht glauben, wenn die Zeitangabe der Briefe es nicht bezeugte, daß ich auch in jüngster Zeit wieder wie ein Stummer mich gegen Dich benommen habe und wie ein Tauber, der kein Wort der Rede auch aus Freundesmunde vernehmen kann. Wahr ist es nun wohl, ich bin in diesem Sommer und angehenden Herbst leiblich so leidend und abgespannt, daß es mir war, als ob alle Schwächen und Gebrechen des Alters (ich bin fast 72 Jahre alt) auf einmal wie eine Flut, die ihren Damm durchbrach, über mich ausgegossen werden sollten, dabei ließ mir der übermächtige Arbeitsdrang immer noch keine Ruhe, obgleich er mir die letzten Kräfte vollends aussog und mich so matt machte, wie der Furor divinus des Instinkts das Welschhuhn macht, wenn dieses über dem Eifer des Brütens das Futter und die Bewegung so ganz vergißt, daß ihm seine Füße darüber ganz verlahmen oder verstauchen.

Gott vergelte Dir Deine christbrüderliche und väterliche Teilnahme an den Schicksalen, und ich darf es gegen Dich ja aussprechen, an den Verirrungen dieses begabten, wohlwollenden Prinzen Adalbert. Wenn das Gerücht von seiner vorhabenden Vermählung mit einer Tochter des Prinzen Karl von Preußen sich bestätigen sollte, dann habe ich gute Hoffnung auf seine innere Genesung, doch wird der Fortgang derselben langsam und den Gefahren vieler Rückfälle ausgesetzt sein. Ich habe ihm nie verhehlt, auf welchen Boden ihn sein Hang zu vorwitzigen Extravaganzen führen werde. Leider habe ich die Sache früher, weil ich nicht daran glauben konnte, daß es ihm so bitterer Ernst damit werden könnte, selber zu scherzhaft genommen und bin zuweilen, wenn er mich so sehr darüber inquirirte, mit ihm geistig spazieren gegangen in die Gebiete des magnetischen Hellsehens u. s. w. Die ernsten Winke, welche ich meinen Berichten einzuweben niemals unterließ, sind ihm zu einem Ohre ein-, zum andern spurlos wieder ausgegangen, er hat aus jeder Lektüre über dieses Gebiet nicht wie die Biene Wachs und Honig, sondern Gift für seinen persönlich geistigen Zustand gezogen und vor allem immer nur seinem Götzen, einer jugendlichen Lüsternheit nach hohem Ruhm und Ehre vor der Welt, Opfer gebracht. Er selber, wenn Gott, wie ich dies fest hoffe, sich seiner nicht erbarmt, wird diesen Götzen zum Opfer fallen. Hätte er nur Lust zu ernster, gründlicher Beschäftigung, aber daran fehlt es ihm ganz.

Doch was hilft uns da unser Wehklagen. Wir können ihm nur aus inniger Liebe auf seinen Wegen nachgehen und mit Gebet, und da, wo er uns Gelegenheit dazu gibt, mit Rat und That. – Die bedauernswürdige königliche Familie, welchen Kummer haben ihr schon diese beiden jüngsten Kinder eines Elternpaares gemacht, das mit solcher Treue das Wohl dieser Kinder auf seinem Herzen trug ...

Nun, mein edler, lieber Freund! Gott segne und behüte Dich.

G. H. Schubert.

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