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116. Stolberg an Voß

(5./VI. 1790.)

Lieber guter Voß, Ihr Brief hat mich innig gerührt, und wiewohl ich keines Beweises von Ihrer herzlichen brüderlichen Liebe bedarf, so hat mich doch dieser neue Beweis oder vielmehr die Vergegenwärtigung Ihrer Liebe, erquickt. So erquickt, daß ich im Garten an der Spree herumgieng und den wohlthätigen Regen der Wehmut erwartete, welcher mir so nöthig wäre, und mich so selten erquickt. Aber er blieb aus! O diese thränenlose Sehnsucht nach meiner Agnes ist es, welche mir die Brust erdrückt. Trennung von ihr ist ein gewaltsamer Zustand, ich erliege ihm, Freude an allem um mich her ist mir entflohn. Meine Sophie ist ein edles liebevolles Weib. Sie möchte für mich leben, aber ach sie fühlt, sie sieht, daß auf dieser Erde nicht viel Freude für mich zu hoffen ist. Das giebt dem guten Weibe manche schwere Stunde. Ich glaubte noch vor kurzem auf dem Wege zu meiner Agnes zu sein. – Die lieben unschuldigen, der holdseligen Mutter ähnlichen Kinder erinnern mich, ohne es zu wissen, mächtig an die Pflicht, meiner Gesundheit mit aller möglichen Sorgfalt zu pflegen. Ich thu es auch. Aber ich bin nicht Herr meiner Empfindung, welche mich mit uuabläßiger Sehnsucht nach den Gefilden ungestörter Freude, ungestörten Agnesumgangs, ach nach dem Reiche des Friedens, der Wahrheit, der Liebe hinzieht! Wer eine Agnes verlor, dem genügt dieses Lebens Freude nicht, wenn sie ihm auch kleine Agnesengel zurückließ. Wollte Gott, ich könnte sie mit mir nehmen! Mit mir zu Ihr! – – – Liebster Voß, wenn ich den Tod wünsche, so ist es nicht aus dem taedio vitae, sondern weil ich mich aus dem Dasein ins Leben sehne! –

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