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319. Robert Schumann an Gisbert Rosen, stud. jur. in Heidelberg

Leipzig, den 5ten Juni 1828.

Mein theurer Rosen!

Heute ist der 19te Juni; so lange hat es leider gedauert, ehe ich den Brief fortsetzen konnte. – Ach! wer doch mit Dir in Heidelberg wäre – Leipzig ist ein infames Nest, wo man seines Lebens nicht froh werden kann – das Geld macht reißende Fortschritte und mehr, als man in Kollegien und Hörsälen machen kann – eine Bemerkung, die geistreich genug aus dem Leben gegriffen ist und noch dazu aus meinem. Hier setz' ich nun ohne Geld, ohne alles, im stummen Vergleichen der Gegenwart mit den jüngst verflossenen Stunden, die ich mit Dir so innig, so heiter verlebte, und bleibe sinnend vor Deinem Bilde stehen und vor dem komischen Schicksal, welches die Menschen auf so entgegengesetzten Wegen zusammenführt, vereint und wieder auseinander reißt. Du sitzest vielleicht jetzt auf den Ruinen des alten Bergschlosses und lächelst vergnügt und heiter die Blüthen des Juni an, während ich auf den Ruinen meiner eingesunkenen Luftschlösser und meiner Träume stehe und weinend in den düstern Himmel der Gegenwart und der Zukunft blicke.

Himmel! Dieser Brief scheint ja entsetzlich ernst zu werden und das soll er bei Gott nicht; melancholische Gesichter, wie Deines und andern Leuten Ihres, müssen aufgeheitert werden, auf daß sie lächeln wie ein verklärter Vollmond oder wie eine Pfundrose, und meinen melancholischen Ernst will ich für mich behalten, weil es doch die Menschen wenig interessieren kann, ob ich lächle oder weine.

Meine Reise über Regensburg war verflucht ennuyant und ich vermißte Dich nur zu sehr in diesem Erz-Katholizismus. Ich mache nicht gerne Reisebeschreibungen und vollends solche, weil sie ekelhafte Gefühle aufrühren, welche in der Erinnerung unterdrückt werden müssen. Es reiche hin, Dir zu sagen, daß ich recht innig an Dich dachte, daß mir das Bild der lieblichen Clara (o. Kurrer) im Traume und im Wachen entgegen schwebte, und daß ich recht von Herzen froh war, wie ich meine alte geliebte Heimathsstadt Zwickau wiedersah. Ganz Zwickau war bestürzt, wie ich nur einige Stunden dableiben wollte; denn in Zwickau hatte noch kein Mensch etwas von Augsburg, München zc. etc. gehört, geschweige denn etwas davon gesehen; sie wollten also etwas davon erzählt haben; ich aber war unerbittlich, drückte mich nach 3 Stunden, die ich dort blieb, in eine Ecke des Postwagens und – weinte recht innig und dachte über alles nach, was mir schon vom Herzen gerissen ward und noch zertrümmert vor mir liegt, und sann über mein wildes Schlaraffenleben nach, was ich seit 8 Wochen geführt hatte und leider jetzt noch führe. Du irrst Dich gewaltig, wenn Du glaubst, ich sei liederlich – nicht die Probe – ich bin ordentlicher, als ich sein könnte – aber ich befinde mich hier ganz erbärmlich ...

... Mit Deinem Briefe gehen zwei nach Augsburg an den Dr. und Clara ab, und Du kannst nicht verlangen, daß ich nach solchen lyrischen erschöpfenden Ergießungen mich noch ferner ergießen soll. Claras Bild ist noch nicht ganz aus meinem Herzen verdrängt und in der regen großen Stadt vernarben solche Wunden bald. Darum lebe wohl, mein geliebter Freund; Caroline und Emilie Süßmann denken noch mit Entzücken an Dich und haben mir Deinen sentimentalen Stammbuchsvers gezeigt. Lebe denn recht glücklich; jeder Genius des Menschen sei mit Dir und der der Freudenthränen begleite Dich ewig. Behalte aber auch den Freund lieb, der nur wenige Minuten mit Dir zusammen lebte, aber das recht innig und froh und Dich von Herzen lieb gewann, weil er in Dir einen menschlichen, weichen und doch kräftigen Jüngling fand. Vergiß der schönen Stunden nie, die wir zusammen lebten und bleibe so menschlich, so gut, wie Du es jetzt bist. Antworte bald.

Dein
Robert Schumann.

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