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Zur Einführung

Deutsche Freundschaft ist eins der edelsten Besitztümer unseres Volkes. Sie lebt in der Sage, von den Blutsbrüderschaften der Ahnen klingt sie herauf, schon von der Edda bis zum Lied des herrlichen Theoderich von Bern vernehmen wir ihr mächtiges Walten. Und immer mehr entfaltet sie sich durch die Jahrhunderte hin, auch wenn wir erst beim Ausgang des Mittelalters anfangen, schriftliche Dokumente im modernen Sinne für sie zu besitzen. Aber von da an geht es wie ein Strom des Reichtums vorwärts, Freundespaar reiht sich an Freundespaar, Schaaren von solchen wieder an Schaaren, bis die Entwicklung im 18. und im 19. Jahrhundert zu ihrer Höhe gelangt. Die hundert Jahre von 1750 bis 1850 kann man mit Recht das goldene Zeitalter der Freundschaft nennen.

Die Zeugnisse der deutschen Freundschaft sind niedergelegt in diesem Buch, in diesen vielen hundert Freundesbriefen vom 14. bis zum 19. Jahrhundert. In seiner »Geschichte des deutschen Briefes« hat Georg Steinhausen auch zahlreiche Untersuchungen über die schriftlichen Kundgebungen deutscher Freundschaft eingeflochten. Hier ist nun die genaue Abfolge der ganzen Freundschaftsverkettungen in der seelischen Geschichte unseres Volkes. Aber nicht nur eine Kulturgeschichte der Freundschaft ist hier unmittelbar gegeben, diese Dokumente bieten vielmehr eine ganze Psychologie der Freundschaft, zwischen jungen und alten Freunden, zwischen Jünglingen, zwischen Männern, auch einzeln zwischen Frauen und Männern. Hier liest man von den Tragödien der Freundschaft, von Eifersucht, von Sehnsucht, vom Brechen, von Zerwürfnissen, von Gekränktheiten, vom jauchzenden Sichwiederfinden, von den Entzückungen des Auskostens gemeinsamer Gefühle, – es ist das arme ewig gejagte menschliche Herz, das auch hier sein Innerstes auftut.

Der eigentliche Inhalt dieser Briefe ist die Freundschaft, auch wenn Dinge des äußeren Lebens mit gegeben sind oder behandelt zu sein scheinen. Sie sollten ein Gefühl zeigen, keine Gegenstände, der subjektive Inhalt tritt also in den Vordergrund, zum Unterschied von dem allgemeineren individuellen oder von dem sonst belanglosen privaten – über die Friedrich Gundelfinger so trefflich geschrieben hat. Der individuelle Inhalt tritt zurück, da nur eine bestimmte Seite des seelischen Lebens getroffen wird, gerade dieses Gefühl aber nicht notwendig dem individuellen Gehalt eingeordnet zu sein pflegt. Und private Inhalte werden hier sogleich wertvoll, sobald das spezifische Gefühl intensiv damit verknüpft ist. Nach diesem Prinzip erfolgte die Auswahl; um eine ganz reine Linie der Entwicklung zu bekommen, wurden aus der Masse des Stoffes noch über 200 Briefe ausgeschieden, besonders jene Gattung, die man als Geschäftsbriefe der Freundschaft bezeichnen kann, ganz in die Konvention eines langen Verhältnisses erstarrte Korrespondenzen, oder durch die Trockenheit der Gemüter zur Norm verseichtete. Eine Schwierigkeit bot noch die Anordnung der Briefe. Die rein chronologische Anordnung verbot sich, sie hätte ein ganz verwirrendes Bild gegeben, zu diesem Labyrinth der Herzen noch ein Labyrinth der Dokumente geschaffen, das nicht eine einzige klare Freundschaftslinie zur Anschauung hätte gelangen lassen. Das Erste mußte sein, daß die literarhistorischen Freundschaftsgruppen gleichsam zu Bündeln zusammenzufassen waren, damit hat man hier sowohl die Gegenseitigkeit der Beziehungen in ihrer Abfolge, wie auch den innern Spannungszustand, die Vielfältigkeit der Verflechtungen der Gruppe, gewissermaßen ihr Strahlenbild. Die Gruppen dominieren stets in einer zentralen Persönlichkeit, die auch für den Briefwechsel der Mittelpunkt bleibt. Die Abfolge dieser Persönlichkeiten gibt die ganze Geschichte des Freundschaftsgefühls, sie stellen sich in der Aufeinanderfolge der Freundschaftsgruppen nach literarhistorischem Gesichtspunkt dar. So bekommt man das Bild von Schichten, die sich übereinander erheben. Denn wenn Typen des deutschen Barock, wie es in Wirklichkeit ist, noch nach der Spätromantik sich im Stil von 1750 kundgeben, so hat man sich erstaunt zu fragen, ob denn diese Leute, denen Sturm und Drang niemals das Herz zerwühlt hat, nie sterben wollen, dergleichen gehört dann in den Sarg, wenn anders man nicht eine Geschichte der Anachronismen verfassen will.

Die Zahl der Freunde, deren Gefühle hier ehrenvoll beigesetzt sind, ist Legion. Vom 13. bis zum 17. Jahrhundert freilich sind es noch nicht allzuviele, in freundschaftlichen Erkundigungen, im zagen Aufdämmern kaum noch gefühlter Sehnsucht kündigt es sich an. Und die Namen Elisabeth von Baierbrunn, Ulrich von Württemberg, Herzog Maximilian, Dürer, Pirkheimer, Hutten, Sickingen, Luther, Michael Behaim, Friedrich der Fromme, Sebastian Scheurl, Benjamin Schmolcke, sind vielleicht schon ebensoviele Zeitalter, oder mindestens Phasen. In deren Mitte kommt der bürgerliche Freundesbrief auf, als »Gesellenbrieflein«, wie er bezeichnet wurde, der dann am Ende die Bitte bringt, die »pulschaft«, d. h. die Freundschaft zu grüßen. Der Freundesbrief des 17. Jahrhunderts schloß sich von der Geziertheit und Gespreiztheit der Epoche nicht aus. Der erste Freundeskreis des 18. Jahrhunderts hebt sich davon natürlich ab. Es sind die leichten, angenehmen, aber auch etwas geschwätzigen Briefe der Gellert, Rabener, Giseke, Cramer, die dann überleiten zu den Tändeleien und spielerischen Zärtlichkeiten der Gleim, Ewald von Kleist, Geßner, Ramler, auch Lessing. Mit Gleim setzt mit der Freundschaftsbegeisterung zugleich der Briefkultus ein; überallhin flogen damals die halberstädtischen Liebesbrieflein, wie sie Herder bezeichnete. Winckelmann mit seinen Briefen an Lenz, Muzel-Stosch, Riedel, ist am Ende gleichfalls zu dieser Phase zu rechnen, zum Unterschied von dem ihm verwandten Johannes von Müller, der vielmehr ein Vorläufer der Romantik ist. Die erste Vertiefung des Freundschaftsgefühls brachte Klopstock, mit den um ihn gescharten Schönborn, Ebert, Claudius, dann weiter Wieland, an den sich dann der ganze Herdersche Kreis reiht, mit Hammann, J. G. Jacobi, Lavater, Merck, Forster, in seinen Anfängen auch Goethe, wenngleich der, jung, auch weit mehr mit dem Sturm und Drang verknüpft ist, als einer jener Gruppe. Die Briefe bekommen eine gesteigerte Lebhaftigkeit, sie werden aufgeregter, in Lavater schon drückt sich ein maßloser, superlativischer Freundschaftston aus, in Lavaters Nähe gehört auch mit seinen »Briefschatullen« Leuchsenring, der »Typus der empfindsamen Freundschaftsschwärmer«, das Naturgefühl tritt über die Schwelle, und entfesselt ist dann das stürmische Freundschaftsgefühl in den Schubart, Heinse, Boie, Miller, Bürger, den Stolbergen, Voß, Klinger, Maler Müller, Kayser, Lenz, eine nie erhörte Gestaltung des Gefühlslebens in vollster Natürlichkeit bis zur ungeschminkten Derbheit, bis zur original-genialen Exzentrizität. Das Gefühl tobt sich in Schwelgerei und Rhetorik, oft bis zur Dramatik aus. An allem diesem nimmt auch der junge Goethe teil, als wahrhafter Exponent der Zeit, während der junge Schiller schon eine neue, gebändigte, romantische Note bringt. In Goethe, Schiller, Körner kommt sodann das Freundschaftsgefühl zu einer goldenen Reife und Geklärtheit. Eine Vertieftheit in die Empfindung wiederum bringt die neue Jugend, die Romantik, in Hölderlin, Schleiermacher, Baggesen, Humboldt, Fichte, Steffens, vor allem Brentano, Arnim, Tieck, Wackenroder, diesem schwärmerischen Freundschaftsgenie. Ihnen folgen sodann die Kleist, Runge, Jean Paul, Hoffmann, Gentz, Arndt, Görres, Loeben, zum Ruhme der Romantik, wie auch der Winckelmann und Johannes von Müller ist zu sagen, daß auch die verstiegensten Exaltationen des Freundschaftskultus die Grenze der seelischen Keuschheit nie überschreiten. Wesentlich der folgenden Generation gehören dann ferner an Chamisso, Grillparzer, Kerner, Uhland, Heine, Schumann, Mörike, Hebbel, Stifter. Wagner und Anzengruber, zwei so verschiedene Dichter, stehen am Ende nebeneinander und schließen die Kette ab, in der gleichsam Becher goldenen Weines, von Hand zu Hand gereicht, von unzähligen Lippen berührt und beseelt, auf uns gekommen sind.

Erloschene Gefühle! Die Aschenreste lodernder Befreundungen, eine ganze Katakombe von Freundespaaren! Aber sie sind nicht tot, noch immer lassen sie sich von Zauberhand lebendig machen und dann sieht man sie wandeln über deutscher Erde, auf den Spuren ihres Leides und ihres Glückes, auch ihr Leid nachschmeckend als innerstes Beglücktsein, und wir Späten, die wir aus diesen Blättern die teuren Schatten beschwören, wollen ihnen dankbar sein, daß sie uns so ihr Herz öffnen und uns das eigne rätselvolle Herz damit deuten.

Leipzig, Mai 1909.

Dr. Julius Zeitler.

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