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274. Franz Grillparzer an Georg Altmütter

[Frühjahr 1812?]

Du verlangst von mir, ich soll sie Dir beschreiben, die ich liebe? Vor allem: die ich liebe, sagst Du? Wollte Gott, ich könnte sagen ja! Wollte Gott, mein Wesen wäre fähig dieses rücksichtslosen Hingebens, dieses Selbstvergessens, dieses Anschließens, dieses Untergehens in einen geliebten Gegenstand! Aber – ich weiß nicht, soll ich es höchste Selbstheit nennen, wenn nicht noch schlimmer, oder ist es bloß die Folge eines unbegrenzten Strebens nach Kunst und was zur Kunst gehört, was mir alle anderen Dinge aus dem Auge rückt, daß ich sie wohl auf Augenblicke ergreifen, nie aber lang festhalten kann. – Mit einem Worte: ich bin der Liebe nicht fähig. So sehr mich ein wertes Wesen anziehen mag, so steht doch immer noch etwas höher, und die Bewegungen dieses Etwas verschlingen alle anderen so ganz, daß nach einem »Heute« voll der glühendsten Zärtlichkeit leicht – ohne Zwischenraum, ohne besondere Ursache – ein »Morgen« denkbar ist der fremdesten Kälte, des Vergessens, der Feindseligkeit möchte ich sagen. Ich glaube bemerkt zu haben, daß ich in der Geliebten nur das Bild liebe, das sich meine Phantasie von ihr gemacht hat, so daß mir das Wirkliche zu einem Kunstgebilde wird, das mich durch seine Übereinstimmung mit meinen Gedanken entzückt, bei der kleinsten Abweichung aber nur um so heftiger zurückstößt. Kann man das Liebe nennen? Bedaure mich und sie, das es wahrlich verdiente, wahrhaft und um ihrer selbst willen geliebt zu werden.

Das Bewußsein dieser unglücklichen Eigenheit meines Wesens hat auch bewirkt, daß ich von jeher allen Verbindungen mit Weibern, zu denen mich übrigens mein Physisches ziemlich geneigt macht, nach Möglichkeit ausgewichen bin. Jedesmal aber, daß ich mich einließ, bestätigte sich jene traurige Erfahrung, was um so natürlicher ist, da ich mich gerade zu solchen am meisten oder vielmehr ausschließlich hingezogen fühle, die eigentlich am wenigsten für mich passen: zu denen nämlich von entschiedenen Charakterzügen, die meinen Hang zu psychologischer Forschung und dem stoffumbildenden Dichtersinne in der Idee die meiste Nahrung geben, auf der anderen Seite aber durch ihr Sprödes und Abgeschlossenes im Wirklichen jedes Zusammenschmelzen nur noch unmöglicher machen.

So ging es auch hier. Ich hatte das Mädchen – laß mich sie Lucia nennen – deren beide ältesten Schwestern mir durch ihren geistvollen Gesang schon lange interessant geworden waren, in den musikalischen Versammlungen, denen sie mit jenen beizuwohnen pflegte, nicht gesehen oder nicht bemerkt, wohl aber vernommen von ihrer außerordentlichen Darstellungsgabe, die sie auf Privatbühnen zeige, so wie ich öfter einen in Jahren ziemlich vorgerückten Mann aus meinen Bekannten mit einer ins Lächerliche gezogenen Leidenschaft für die kaum Neunzehnjährige aufziehen hören mußte. Weder der letztere Beweis, noch – bei meiner Abneigung gegen das Schauspielwesen – der erstere waren geeignet, mich auf eine nähere Bekanntschaft besonders begierig zu machen. Endlich bei einem Abendkonzert erfahre ich durch das spöttische Hinweisen, mit welchen einige Spaßvögel hinter dem Rücken eines Frauenzimmers den erwähnten ältlichen Liehaber ihr näher zu bringen versuchen, daß diese die vierte jener drei anderen sei, die eben durch Ausführung eines schwierigen Gesangstückes rauschenden Beifall einernteten. Das Mädchen stand auf und ging zu ihnen, denen sie ihre Freude über den eben beendeten Gesang bezeigte. Auch ich ging hin in gleicher Absicht. Einer der Anwesenden stellte mir die vier Schwestern vor mit dem Ausdrucke: Vier Ihrer wärmsten Verehrerinnen! Wer wäre das nicht! rief lebhaft die eben hinzugetretene Nichtsängerin. Lautes Lob, Lob in meinem Beisein hat mich nie erfreut, ich achtete daher nicht viel auf die Lobrednerin, und auch als ich sie während des folgenden ziemlich gleichgültigen Gesprächs einigemal ansah, fand ich durchaus nichts, was mir irgend anziehend geworden wäre. So ging es auch den ganzen übrigen Abend, an dem ich mich mit einer ziemlich geistesarmen, aber außerordentlich schönen Frau unterhielt, die mich gerade damals interessierte. So oft ich meiner Lobrednerin zufällig nahe kam, fiel mir an ihr, sowie an ihren Schwestern ein gewisses, beinahe demütiges, einen Unterschied zwischen sich und der Gesellschaft setzendes Betragen auf, dessen Ursache sich mir bald erklärte. Ich erfuhr, daß Vater und Mutter der guten Kinder sehr arm und die älteste von ihnen Musiklehrerin im Hause des Festgebenden sei.

Eine ziemliche Zeit verstrich, ohne daß ich die Mädchen wieder traf. Nach einem Vierteljahre beinahe sehe ich bei einer musikalischen Mittagsunterhaltung, der ich beiwohnte, auf einmal eine unruhige Bewegung entstehen. Ein Musikstück soll aufgeführt werden, bei dem auf die Mitwirkung jener gesangreichen Geschwister gerechnet ist, und sie selber sind nicht da. Fragen, Unruhe, Bewegung, komische Verzweiflung des Hausherrn! Endlich schellt die Glocke an der Haustüre, man drängt sich zum Eingang und – sie sind's! sie sind's! erschallt von allen Seiten den Eintretenden entgegen, die, lachend über die verursachte Verlegenheit, sogleich Tücher und Hüte ablegen und sich mit der Gleichgültigkeit der Gewohnheit über ihre Musikparte hermachen. Drei von ihnen kenne ich, aber wer ist jene vierte, in der Mitte der anderen, über sie hervorragend an Gestalt und durch eine gewisse Sicherheit des Benehmens, in rotem Kleid, mit dem geringelten, schwarz-braunen Haar? Jene – mit den Augen, hätte ich bald gesagt; denn es war, als hätte niemand Augen als sie, und als wäre sie selbst nur da in ihren Augen, so blitzten die dunkelbraunen Bälle, scharffassend, leicht beweglich, alles bemerkend, jede Bewegung, jedes Wort einträchtig begleitend. Das wäre eine jener vier Schwestern, die ich schon auf dem Balle gesehen und damals gar nicht beachtet hatte? Wie ging das zu? Sie setzte sich gleich nach dem Eintreten in dem Vorsaale, in dem sich die männlichen Zuhörer befanden, rechts und links Bekannte grüßend und wohl auch eine zum Willkomm dargebotene Hand nach Männerart fassend aufs Sofa nieder und fing nun an, den auf sie Eindringenden unter Lachen – sozusagen – mit obligater Begleitung der herumschießenden, dunkelrollenden Augen die Ursachen der Verspätung aus einanderzusetzen, bis die Schwestern im Nebenzimmer zu singen anfingen und sie sich selbst, ein wenig im Tone und in der Gebärde des Schulknabenjux', Schweigen auferlegte, Ich habe immer ein geregeltes umsichtiges Benehmen bei Weibern, vielleicht zu sehr, geliebt; die Ungebundenheit des Mädchens mit den schönen Augen, obgleich fern von aller Unbescheidenheit, konnte mir daher nicht eigentlich gefallen, obgleich ich einen gewissen Reiz in dem allen mir nicht ableugnen konnte. Ich begnügte mich, öfter nach ihr hinzusehen, wie nach einem eher merkwürdigen als ansprechenden Gegenstande: sprach jedoch nicht mit ihr, selbst dann nicht, als ich später mit ihren Schwestern redete, die ich über ihren Gesang lobte und die mich lebhaft zu einem Besuche aufforderten, bei dem sie mir allerlei Musikstücke hören zu lassen versprachen.

Grillparzer.

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