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4.

(An Leonoren, als sie sich betrübte, daß Leute ihres Geschlechts des Studierens beraubt wären, und dahero eine deutsch geschriebene Anleitung zu den höhern Wissenschaften von Gott und dem Weltgebäude verlangte.)

Begehre nicht so viel zu hören;
Wer wenig weiß, der sündigt schlecht,
Der Umfang unsrer Weisheitslehren
Ist nicht vor jeden Kopf gerecht;
Die Wahrheit schadet viel Gemüthern,
Wie blöden Augen scharfes Licht;
Behilf dich mit geringern Gütern,
Zu diesem Schatze kommst du nicht.

Du kannst gleichwohl zufrieden leben
Und einmal froh zu Grabe gehn
Und brauchst, ach, glaube doch, nicht eben
Den hohen Leibnitz zu verstehn.
Du hast genug vor dein Geschlechte,
Nachdem dein lobenswerther Fleiß
Die Wirthschaft und des Höchsten Rechte
So wie des Umgangs Regeln weiß.

Verrichte nur dein Amt mit Freuden,
Mit Zuversicht auf Gottes Schutz;
Kommt ungefähr ein schweres Leiden,
So biet ihm mit der Hoffnung Trutz.
Verliere nie den wahren Glauben,
Er dient dir zur Gerechtigkeit,
Und wenn dich lose Mäuler schrauben,
So siege mit Gelassenheit.

Ein klug- und thätiges Erbarmen
Kann wider Sünd' und Fluch bestehn;
Laß, wenn du kannst, nicht einen Armen
Betrübt und hülflos von dir gehn.
Vergieb und habe mit den Schwachen
So viel als mit dir selbst Geduld;
Will Glück und Wetter gar nicht lachen,
So sei dein Trost: Ich bin nicht schuld.

Ergehe dich mit Hoffnungsblicken
An jenes Lebens Lust und Pracht.
Dort wird dich andre Schönheit schmücken,
Als die, so hier dich lieblich macht.
Dort wirst du nicht mehr Stückwerk wissen,
Du wirst der Wunder Ursprung sehn,
Dort werd' ich dich noch reiner küssen,
Als niemals unter uns geschehn.

So wird dein Wandel auf der Erden
Gott und der Welt gefällig sein.
Was nie genug gelernt kann werden,
Das prägt man nie zu häufig ein;
Darum ermahnt dich meine Liebe:
Gedenke fleißig an den Tod,
Empfang' ihn mit gelaßnem Triebe
Und seufze dieß in letzter Noth:

Hier lieg' ich, großer Gott, und schwitze
Das Wasser meines Unrechts aus,
Ich fühle deines Eifers Hitze,
Sie kehrt den Leib in Asch' und Graus.
Es plagen Satan und Gewissen.
Herr, geh nicht zornig ins Gericht;
Du thatest mir dein Wort zu wissen,
Ich glaubte; mehr vermocht' ich nicht.

Ich habe nach dem kleinen Maße
Von Geist, Erfahrung und Verstand
Den Weg der engen Himmelsstraße
So weit beschritten als erkannt.
Verdien' ich keine Gnadenblicke,
So sieh doch, eh du mich verbannst,
Vorher auf Golgatha zurücke
Und dann verstoß mich, wenn du kannst.


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