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23.

(Auf das Absterben der Jungfer Johanna Magdalena Casparin, 1719 den 4. März.)

So gehst du schon so früh zu Rüste,
Du angenehmes Sonnenkind?
Ach, daß ich doch nur jetzt nicht wüste,
Was Schönheit und was Tugend sind!
Es kämen mich die Thränenlieder
Gewißlich nicht so sauer an.
Es winselt alles: Komm doch wieder,
Wo Gram und Wahrheit bitten kann.

Der Himmel hat genug von Engeln,
Verzeuch doch du nur in der Welt
Und ziere sie mit Liljenstengeln,
Die Zucht und Unschuld kostbar hält:
Laß' alt' und magre Disteln welken,
Und Unkraut in das Feuer gehn!
Der Ruhm von deinen Purpurnelken
Verdient auf ewig frisch zu stehn.

Erbarme dich der treuen Herzen,
Die deine Zärtlichkeit erquickt,
Und die dein wohlgestaltes Scherzen
Nicht sonder Ehrfurcht oft entzückt;
Erbarme dich der armen Liebe,
Sie weint und plagt sich unmuthsvoll,
Nachdem die Keuschheit ihrer Triebe
Dein edles Herz nicht krönen soll.

Was werden hier für Kostbarkeiten
Auf einmal in den Sand gelegt!
Hier liegt die Rose junger Zeiten,
Die andern Wehmuthsdörner trägt,
Das Kleinod wohl erzogner Jugend,
Die Augenlust der ganzen Stadt,
Der Tempel demuthsvoller Tugend,
Die jetzo besser Wohnen hat.

Wie wenn ein Dunst Aurorens Strahlen
Durch unverhofften Nebel bricht,
Die Felder hören auf zu prahlen,
Die güldnen Hügel lachen nicht,
Die Wiesen stehn voll nasser Thränen,
Die müden Schafe strecken sich,
Die Nymphen stehn in Angst und Sehnen
Und sehn sehen, aussehen. zwar schön doch jämmerlich.

Von solcher Wirkung ist dein Scheiden,
Du kalt- und holdes Schmerzensbild!
Jetzt muß die Mutter härter leiden,
Als da sie dich zuerst gestillt.
Der treue Vater schweigt vor Kummer,
Die ält- und jüngre Schwester schreit;
An dir entführt der letzte Schlummer
Das Herz von ihrer Artigkeit.

Dort lauft der hoffnungsvolle Knabe
Aus fromm- und treuer Einfalt zu
Und meint, als ob dein Aug' im Grabe
Nur ihm zum Scherz und Possen ruh';
Er rüttelt die erstarrten Glieder
Und spielt und drückt die Finger noch
Und streicht die Wangen hin und wieder:
Ach, Schwesterchen, erwache doch!

Wie mancher wird sich heimlich grämen,
Daß so ein Platz dein Ehbett ist!
Und dürften sich nur Viel nicht schämen,
So würdest du noch todt geküßt.
O, wie viel Wünsche sind vergebens,
O, wie viel Flammen zeigen Flut,
Nachdem der Abbruch deines Lebens
Verliebter Sehnsucht Schaden thut!

Die Tochter Jephtha kriegt viel Zähren,
Du kriegst nicht minder große Pflicht;
Die Nymphen klagen dein Entbehren
Mit Armen, Farb' und Angesicht;
Dein Umgang wird sie nicht mehr zieren,
Drum rufen Hügel, Thal und Hain:
Ach, Schwester! Da wir dich verlieren,
Wird unser Mai kein Frühling sein.

O schweigt, ihr zärtlichen Gemüther,
Und schickt den Rest mit Troste fort!
Ihr Geist erhält die höchsten Güter
Und sucht den rechten Schönheitsort;
Der Himmel buhlt mit ihrem Kusse,
Der nicht nach Fleisch und Sodom schmeckt,
Sie wird vom Schlafe bis zum Fuße
Mit ungemeiner Pracht bedeckt.

Was soll ich hier in Kedar Kedar, die Hütten Kedar, vgl. Hoh. Lied 1, 5; Psalm 120, 5. wohnen?
Kein Bräut'gam scheinet ihrer werth,
Sie wird mit überirdschen Kronen
Vielmehr gezieret als beschwert;
Sie kriegt des Lammes Gnadensiegel,
So wird kein Hochzeitschmuck geschätzt,
So weit der Morgenröthe Flügel
Den feuchten Schatten Gränze setzt.

Ich opfre dir, du reine Seele,
Ein Brautlied in der Sterblichkeit
Und fülle deines Leichnams Höhle
Mit trauriger Ergebenheit.
An Dauer trotzt dieß Blatt die Steine,
Indem es diese Wahrheit trägt:
Mein Pilger, netze die Gebeine,
Die Witz und Schönheit abgelegt.


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