Julie de Lespinasse
Die Liebesbriefe der Julie de Lespinasse
Julie de Lespinasse

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8.

Donnerstag morgens [im Januar 1775].

Es liegt ganz in meiner Hand, in Ihrem Verhalten keine Achtung, kein Vertrauen, keine Freundschaft mehr zu finden, – mit einem Worte, keines der Gefühle, die Sie mir ehedem vergönnt, und gewiß könnte ich in Ihrem Briefe vergebens nach einem Ausdruck suchen, der mich in meinem Glauben nicht bestärkte. Aber ich will mich nicht ganz darein verlieren. Dann müßte ich auch aufhören, Sie zu lieben. Dann müßte ich annehmen, daß Sie eine Frau wären wie die anderen, nachdem mein Herz Sie so lange Zeit hoch über sie alle erhoben hat. Nein, ich glaube den Worten nicht, die Sie mir sagen, und ich hege zur Zeit nur einen einzigen Wunsch: von neuem ein Zeichen Ihrer Zuneigung zu erlangen!

Sagen Sie: warum verhalten Sie sich mir gegenüber so unwürdig und gemein? Ja, unwürdig und gemein! Diese Bezeichnungen verdient Ihr Benehmen! Welches Mißtrauen könnten Sie sonst haben? Ich habe Ihnen erklärt, daß ich Ihre Briefe in einer Schatulle verwahre. Die, die ich bei mir hatte, waren, wie Sie gesehen, in der Brieftasche, die Sie mir dazu geschenkt haben. Genug! Daran zu denken, empört mich. Es ist mir qualvoll.

Hier sind Ihre Briefe! Alle bis auf den einen, in dem Sie sie zurückverlangen.

Es wird Ihnen jetzt ziemlich gleichgültig sein, zu wissen, wann wir uns wiedersehen. Es wird Ihnen genügen, Ihren Wunsch erfüllt zu wissen. Es wird nicht heute und nicht morgen sein, nicht eher, als bis das schreckliche Gefühl getilgt ist, das Ihr Verhalten ohne mein Zutun in mir erweckt hat. Ich fürchte, Sie haben mich für mein ganzes Leben tiefgekränkt. Sie aber werden ruhig sein. Nicht wie in mir wird bei Ihnen das Einst ewig weiter leben. Und so wollten Sie es!

Graf Guibert.


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