Julie de Lespinasse
Die Liebesbriefe der Julie de Lespinasse
Julie de Lespinasse

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102.

Mittwochs, elf Uhr.

Sehen Sie: so unglücklich bin ich! Ich habe eine Todesangst gehabt, Ihren Brief zu öffnen. Hätte ich nicht befürchtet, Sie zu kränken, so hätte ich ihn Ihnen wieder zurückgesandt. Ich hatte das Gefühl in mir: dieser Brief vergrößert Dein Leid. Ich wollte mich davor bewahren. Die fortwährenden körperlichen Schmerzen haben mir die Seele schwach gemacht. Dazu hatte ich Fieber, und ich kann nicht mehr schlafen. Ach, seien Sie barmherzig, lassen Sie mein Leben in Frieden verflackern!

Sie sollen frei sein. Gehen Sie zurück zu der, die Sie lieben, die Ihnen mehr gefällt, als Sie vielleicht selber glauben. Überlassen Sie mich meinem Schmerz, meiner Reue, meiner mir liebsten Erinnerung!

Ich wiederhole es: Ich verzeihe Ihnen – ohne den geringsten Haß. Nicht aus Edelmut verzeihe ich Ihnen und nicht aus Gutmütigkeit hasse ich Sie nicht, sondern weil meine Seele müde ist, weil sie vor Mattigkeit hinstirbt. Also: lassen Sie mich! Lieben Sie mich nicht mehr!


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