Julie de Lespinasse
Die Liebesbriefe der Julie de Lespinasse
Julie de Lespinasse

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174.

Freitags, zehn Uhr abends. [Dezember 1775.].

Ich habe mir ein Vergnügen verschafft! Bei Gott, Sie hätten Herrn von Laharpe Ihre Meinung auch nicht besser und kräftiger sagen können! Ich habe ihn behandelt, wie er es verdient hat. Wir hatten fünf bis sechs Zuhörer, die ganz starr waren und mäuschenstill, was mich aber erst recht nicht verstummen ließ, sondern nur noch kühner machte.

Die Einzelheiten werde ich Ihnen noch erzählen, mein lieber Freund. Sie sind glänzend gerächt! Nie hat die Gerechtigkeit rüstiger gewaltet. Der gute Condorcet und Herr von Saint-Chamans werden es nötigenfalls bezeugen. Tun Sie nichts dazu, das wäre nur für Laharpe nützlich. Wir sprechen noch darüber, aber seien Sie zufrieden: Sie sind gerächt, und der Gestrafte spürt es bis ins Mark.

Ich habe vergessen, Ihnen zu sagen, daß Sie rechtzeitig daran denken, sich die Loge zu sichern, um die ich Sie gebeten habe. Und dann möchte ich vier Parkettplätze. Ich bitte, vergessen Sie mich nicht!

Ich hatte Sie um den »Merkur« gebeten, weil ich hoffte, Sie würden mich verstehen, daß das Ihnen bedeuten sollte, mir ein paar Worte vor Ihrer Wegfahrt zu schreiben, aber Sie haben mich nicht verstanden. Was hätten Sie mir auch zu sagen gehabt? Selbst als Sie heute morgen in meinem Zimmer waren, da waren Sie doch nicht bei mir! Über jeden Beliebigen, der eintrat, waren Sie entzückt. Das raubte mir die Kraft, Sie bei mir zurückzuhalten. Mein Lieber, waren es Arbeiten oder Abenteuer, die Sie der so rasch entführten, die Sie über alles in der Welt liebt. Frau von M[ontsauge] behandeln Sie gewiß besser, und das ist wahrlich auch mein Wunsch. Nur ich darf Ihretwillen leiden, denn nur ich liebe Sie genug, um Sie leidend zu lieben.

Lieber Freund, gestern habe ich keinmal gehustet. Das grenzt ans Wunderbare.

Heute habe ich eine neue Bekanntschaft gemacht, die der entzückendsten Frau, der ich in meinem Leben begegnet bin. Wenn ich noch einmal zum Leben käme und könnte mir beliebig Gesicht, Gestalt, Stimme und Wesen wählen, so würde ich sagen, ohne Zaudern und ohne an alles das zu denken, was man gerühmt, gefeiert und gefabelt hat, solange es Frauen gibt: Man gebe mir die Gestalt und die Reize dieser Frau, nur mit der einen Bedingung: ohne jede Zutat. Sie ist so recht mein Geschmack, und wenn es ihr recht wäre, würde ich sie bis zur Tollheit lieben, die paar Tage hindurch, die mir noch bleiben. Aber sie wird vernünftigerweise wohl besseres zu tun haben.

Mein Lieber, wäre das Ihre Gattin, so stürbe ich vor Eifersucht oder ich würde sie anbeten, denn sie ist schlicht, natürlich und bescheiden. Ich habe sie heute nachmittag zum ersten Male gesehen, aber es ist mir, als kennte ich sie schon ewig, so nett haben wir uns unterhalten. Wir waren fast allein und fühlten uns sehr wohl.

Aber ich bin töricht, und Sie werden gegen das liebenswürdigste und verführerischste Geschöpf ein Vorurteil hegen. Ich werde mich auch hüten, sie Ihnen vorher mit Namen zu nennen. Sie sollen ihr bei mir begegnen.

Mein Lieber, Sie werden keine Zeit haben, sich mein verliebtes Geschwätz anzuhören, und es ist dumm von mir, Ihnen Dinge zu erzählen, die Ihnen mißfallen. Sie werden denken, ich wäre überspannt. Ach, die Kranken und Unglücklichen kennen kein Maß. Aber tadeln Sie mich nicht, wenn ich einmal einen Funken des Feuers fange, das einstmals in mir loderte! Es war ja gerade mein reges Gefühl für die Vorzüge anderer Menschen, das ihnen den Glauben eingab, ich sei liebenswürdig. Seit langem trage ich nur tödliche Langeweile in die Gesellschaft. Allein durch Sie fühle ich noch, daß ich da bin, sei es in Lust, sei es in Leid.

Ich habe ein wenig Fieber, aber es geht mir leidlich.

Gute Nacht!

Meine Freude an dieser Frau hat mich nicht gehindert, daran zu denken, daß Sie heute nachmittag ganz in meiner Nähe waren. An Ihrer Stelle wäre ich hergekommen.

Aber Sie sind nicht ich!


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