Julie de Lespinasse
Die Liebesbriefe der Julie de Lespinasse
Julie de Lespinasse

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40.

Dienstags.

Ich habe gestern abend aufgehört, mit Ihnen zu plaudern, weil ich glaubte, immerfort von mir zu reden, das müsse Sie ermüden. Sie standen so lebhaft vor meinem Geiste, daß mich das damit versöhnte, Sie nicht antworten zu hören. Doch erhören Sie mich! Heute muß ich richtig mit Ihnen sprechen. Glauben Sie aber, bitte, ja nicht, daß ich Ihnen Vorwürfe machen will. Ich räume mir das Recht dazu nicht ein, und ich wäre tiefbetrübt, wenn ich Sie ärgerte. Meine Teilnahme für Sie ist so, daß mich tausend Dinge verletzen, die Ihnen gar nichts bedeuten. Man muß selber lieben, um zu ahnen, wenn man dem weh tut, von dem man geliebt wird. Der Geist hat mit dem Feingefühl nichts zu schaffen, das man im Umgange mit einem kranken und unglücklichen Herzen betätigen muß. Aber Einleitungen sind langweilig. Also zur Sache!

Mein lieber Freund, Sie wollten mir Ihre Abreise verheimlichen. Wenn sie einen ehrenhaften Anlaß hat, warum fürchten Sie dann, sie mir mitzuteilen? Wenn diese Reise jedoch eine Kränkung für mein Herz ist, warum unternehmen Sie sie? Wenn Sie auch keine Verpflichtung haben, mich zu lieben, so müssen Sie doch vor sich selber so ritterlich sein, mich nicht betrügen zu wollen. Nie haben Sie zu mir volles Vertrauen. Mir kommt es vor, als entschlüpfe Ihnen alles, was Sie sagen, ohne daß Sie es eigentlich wollen.

Sie sind gestern abgereist, und ich habe nicht erfahren können, wohin Sie schlafen gegangen sind. Ich weiß nicht, wo Sie weilen. Ich bin in Ungewißheit über Sie und Ihr Tun und Treiben. Lieber Freund, benimmt man sich in der alltäglichsten Freundschaft so? Und glauben Sie, daß ich ohne Schmerz daran denken könne, daß Sie eine Reihe von Tagen ganz nach Ihrem Belieben verleben, ohne von mir etwas zu hören? Glauben Sie fernerhin, daß ich nicht tiefbetrübt sein muß, weil Sie mir den letzten Abend, den Sie in Paris zugebracht haben, nicht gewidmet haben? Vier Monate bleiben Sie fern. Wenn Sie mich liebten, so hätten Sie mir das Leid anmerken müssen, das Sie mir angetan haben, als Sie am Sonnabend abend zu mir sagten: »Morgen reise ich zu Frau d'Arcambal.« Ich fand kein Wort der Erwiderung darauf, aber ich war voller Leid.

Das ist noch nicht alles. Ich will Ihnen nichts vorenthalten, was ich Ihnen gegenüber auf dem Herzen habe. Ihnen wird es nicht weh tun, und mich wird es erleichtern.

Von allem, was Sie nicht für Frau von M[ontsauge] tun, machen Sie viel Wesen, aber, mein lieber Freund, das ist nicht recht. So haben Sie also vergessen, was Sie mir im vergangenen Jahre zwanzigmal gesagt haben, Sie machten sich über alles Vorwürfe, was Sie für diese Frau täten. Ich habe Sie in Stimmungen gesehen, wo Sie auf das heftigste gegen sie Partei nahmen, wo Sie mit ihr brechen, sie nie wieder sehen wollten. Ich erinnere mich, gegen diese Ihre Absichten angekämpft zu haben, und Sie wußten sehr wohl, daß ich damals kein Begehren hatte, von Ihnen glücklich gemacht zu werden. Ebenso wissen Sie, daß ich trotz des Wandels hierin meine Sprache nicht geändert habe. Habe ich je ein Wort gesagt, um Sie von irgend etwas abzubringen, das Ihnen einfiel, für diese Andere zu tun? Habe ich Versuche gemacht, Sie ihr zu entfremden, Sie von ihr fernzuhalten? Zweifellos habe ich getan und nur getan, was ich mußte. Ist es nicht aber ein Mangel an Rücksicht, noch mehr von mir zu verlangen? Mein lieber Freund, es gibt einen Unterschied zwischen mir und ihr: Sie hat Sie geliebt und ich liebe Sie!


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