Julie de Lespinasse
Die Liebesbriefe der Julie de Lespinasse
Julie de Lespinasse

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135.

Donnerstags früh. [August 1775.]

Es liegt Ihnen also nichts daran, ob man Ihnen schreibt, weil Sie nichts darüber verlauten lassen, wie Sie erreichbar sind! Aber erfinderisch wie ich bin, zum mindesten hierin, beauftrage ich einen Diener Turgots, Sie überall zu suchen und Sie auf jeden Fall aufzuspüren.

Vergessen Sie nicht, mir sagen zu lassen, wie viel Plätze die Loge hat, die Sie mir bestellen.

Glauben Sie es mir gütigst, und wenn Sie auch sagen, das Wahre sähe manchmal unwahrscheinlich aus: folgendes ist doch unbedingt wahr! Ich habe heute Ihre Frau Gemahlin gesehen. Ich habe bei ihr gestanden, habe mit ihr über Ihr Befinden gesprochen, über Ihr Können, über alles, was uns in den Sinn kam. Kurzum, ich schmeichle mir, Sie werden hören, daß ich sehr liebenswürdig sei, und werden es nicht glauben wollen. Ja, ich bin eine große Zauberin. Ich fürchte mich bereits vor meiner eigenen Vollkommenheit. Ich glaube, es geht mir wie den Schwänen. Ihr Sterbegesang ist am schönsten. Das ist immerhin etwas. So werden Sie einmal sagen: Sie ist allzufrüh gestorben, wie schade!

Werde ich Sie bei mir sehen? Werden Sie das ermöglichen? Im Vorbeigehen, auf einen Husch? Ich bin Ihnen für jede Gabe dankbar. Ich will niemals, niemals klagen. Ich will ein braves Lämmchen sein. Eins, das nie fragen wird, ob Sie Briefe von Bordeaux bekommen haben. Eins, das nie trauern wird, weil Sie den Brief vergessen haben, den Sie am Sonntag erhalten und der sich wahrscheinlich in der Menge aller der anderen gleichgültigen Briefe verloren hat. So ein Lämmchen ist ja ein bißchen dumm. Man schert es bis auf die Haut, ohne daß es sich muckst. Man denkt schließlich gar nicht daran, daß es leidet, das arme Opferlamm. Das ist nun einmal so. Gute Nacht! Sind Sie zufrieden?


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