Julie de Lespinasse
Die Liebesbriefe der Julie de Lespinasse
Julie de Lespinasse

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94.

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Halb ein Uhr, Montag, den 20. Februar 1775.

Man holt mich eben ab. Ich werde Sie also nicht sehen, ich werde nicht erfahren, ob Sie wollen, daß ich Sie abhole.

Wissen Sie, daß »Tom Jones« und »Der falsche Zauber« gegeben werden? Ich denke, das wird Ihnen Spaß machen, und Ihre Freude ist meine Freude. Schenken Sie also Ihren Abend der Frau von M[ontsauge] und die Komödie mir. Aber entscheiden Sie sich sofort, denn Ihr Platz ist vielumworben. Sie waren so gütig, mich in der vergangenen Woche zweier Abende zu berauben, auf die ich fest gerechnet hatte. Ich will feurige Kohlen auf Ihrem Haupte sammeln und Ihnen ohne Groll heute abend die Freiheit lassen.

Noch fühle ich die Erschütterung des gestrigen Tages und Abends. Ich sehne mich nach Einsamkeit, nach Frieden, und in Ihrer Gesellschaft fände ich nur Unruhe. Verbringen Sie also Ihren Abend mit der, die Sie lieben, die Ihnen gefällt, die Sie liebt, und lassen Sie mich versinken, mich berauschen in einem Schmerz, der mehr wert ist als alle Freuden der Leute, mit denen Sie gestern abend soupiert haben. Ach, selbst das Unvollkommene steht höher als diese Pappseelen und Hohlköpfe. Die Sünde empört, erschüttert, – aber jene Leute da blenden nur mit ihrem Getue und vernichten Geist, Herz und Können auf immerdar. Tun Sie Herrn Roucher nicht die Geschmacklosigkeit an, von diesem Kreis von Totgeborenen und Lebendiggestorbenen bekrittelt zu werden; sie verstehen ihn nicht und werden seine Seele durch die Unverschämtheit kränken, mit der sie über seine Armut spötteln. Es war sehr recht, ihnen vorzuhalten, daß ein Dichter mit seiner Phantasie reicher, größer und glücklicher ist als diese ganze Gesellschaft.


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