Julie de Lespinasse
Die Liebesbriefe der Julie de Lespinasse
Julie de Lespinasse

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194.

Dienstags. [Februar 1776.]

Ich schicke Herrn von Larochefoucauld fort, um Ihnen zu antworten. Ihre Güte, Ihre rege Anteilnahme rührt mich tief. Aber, mein Lieber, wenn Ihre Liebe schwermütig und schmerzlich ist, so muß ich wünschen, daß sie erkalte, denn es ist mir schrecklich, Ihnen weh zu tun. Ach, wir müssen alle beide dasselbe Bedauern empfinden! Der Tag, der uns zusammengeführt hat, war ein rechter Unglückstag. Wäre ich doch am Tage vorher gestorben!

Den ganzen Tag habe ich Schmerzen gehabt und dabei, was außergewöhnlich ist, eine Mattigkeit, wie ich sie im Verein mit der Heftigkeit der Schmerzen nicht für möglich gehalten hätte.

Mein Wiedersehen mit Frau Geoffrin war wonnig-wehmütig. Es schmerzte mich. Ich hatte ihr Ende näher als das meine gesehen. Ich vermochte meiner Tränen nicht Herr zu werden; sie übermannten mich, als ich sie sah. Ich war tief erschüttert. Ach, die Bande des Lebens sind allzu stark; sie sind mir tief ins Herz hineingewachsen. Ich wähne nichts als Leid und Reue in mir zu haben, und doch finde ich oft meine Seele so voll von Liebe und allerlei Anteilnahme, daß mir das Herz brechen will.

Wenn Sie sich weiterhin über meinen schlechten Zustand aufregen, so machen Sie ihn mir schließlich unerträglich. Ich kenne Sie genau, mein Lieber. Mein Todeskampf wird Ihnen ein Leid sein, mein Tod eine Erleichterung. Und die rasche Beweglichkeit Ihrer Gedankenwelt bürgt mir dafür, daß Sie Ihr ganzes Leben lang vor großem Herzeleid bewahrt bleiben. Ich bin froh darüber. Ich bin dem Himmel dafür innig dankbar.

Morgen ist Ihr Donnerstag. Bleiben Sie ihm treu! Doch, ich weiß nicht, was ich sage. Morgen ist ja erst Mittwoch. Kommen Sie also, mein Lieber, wenn Sie so mutig und gut sind, denn es gehört Mut dazu, den Anblick von Schmerzen und Mutlosigkeit zu ertragen.

Gute Nacht! Ich will mich in mein Bett legen, das ich eigentlich gar nicht verlassen sollte.


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