Julie de Lespinasse
Die Liebesbriefe der Julie de Lespinasse
Julie de Lespinasse

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197.

Freitags, zehneinhalb Uhr. [März 1776.]

Um acht, als ich Ihren Brief erhielt, konnte ich weder lesen noch schreiben noch diktieren. Ich hatte einen heftigen Anfall von Husten und Schmerzen, so daß ich erst eine Stunde darauf Ihren Brief aufmachen konnte.

Heute morgen waren meine Schmerzen so stark, daß eine Entzündung drohte. Ich habe alles getan, um mir Linderung zu verschaffen, und Sie sehen gewiß ein, in diesem Zustande mußte ich meine Türe verschlossen halten. Der Erzbischof von Aix und zwei andere Besucher waren geraume Zeit vor Ihnen da. Aus welchem andern Grunde sollte ich Sie sonst nicht vorlassen? Weil Sie gestern nicht gekommen sind? Nein, solche Gefühle und Gedanken hat man nur, wenn man sich geliebt weiß, und vornehmlich, wenn man Freude erhofft. Aber in meinem Zustande gibt es davon nichts mehr. Ich schmachte nur nach Erleichterung.

Gute Nacht nun! Ich will mich zu Bett legen. Kommen Sie nicht morgen vormittag. Meine Tür wird bis vier Uhr ausnahmslos für jedermann verschlossen sein. Ich bin nicht mehr Herrin meiner Leiden; sie beherrschen mich, und ich muß mich ihnen fügen. Glauben Sie ja nicht, ich hätte kein Verlangen, Sie zu sehen. Ich bin nur tieftraurig, daß Sie den Abend in so trübseliger Art hier verbringen sollen, während Ihrer anderswo allerlei Fröhlichkeit harrt. Kein Opfer mir zuliebe, bester Freund!


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