Julie de Lespinasse
Die Liebesbriefe der Julie de Lespinasse
Julie de Lespinasse

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3.

Rochambeau, Dienstag, den 17. August [1774]

Liebste Freundin!

Ich bin gestern hier angekommen, gesund und munter. Seien Sie also ganz ohne Sorge! Herr von Rochambeau ist nicht zu Hause. Er hat in Paris zu tun, und er kommt erst morgen zurück. Infolgedessen werde ich zu meinem Leidwesen erst am Donnerstag in Chanteloup sein. Das ist ein verlorener Tag, weil ich sowieso wenig bei den Meinen bin. Warum aber klagte ich nicht ebenso, als ich wegen meiner Erkältung die Abreise von Paris aufschieben mußte? Weil ich Sie hatte! Weil das Glück darüber größer war als die Sehnsucht nach meiner Familie! Erst das Vergnügen, dann die Pflicht; erst die Geliebte, dann die Familie! Ausgenommen große Familienereignisse.

Also am Donnerstag Abend bin ich in Chanteloup. Das ersehnte Ziel ist das noch nicht, denn Nachrichten von Ihnen finde ich erst in Bordeaux. Es wäre grausam von Ihnen, wenn Sie mir nicht dorthin schrieben. Wie dankbar wäre ich Ihnen, wenn Sie sich dazu aufrafften, selbst wenn Ihre Zeilen von nichts anderem sprächen denn von Mora. Sie wissen, liebste Freundin, daß ich Ihren Schmerz achte. Weinen Sie, wenn das Ihnen eine Erleichterung ist!

Mir wird es in dieser Unglücksstadt ebenso ergehen, denn auch für mich birgt Bordeaux trübselige Erinnerungen. Vor fünf Jahren kam ich zum ersten Male dahin, voller Leid, zum Sterben elend. Jetzt ist eine neue Liebe in das damals verzweifelnde Herz eingezogen. Damals stand ich an der Pforte des Todes; es ward mir nicht aufgetan. Ich sollte weiter leben und noch einmal lieben! Wahrlich, ich habe seitdem gelebt. Und mein Leid vergessen!

Wie kläglich schwach ist die menschliche Natur! Wie untreu und unbeständig! Immer kommt der Tag, an dem uns alles, was wir heute lieben und was uns heute wert ist, in nichts zerfällt, während wir leben bleiben und weiter leben!

Ach, lieber sterben als sich noch einmal trösten zu sollen!

Was für ein Brief, Liebste! Er wird Ihre Seele mit Trübsal füllen, und gerade davon wollte ich Sie doch abhalten.

Leben Sie wohl! Ich will spazieren gehen, um, wenn es mir möglich ist, sonnigere Gedanken zu finden. Die Landschaft hier ist ganz eigenartig. Auf der einen Seite die gräßlichste Einöde, herabhängende Felsen über dem Schlosse (ein Teil des Gebäudes ist daraus erbaut), Wälder, die reine Thebäis. Auf der andern Seite eine reizende Aussicht, der Lauf der Loire, Hügel mit Dörfern. Dahin will ich wandern. Unsre Phantasie ist so wandelbar, daß die Gegenstände der Außenwelt, ja selbst die seelischen Vorstellungen sie beeinträchtigen und ewig verändern. Ist das gut? Ist es schlecht? Ach, beides! Alles geht dahin, und wir auch. Das ist das Leben!

Ich bin zurück. Ich lese diesen Brief nochmals durch. Ich zögere, ihn abzuschicken. Doch, Sie sollen ihn bekommen! Warum sollte ich Ihnen eine Wallung meiner Seele verbergen? Und wäre es eine, über die man sich gewöhnlich selber täuscht.

Mein Spaziergang hat mich beruhigt. Andere Dinge beschäftigen mich. Ich habe wunderschön an Sie gedacht. Mir war, unsre Freundschaft hätte nie ein Ende. Ich habe dabei lächeln müssen. Ja, Sie werden mir immer lieb und wert sein. Und ich Ihnen. Tausend Dinge einen uns.

Leben Sie wohl! Schreiben Sie mir! Ich werde es aus Chanteloup tun.

Graf Guibert.


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