Julie de Lespinasse
Die Liebesbriefe der Julie de Lespinasse
Julie de Lespinasse

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50.

Montag, den 29. August 1774.

Der Chevalier d'Aguesseau hat mir erzählt, daß Sie vierundzwanzig Stunden in Chanteloup verweilt haben, daß Sie sich wohl fühlen und am 22. in Bordeaux angekommen sind. Es ist eigentlich ganz natürlich, daß Ihre Freunde Nachricht von Ihnen am Sonnabend den 27. erhalten haben. Ich beklage mich durchaus nicht, daß Sie ihnen den Vorzug vor mir geben, aber mein lieber Freund, es wäre doch süß für mich, wenn ich Anlaß hätte, Sie zu loben und Ihnen für etwas Liebes zu danken, das ich tief empfunden hätte. Meine Seele sehnt sich danach.

Leben Sie wohl! Nun haben Sie drei Briefe ganz kurz hintereinander. Wenn ich am Mittwoch von Ihnen keinen erhalte, so werde ich wohl verstummen dürfen. Alle meine Freunde erkundigen sich bei mir eifrigst nach Ihnen, vor allem d'Alembert.

Ich bin in den letzten Tagen sehr leidend gewesen, aber das ist ja fast der Normalzustand bei mir. Das endlose Leid entkräftet selbst den Trost, der im Sich-beklagen liegt. Nochmals, leben Sie wohl!

Habe ich Ihnen noch nicht erzählt, daß ich Millico habe singen hören? Das ist ein Italiener. Nie, niemals habe ich eine so vollkommene Stimme im Verein mit so viel Seele und so viel Ausdrucksfähigkeit gehört. Wieviel Tränen hat er uns allen entlockt! Wie bewegt er einem das Herz! Ich war erschüttert. Noch nie hat etwas auf mich einen tieferen Eindruck gemacht, mich mehr gerührt, ja mir das Herz zerrissen. Ich hätte diesen Tönen am liebsten lauschen und dabei sterben mögen. Ach, so ein Tod wäre schöner als dieses Leben!


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