Julie de Lespinasse
Die Liebesbriefe der Julie de Lespinasse
Julie de Lespinasse

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154.

Freitag, den 27. Oktober 1775.

Mein lieber Freund, Sie haben am Mittwoch früh versprochen, mir am Abend zu schreiben, aber Sie haben bis zu diesem Augenblick nicht an mich gedacht. Sagen Sie mir doch wenigstens, ob Sie durch Vaines meine zwei Briefe erhalten haben und dazu einen durch die Post, einen vom Dienstag und zwei von gestern, vom Donnerstag.

Ich habe aus Fontainebleau drei Briefe bekommen, alle vom 26. Als ich ihrer ansichtig wurde, war ich nicht im Zweifel, daß von Ihnen kein einziger darunter sei. Wie ungerecht haben Sie mich gemacht! Diese Briefe aus Fontainebleau nehme ich nur mit Widerwillen in die Hände, da sie mir Hoffnungen zuschanden gemacht haben.

Nein, nein. Es ist gar kein Muß, daß man Sie liebt. Sie sind von einer Unruhe und Flüchtigkeit des Wesens, die es unmöglich macht, auf Sie zu bauen. Ich will Sie nicht kritisieren, aber ich verwünsche mich mit meinem letzten bißchen Kraft und Vernunft.

Die Erzbischöfe von Aix und von Toulouse sind heute vormittag nach Fontainebleau abgereist. Mein Lieber, Sie beurteilen den Gesundheitszustand des letzteren mit einem ähnlich tiefen Interesse wie etwa Graf Crillon, wenn er Ihnen berichtet, mir ginge es ausgezeichnet. Es geht ihm gar nicht gut. Sein Zustand macht mich sehr besorgt. Er hält sich vorzüglich, aber ich fürchte nur, das genügt nicht, um ihn gesund zu machen. Er ist heiter und ohne alle Unruhe. Er hängt wenig am Leben, obgleich er wohl nie erfahren hat, was Unglück ist.

Ich bewundere die Gerechtigkeit, mit der Sie die Ministerwahl tadeln. Der Vorschlag geht nicht mehr von Turgot, sondern von Malesherbes aus. Aber ganz wie Sie wollen.

Ich liebe alle beide; nein, das ist nicht das richtige Wort: ich verehre und schätze sie aus innerstem Herzen. Zu Turgot halte ich nicht bloß aus Dankbarkeit. Wenn er vergäße, daß ich auf der Welt bin, so wüßte ich doch immer noch, was er bedeutet.

Leben Sie wohl, mein Lieber! Sie haben mir nicht geschrieben, und doch rede ich mit Ihnen. Da liegen noch drei Briefe und keinen beantworte ich. Das ist noch schlimmer als wie in der Bibel, wo es heißt: Die ersten sollen die letzten sein!

Frau von Martinville ist in Martigny. Sie prozessiert um eine Abfindung von 22000 Franken Jahresrente. So überspannt es Ihnen klingen mag, mein Lieber, so muß ich Ihnen doch sagen, ich hasse, ich verachte das Geld, wenn ich bedenke, daß man alles in der Welt dafür haben kann. Pfui!


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