Julie de Lespinasse
Die Liebesbriefe der Julie de Lespinasse
Julie de Lespinasse

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125.

Montag, den 10. Juli 1775.

Ach, brich mir doch mein Herze ganz!

Ich bin wirklich unglücklich! Ich habe keine Worte, ich bin außer mir. Mein Gott, welche Schmach für mich! Sie schreiben höflich-gefühllos, es genüge Ihnen, wenn Sie ein weißes Blatt bekämen, – und ich Unglückliche bin gerade dabei, während Sie mir Ihren Willen bekunden, Ihnen alles zu sagen, was ich denke und fühle. Ich bin schmerzerfüllt, seelenmüde, empört gegen den, der mir mein Herz verwundet hat. Ach, mein Freund, Sie wollen mich nicht hören, Sie wollen mir kaum antworten. Ich hasse Sie ebenso stark, wie ich mich Ihnen vordem schwach gezeigt habe. Hören Sie doch auf, mich zu martern. Das ist zu viel für mich und noch zu wenig! Vernichten Sie die Liebe ganz, die Sie verschmähen, die Sie nicht teilen können!

Mein Gott, ohne Ihre verfluchte »Lobschrift auf Catinat« wäre ich wieder gesund geworden. Ich wäre bewahrt geblieben vor Ihrem ruchlosen Brief aus Courcelles, bei dessen Erinnerung ich noch zittere vor Wut. Ich hätte nichts mehr von Ihnen erfahren, zumal in der stillen Einsamkeit hier um mich. Ich hätte die Kraft gehabt, zu genesen oder zu sterben. Es ist eine große Sünde von Ihnen, mir das Leben so grausam zu verleiden. Nachdem Sie mir gesagt haben, Sie wüßten, daß ich leide, fügen Sie hinzu, Sie hätten Geschmack am Landleben gefunden und würden von dieser Passion nicht so bald wieder lassen. Ach, Sie wissen, daß Sie mich zu Tode betrüben, und Sie denken nur an sich? Sie haben Lust, auf dem Lande zu bleiben, und keine, mich zu sehen? Ist das wahr? Und wenn es wahr wäre, warum sagen Sie mir das? Dinge, die meine Seele in Aufruhr bringen müssen, sollten Sie mir verschweigen. Ja, das wäre Ihre Pflicht. Glauben Sie ja nicht, daß es nur eine einzige Sorte von Pflichten gibt und daß man schon alle erfüllt habe, wenn man bloß denen nachgekommen ist, die sich um das eigene Wohl drehen, und etwa noch denen, die von der Gesellschaft herkömmlich gefordert werden. Gewiß genügt diese Art Pflichterfüllung den groben Alltagsgeistern, deren Vorstellung vom Glück Geldwert hat und die den Menschen nach der Achtung und Anerkennung der Toren um sich herum einschätzen. Ich aber appelliere hierin an Ihr Gewissen. Das meine wird Sie richten, wenn meine Leidenschaft stumm geworden ist!

Lieber Freund, Sie haben mir weh getan. Ihre Briefe sind kalt, trübsinnig und selbstsüchtig. Kein Wort steht darin, das aus dem Herzen käme! Warum flutet denn mein Herz in das Ihrige über? Warum liebe ich Sie, wo ich so viele bedeutsame Gründe hätte, Sie nicht zu lieben? Weil ich Sie nicht liebe wie die meisten Frauen aus fader alberner Eitelkeit oder aus Langerweile?

Leere und Langeweile kenne ich nicht. Meine Seele hätte noch ein Jahrhundert lang zu tun mit meiner Liebe und meinem verlorenen Geliebten. Mein Leben hätte an tausend Dingen Anteil, wenn ich wollte. Ich muß mich dauernd vor tiefgehenden Einflüssen geradezu wehren. Sehen Sie also, es war ein ganz besonderer Unstern, der mich zu tödlicher Pein verurteilt hat. Und dabei sind Sie der kühle Zuschauer! Sie wollen kein Lebenszeichen von mir! Ein Blatt weißes Papier genügt für die paar Gedanken und Gefühle, die Sie für mich haben, mein Freund! Und ich schrieb Ihnen wahre Bücher von Briefen. Wie ungeschickt und töricht von mir! Ich bin außer mir, aber ich will mich ein wenig an Ihnen rächen, indem ich Ihnen sage: in Ihrem letzten Briefe, den ich eben beantworte, in dem vom I. Juli, kommt eine gewisse Entgleisung vor. Das wäre an sich nichts weiter als eine Geschmacklosigkeit, aber in diesem Falle ist es ein gröberer Fehler, nicht bloß ein Verstoß gegen den feinen Geschmack und den guten Ton. Ich werde den Brief aufheben und Sie damit ärgern. Wenn Sie mich dann nicht hassen, dann müssen Sie ein sehr guter Junge sein.

Ach ja, gut und lieb sind Sie, ach, aber auch sehr schlecht, sehr hart, sehr wetterwendisch. Aber was alles aufhebt und alles übertrumpft, ist, daß Sie geliebt werden. Ich wage dieses Wort nicht immer wieder in meine Briefe zu setzen; es sähe so aus, als ob ich sagen wollte: Ich bin toll! Und Sie wären rasch dabei, es mir zu glauben. Narren machen einem immer Spaß. Aber ich will Sie quälen, ich will Sie tyrannisieren. Sie sollen einmal eine Stunde so leiden, wie ich mein ganzes Leben lang leide....

Da fällt mir ein, ich habe Ihnen noch gar nicht von dem kleinen Ring erzählt, den Sie mir bei der Abreise geschenkt haben. Er ist so recht das Symbol aller unserer Erlebnisse! Ich steckte ihn an meinen Finger, und zwei Stunden später war er entzwei. Das ist durchaus kein Scherz; es war mir ein sehr betrübsames Vorzeichen. Wenn es der Koh-i-noor gewesen wäre, den ich verloren hätte, so wäre ich sicherlich nicht so betroffen gewesen. Kommen Sie, mein lieber Freund, bringen Sie mir einen Ring, so fest und unzerbrechlich wie meine Liebe. Der, den Sie mir geschenkt, der glich Ihrer Liebe. Er hielt nichts aus.

Ich habe Ihr Briefchen dem guten Condorcet vorgelesen. Es war ja so artig, wie es nur sein konnte. Da stand drin: Sie liebten nur noch Ihre Studien! Und dann wieder: Sie verachteten den Ruhm! Wahrlich, Sie sind ein großer Philosoph, wenn Sie schlechte Laune haben! Aber den kommenden Winter, da werden Sie so glücklich sein, so reich, so lustig, in tausend Zerstreuungen! Dann ist von Ihrer melancholischen Lebensweisheit keine Rede mehr. Warum auch nicht? Sie sind noch lange nicht alt; Ihr Kopf ist noch sehr jugendlich. Und Ihr Herz muß noch von mancherlei Schlacken geläutert werden.

Lieber Freund, ich bin recht unausstehlich, nicht wahr? Ich nörgle ewig an Ihnen herum, aber ich liebe Sie mehr als alle, die Ihnen immer schmeicheln.

Leben Sie wohl! Schreiben Sie mir also und ordentlich!


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