Julie de Lespinasse
Die Liebesbriefe der Julie de Lespinasse
Julie de Lespinasse

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181.

Mittwochs, mittags. [4. Januar 1776.]

Ich verstehe nicht, was das bedeuten soll. Sie sprechen von dem Hauswirte [meiner neuen Wohnung] und sagen, nie sei Ihnen etwas Schwierigeres vorgekommen. Wieso? Warum? Das begreife ich nicht. Aber da Sie sich nun die Mühe machen, den Mietsvertrag ausfertigen zu lassen, so bitte ich, bloß nicht am Freitag! Das ist ein schauderhafter Tag für mich. Wenn es Ihnen gleich ist, nehmen Sie den Sonnabend dazu. Gut, ich werde ihn am Sonnabend unterschreiben. Verzeihen Sie mir alle diese Belästigungen!

Nein, ich werde nicht wieder zu Ihnen schicken, ich werde Sie nicht wieder nötigen, mir Ihre Zeit zu widmen. Offenbar tue ich etwas Widernatürliches, wenn ich uns beide näher zu bringen suche. Wir können einander nie ganz nahe kommen, denn es trennt uns allzuviel: unsre Charaktere, unsre Lebensumstände, unsre Geschmacksrichtungen, unsre Jahre! Wir müssen uns also dem fügen, das stärker ist als der Wille, stärker sogar als die Liebe: dem Unabänderlichen! Sie sind verheiratet, damit sind Ihnen Ihre Hauptpflicht, Ihr Wirkungskreis, Ihr Vergnügen bestimmt. Bleiben Sie dem treu, und bedenken Sie, daß eine empfindsame Seele sich nicht mit dem begnügen kann, was nebenbei vielleicht für sie abfiele. Jede Teilung ist schmählich, und es ist besser, ganz zu verzichten. Lassen Sie mir meine trübselige Zukunft, lassen Sie mich in jenem Frieden sterben, den ehrenhafte Resignation gewährt!

Aus Entkräftung und Erschöpfung meines ganzen Ichs muß ich die wilden Kämpfe der Leidenschaft meiden. Ich möchte mich ausruhen, wieder zu Atem kommen und als Trost nichts als ein bißchen zärtliche Freundschaft. Gewähren Sie das. Nehmen Sie mir nicht den letzten Trost, die letzte Linderung! Lassen Sie mich und widmen Sie sich ganz Ihren Neigungen, Ihren Pflichten und Ihrem Ehrgeiz. Mehr brauchen Sie nicht, um Ihrem Leben einen vollen Inhalt zu geben.

Kommen Sie heute abend nicht! Sie finden anderswo mehr Erholung und herrlichere Freuden als bei mir. Übrigens bin ich gestern abend zu Haus geblieben, und ich kann nicht zwei Tage vergehen lassen, ohne nicht Frau von Saint-Chamans zu besuchen, die krank ist. Wenn Sie wollen, sehe ich Sie morgen. Ich bin morgen zu Tisch beim [neapolitanischen] Gesandten [Caraccioli] und werde abends nicht ausgehen. Heute bin ich mittags bei Frau Geoffrin.

Viele Grüße!

Von allen, die ich kenne, von allen, die ich lieb habe, sehe ich Sie am wenigsten. Ich beklage mich nicht darüber, im Gegenteil, ich sage mir, das ist nicht anders möglich, und denke rasch nicht mehr an das, was ich doch nicht ändern kann.

Ich bitte Sie um meine Briefe. Ich möchte sie aus einem ganz bestimmten Grunde dieser Tage haben.

Anbei Ihr Buch!


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