Julie de Lespinasse
Die Liebesbriefe der Julie de Lespinasse
Julie de Lespinasse

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169.

Freitags, am Abend. [Dezember 1775.]

Sind Sie noch immer zufrieden? Ist Ihr Eifer noch nicht erkaltet? Haben Sie keine von all Ihren Hoffnungen und Erwartungen aufzugeben? Kurz, mein Lieber, sind Sie zufrieden? Haben Sie die endgültigen Anordnungen für den »Konnetabel« getroffen? Haben Sie Ihre Logen? Ihre Billetts? Bleibt es morgen vormittag bei der Probe? Werden Sie bei dieser Menge Dinge einen Augenblick mir schenken?

Die Antwort auf diese letzte Frage ist mir nicht das Unwichtigste. Ich sehne mich nach Ihnen. Mein Herz verschmachtet.

Denken Sie sich, mein Lieber, der Glanzpunkt dieses Tages war ein köstliches Diner, von dem ich allerdings heimgegangen bin, gequält von Vorwürfen und Reue, daß ich zu schwach und doch auch zu stark gewesen war. Sie kennen meine Vorliebe für Tafelfreuden, die bis zur Leidenschaft geht. Ach, ich habe genug davon auf zehn bis vierzehn Tage. Die Ärzte, diese Ignoranten oder Barbaren, behaupten, das wäre ein schlechtes Zeichen für meine Lunge. Wenn ich ein Mittel gegen den Husten hätte, wollte ich mich wenig um ihr Prognostikum scheren.

Geistreiche Menschen habe ich bei diesem Festmahle nicht bemerkt. Sie waren alle ebenso neugierig wie töricht. Selbst der Gesandte [der Marquis Caraccioli] hat sich im Genre des Langweiligen produziert. Stellen Sie sich vor: eine geschlagene Stunde lang hat er italienische Verse vorgelesen. Na, man hat mich gehörig angeödet, aber ich habe mich genau so mißliebig gemacht. Ich habe ununterbrochen gehustet.

Gute Nacht, mein Lieber! Ich erinnere mich, daß ich Sie liebe, aber ich fühle es nicht.

Apropos. In allem Ernst. Ich muß mir eine andere Wohnung suchen. Seit heute früh weiß ich, daß ich diese nicht behalten kann, selbst wenn ich wollte. Sehen Sie sich also mal um!


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