Julie de Lespinasse
Die Liebesbriefe der Julie de Lespinasse
Julie de Lespinasse

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3.

Montag, den 24. Mai 1773.

Was denken Sie über mich Törin? Kaum darf ich nur schmeicheln, daß Sie mich anhören, und schon überlaufe ich Sie.

Sie haben neulich einmal gesagt, lange Briefe pflege man zu schreiben: an seine Freunde, an Leute, die einem zusagen, an solche, mit denen man gern plaudere. Wenn Sie die Wahrheit gesprochen haben, so sind Sie nun gezwungen, wo nicht mit Anteilnahme, doch wenigstens mit Nachsicht zu lesen, was ich schreibe. Ich übergehe soeben den langen Brief noch einmal. Mein Gott, wie nichtssagend kommt er mir vor! Doch was nützte es, wenn ich noch einmal anfinge: er würde doch nicht besser. Ich bin wirklich nur dazu da, auf jede Weise Langeweile zu bereiten; ich bin trübsinnig und abgestorben. Sagen Sie selbst, läßt sich damit etwas anfangen?

Ich möchte Ihnen nun mancherlei Fragen vorlegen. Antworten Sie darauf! Das wäre sehr liebenswürdig von Ihnen.

Haben Sie Diderots Brief erhalten? Er gedenkt am 6. Juni abzureisen; so werden Sie ihn also in Rußland treffen. Warum sind Sie eigentlich nicht am Mittwoch weggefahren? Waren Sie es selber oder jemand anders, dem Sie diese vierundzwanzig Stunden geschenkt haben? Haben Sie das Buch von Thomas mitgenommen? Ich wünschte es. Es ist wie auf den Ton Ihrer Seele gestimmt. Es ist vornehm, kraftvoll und edel geschrieben, zweifellos nicht ohne etliche Mängel, aber stilistisch freier von Schwulst und Überspanntheit als seine früheren Werke. Begriffserklärungen und Aufzählungen kommen zuviele drinnen vor; das ermüdet ein bißchen. Insbesondere fällt es ihm sehr schwer, sich von Dingen wieder los zu machen, die sein Augenmerk gefesselt haben.

Ich war gezwungen, diese Lektüre ein paar Tage beiseite zu legen. Es ist der Briefträger, der zweimal in der Woche über meine ganze Lebensbetätigung entscheidet. Gestern war mir das Lesen unmöglich. Ich suchte immer nach dem mir fehlenden Briefe, und wenn ich noch so im Thomas geblättert hätte, dort hätte ich ihn doch nicht gefunden.

Sie haben mir Nachrichten aus Straßburg versprochen. Sind Sie jetzt nicht selber über die Verbindlichkeit erschrocken, die Sie eingegangen sind: mir häufig zu schreiben? Empfinden Sie keine Reue über den Leichtsinn, mit dem Sie einer Ihnen gewidmeten eifrigen Teilnahme nachgegeben haben? Es ist ärgerlich, sich hundert Meilen weit um andere kümmern zu sollen. Nur darin liegt Genuß, wozu einen gerade die Lust und die Laune drängt. Sehen Sie, ich bin großmütig. Ich will Ihnen Ihr Wort zurückgeben, wenn Sie sich etwas übereilt zu haben glauben. Gestehen Sie es mir ein, und ich gelobe Ihnen, nicht beleidigt zu sein. Glauben Sie mir, es käme nur die Eitelkeit in Gefahr, und ich habe keine. Ich bin nichts als ein treuherziges, recht dummes, sehr natürliches Geschöpf. Glück und Vergnügen dessen, den ich liebe, liegen mir weit mehr am Herzen als alles, was mich selber betrifft. Nach dieser genaueren Bekanntschaft mit meiner Natur machen Sie es sich so bequem, wie es Ihnen beliebt, und schreiben Sie mir selten, viel oder gar nicht. Doch bilden Sie sich nicht ein, daß eins mich ebenso wie das andere zufriedenstelle. Nein. Ich besitze zwar noch weit weniger Gleichgültigkeit als Eitelkeit, doch dafür eine Kraft, eine Fähigkeit, die alles aufwiegt: zu leiden und viel zu leiden, ohne zu klagen.

Leben Sie wohl! Sind Sie imstande gewesen, so weit zu folgen? War das nicht unerträglich langweilig?


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