Julie de Lespinasse
Die Liebesbriefe der Julie de Lespinasse
Julie de Lespinasse

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15.

Montag, den 16. August 1773.

Ich öffne meinen Brief noch einmal, um Ihnen zu sagen, wie sehr mich Ihre Güte rührt, unruhig über die ausbleibenden Nachrichten von mir zu sein. Ich begreife den Grund nicht, denn ich beauftrage immer nur Freunde damit, meine Briefe auf die Post zu schaffen.

D'Alembert hat gestern Ihren Brief vom 6. erhalten. Ich habe es übernommen, Ihnen zu antworten, und ich kann Ihnen nicht sagen, wie bekümmert und froh zugleich ich darüber bin, Ihnen Sorge gemacht zu haben. Wäre es meine Schuld, so würde ich untröstlich sein.

Warum haben Sie eigentlich aufgegeben, nach dem Norden zu fahren? Ich kann mir nicht denken, daß das lediglich geschieht, um Ihre Reise zeitlich abzukürzen. Wem zuliebe verzichten Sie denn auf Schweden? Ein gewisser jemand hat es gefordert, und damit sind Sie zufrieden: die Sehnsucht des Betreffenden belohnt Sie genug. Und da Ihre Heimkehr beschleunigt wird, so liebe ich den Menschen oder die Sache, die schuld daran ist.

Freilich, nächstes Jahr müssen Sie doch nach Rußland. Und dann: gleich nach Ihrer Ankunft gehen Sie nach Montauban? Und dann auf die Güter? Und dann dahin, wo Sie Ihr Vergnügen finden, wo Sie das Glück suchen? Und dann? Und dann? Was hilft's? Alles das ist nicht so schlimm wie Schweden. Irgend etwas, ich weiß nicht was, flüstert mir zu, ich solle mich nicht über Dinge aufregen, die das nächste Jahr bringt. Wie Sie immer sagen: Wer weiß, wie viele Mal man da schon gestorben ist! Aber warum schreiben Sie nicht mir zuerst von der Abkürzung Ihrer Reise? Ich hätte es gern einen Tag eher gewußt.

Sie haben mir einen Vorwurf gemacht. Ich habe Lust, dasselbe zu tun. Sind Sie die Ursache einer gewissen Bemerkung des Chevaliers von Chastellux? Er behauptet, ich sei stark in Sie verliebt. Woher weiß er das? Nur Sie und der, dem ich alles sage, waren bis dahin in mein Geheimnis eingeweiht. Haben Sie ihm geschrieben? Wenn dem so wäre, so müßte ich Ihnen halb danken, halb mich über Sie beklagen.

D'Alembert ist in diesem Augenblicke bei Frau Geoffrin. Ich zweifle keinen Augenblick, daß sie sich ein Vergnügen daraus machen wird, Sie dem Könige von Polen zu empfehlen. Verstehen Sie, daß man darauf eitel sein kann, Sie zu loben, Sie zu lieben? Doch um alles, glauben Sie nicht, daß dies das Band sei, das mich zu Ihnen hingezogen hat! Das wäre nichts festes!

Ich hoffe, vor Ihrer Abreise von Wien sind Sie mit Briefen von mir bis zum Überdruß überhäuft gewesen. Vergessen Sie nicht, daß Sie mir abermals den Empfang von fünfen zu vermelden haben, diesen eingerechnet! Es wäre sehr liebenswürdig von Ihnen, wenn Sie mir auf alle meine Fragen antworten wollten. Aber dazu fehlt Ihnen die Zeit und vielleicht auch das Vertrauen. Da es mir weder an Nachgiebigkeit noch an Duldsamkeit mangelt, so will ich Ihnen alles verzeihen, wenn Sie wieder da sind. Wann ist das? Bald? Kommen Sie heim, schon um mit Chastellux die Reise der Jagd in der Brétenèche zu genießen!

Ich glaube, ich habe wunderlicherweise einen Punkt in diesem Riesenbriefe unerwähnt gelassen: meinen Gesundheitszustand. Er ist abscheulich. Ich huste mich zu Tode, so stark, daß ich Blut auswerfe. Einen Teil des Lebens bringe ich hin, ohne sprechen zu können. Meine Stimme ist erloschen. Von allen Mißlichkeiten ist das diejenige, die am besten zu meiner Gemütsstimmung paßt. Ich liebe die Stille, die Andacht, die Einsamkeit. Schlafen kann ich gar nicht oder fast gar nicht, aber ich langweile mich niemals. Wollen Sie mir glauben, daß ich glücklich bin? Wenn ich hinzufügte, daß ich meinen Zustand mit keinem andern auf der ganzen Welt tauschen möchte, so würden Sie gar glauben, ich sei im Paradiese. Da haben Sie aber nicht recht. Um dorthin zu kommen, dazu muß man erst tot sein. Ich möchte es schon sein.

Aber kommen Sie und schreiben Sie mir viel, recht viel!


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