Julie de Lespinasse
Die Liebesbriefe der Julie de Lespinasse
Julie de Lespinasse

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67.

Sonnabend, den 15. Oktober 1774, um drei Uhr, nach dem Eintreffen der Post.

Ich habe zu Hause Mittag gegessen, um Ihren Brief eine Stunde früher zu haben.

Ich wage Ihre Rückkehr nicht herbeizuwünschen, aber ich zähle die Tage Ihrer Abwesenheit. Mein Gott, wie sind sie lang, wie lasten sie auf meiner Seele! Wie schwer ist es, wie geradezu unmöglich, sich einen Augenblick der Sehnsucht zu entziehen. Die Bücher, die Gesellschaft, die Freunde und alle sonstigen illusorischen Zerstreuungen kommen doch auf nichts anderes heraus, als einem den Wert und den Reiz des Fehlenden nur um so fühlbarer zu machen.

Ich antworte Ihnen nicht im einzelnen. Was Sie mir über den Marquis von Mora sagen, hat mich im tiefsten Herzen gerührt. D'Alembert hat an Herrn von Fuentès geschrieben, aus eigenem Antriebe. Als er mir seinen Brief vorlas, weinte er, und ich brach auch in Tränen aus. Es war herzzerreißend.

Lieber Freund, ich will mich mit Ihnen beschäftigen und eine Tat vor Ihnen rechtfertigen: ich habe Ihre Briefe verbrannt.

Ich rechnete darauf, dieses Opferfeuer keine vierundzwanzig Stunden zu überleben. Als ich es tat, war mein Blut, war mein Herz zu Eis erstarrt vor Hoffnungslosigkeit. Erst acht Tage hinterher habe ich den mir angetanen Verlust voll begriffen. Ach, zwanzig-, hundertmal habe ich es beklagt, Ihre Briefe verbrannt zu haben. Nichts kann mir diesen Verlust wieder ersetzen. Ich bin untröstlich darüber. Bringen Sie mir meine Briefe zurück! Wir wollen sie auch verbrennen.

Leben Sie wohl, mein lieber Freund. Sind Sie nicht müde, dieses Gekritzel zu lesen?


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