Julie de Lespinasse
Die Liebesbriefe der Julie de Lespinasse
Julie de Lespinasse

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

51.

Sonnabend, den 3. September 1774, früh.

Jene »kühlen, bitteren« Zeilen, auf die Sie geantwortet haben, die werfe ich mir keineswegs vor. Sie waren der gerechte Ausdruck der Stimmung, die mich damals in Besitz nahm und mich hoffentlich nicht mehr verläßt. Was ich mir vorwerfe, was mich in meinen Augen verächtlich macht, das ist die grenzenlose Schwachheit, die mich immer noch zu Ihnen hinzieht. Ich habe Ihnen meine Liebe bekannt. Ich habe meine Freude daran gehabt. Sie war tödliches Gift! Ich bin eine Unglückliche, verdammt zur Trübsal. Nur mit Grauen blicke ich auf die Zeit, die seit jenem Augenblick verflossen ist, da ich Sie zum ersten Male gesehen habe. Wahrlich, ohne Sie hätte ich die qualvollste aller Foltern nie kennen gelernt, die Reue. Ohne Sie wäre ich vielleicht vor herzzerreißendem Leid bewahrt geblieben, wäre nicht verdammt worden, blutige Tränen um das Andenken eines Freundes zu vergießen, weil ich mir vorwerfen muß, ihm die letzten Lebenstage getrübt zu haben. Solches Gift, wie Sie mir in die Seele träufeln, habe ich in die seine gegossen. Er kannte keinen Argwohn, bis er ihn durch mich kennen lernen mußte. Seitdem waren seine Briefe und ebenso sein Herz voller Unruhe und Schmerz. Sie waren es, Sie haben das grausamste Leid über den edelsten Mann gebracht, der der höchsten Liebe wert war. Ach, in welche Wüste haben Sie mich geführt, weit ab von den Grenzen des Landes der Tugend und der Menschlichkeit!

Und, mein Gott, wem habe ich dieses Opfer gebracht? Einem Manne, der mir nie wirklich gehört hat, der hartherzig und unritterlich genug ist, mir zu erklären, er habe mich genommen, ohne mich zu lieben. Nachdem er Verrat begangen, mich tausendmal betrogen hat, macht er sich ein barbarisches Vergnügen daraus, mir die Wahrheit zu enthüllen, die mich erniedrigt und zur Verzweiflung bringt. Mein Gott, soll ich denn gar keine Rache dafür haben? Soll ich mich wirklich damit begnügen, voll Haß zugrunde zu gehen?

Es fällt mir durchaus nicht ein, Sie schonend zu behandeln. Ich will wenigstens die Befriedigung genießen, Ihnen alle meine Gedanken zu offenbaren. Ihnen gegenüber habe ich nichts zu verlieren; im Gegenteil, ich will, nichts soll sich erhalten. Somit setze ich das Schlimmste voraus. Ich sehe es, ich bin überzeugt davon, und ich werde Kraft genug haben, es zu ertragen. Verlieren Sie meinethalben diesen Brief, wie Sie das so zu tun pflegen, oder heben Sie ihn auf, wenn Sie das lieber wollen, und geben Sie ihn der zu lesen, die Ihnen so teuer ist und mit der Sie in so zarten Banden stehen. Mit einem Worte, machen Sie damit ganz was Sie wollen. Ich habe von Ihnen nichts mehr zu befürchten. In Wahrheit sind Sie für mich nicht so gefährlich gewesen, wie ich das in meiner Empfindsamkeit und Unschuld geglaubt habe.

Leben Sie wohl! Wenn Sie eines Tages meiner mit Bedauern gedenken müssen, wenn Sie Reue empfinden werden, dann werde ich gerächt sein.


 << zurück weiter >>