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Über die ganze Erde verbreitet und gleicherweise auch fast allenthalben in jeder Örtlichkeit, ebensowol auf den höchsten Gebirgen wie in der Wüste, tief inmitten des Hochwalds wie auf den fruchtbaren Fluren, in irgendwelchen Arten heimisch, stehen die Raubvögel in vielfacher Hinsicht hoch über den meisten ihrer Genossen da. Ihre geistige Begabung ist bedeutend und ebenso sind sie körperlich vorzüglich ausgerüstet. Als ihre besonderen Kennzeichen müssen folgende gelten.
Der Körper ist kraftvoll, gedrungen, mit den kräftigsten Muskeln und derbem, hartem, nur bei manchen weichem und lockerm, bei allen düster oder doch nicht auffallend gefärbtem Gefieder. Der Kopf ist verhältnißmäßig dick, rund, breit- und hochstirnig. Der Schnabel ist immer verhältnißmäßig kurz, aber überaus stark und hart, scharfrandig, der Oberschnabel hakig gekrümmt mit scharfer Spitze; die Wachshaut ist nackt und die runden oder länglichen Nasenlöcher sind theils offen, theils mit Federchen verdeckt. Die Augen sind groß, rund, grellfarbig, ungemein scharfsichtig und meistens von einer nackten farbigen Haut umgeben. Die Flügel sind groß, bei manchen lang und spitz, bei anderen mehr gerundet, mit zehn ersten und zwölf bis sechszehn zweiten Schwingen. Der Schwanz besteht in zwölf bis vierzehn Federn und ist gerade abgeschnitten, gerundet oder auch stufig, seltner ausgeschnitten. Vorzugsweise kraftvoll sind die Füße, deren Beine (Fänge) meistens tief hinab befiedert (behost) sind, und die Zehen, deren drei nach vorn und eine nach hinten stehen, zuweilen eine Wendezehe, sind mit sehr großen, gekrümmten, scharfspitzigen, an der Unterseite meistens rinnenartig vertieften Krallen bewehrt. Bei den Raubvögeln ist, abweichend von fast allem andern Gefieder, das Weibchen stets größer, auch lebhafter gefärbt als das Männchen. Im übrigen ändern sie sowol in den Alters- als auch Geschlechtskleidern außerordentlich mannigfaltig ab und ganz stichhaltige Beschreibungen sind daher bei ihnen viel schwieriger als bei anderen Vögeln zu geben. In der Größe wechseln sie von Sperlingsgröße bis zu der unserer allergrößten einheimischen Vögel überhaupt, als welche wir Adler und Geier vor uns sehen.
Unter allen Vögeln gehören sie zu den tüchtigsten Fliegern, und zwar ebensowol hinsichtlich der Schnelligkeit als auch der Ausdauer des Flugs. Obwol sie, wie erwähnt, überall vorkommen, so leben sie vorzugsweise doch im Wald und viele sind ausschließlich Baumvögel. Fast jeder von ihnen hält sich außer der Nistzeit einzeln für sich, in der letztern sieht man sie parweise zusammen und nur wenige Arten sind zeitweise auch gesellig und zwar eigentlich nur auf dem Zuge. Ihr Nest, Horst genannt, wird von beiden Gatten des Pärchens gemeinschaftlich errichtet, steht meistens auf einem sehr hohen Baum oder unzugänglichen Felsen, bei einigen in Baumhöhlen oder in Löchern an hohen Gebäuden, bei anderen in Erdhöhlen und bei manchen flach an der Erde; es ist immer eine kunstlose, aus mehr oder minder starken Ästen und Reisern aufgeschichtete und mit weicheren Stoffen ausgerundete Mulde, welche ein Gelege von gewöhnlich nur wenigen einfarbigen oder bunten Eiern enthält. Seltsamerweise wird der Horst der größten Raubvögel, so namentlich der Adler – in gleicher Weise wie der des weißen Storchs – bei uns oft von Sperlingen und in fernen Welttheilen auch von mancherlei anderen Vögeln bewohnt, sodaß es dem Beobachter wol recht seltsam erscheint, wie die furchtbaren Räuber dem kleinen gefiederten Gesindel gleichsam Obdach gewähren oder sich doch garnicht um dasselbe kümmern. Fast alle unsere einheimischen Arten nisten früh im Jahr und nur einmal. Die mit dichtem Wollflaum bedeckten Jungen sind Nesthocker und als solche unbeholfen; sie bleiben sehr lange Zeit im Nest und werden von den Alten muthvoll vertheidigt. Die Fütterung geschieht anfangs aus dem Kropf, durch Vorwerfen der vorbereiteten Nahrung und späterhin von lebenden verwundeten Thieren. Außer allerlei Säugethieren und Vögeln, welche sie erhaschen und überwältigen können und die sie größtentheils im Fluge schlagen, fressen sie auch Fische, ferner Kerbthiere, Würmer, Weichthiere u. a., sodann rauben sie Vogeleier aus den Nestern und, allerdings manche nur, fressen das, wenn auch bereits in Fäulniß übergehende Fleisch von todten Thieren (As). Die geschlagne, d. h. die mit den scharf bewehrten Fängen ergriffne und mit dem Schnabel verwundete Beute wird, oft noch lebend, zerfleischt und in großen losgerissenen Stücken hinabgeschlungen. Alle in der Nahrung befindlichen unverdaulichen Stoffe, wie Hare, Federn, Knochen, Gräten, werden in länglichen oder runden Ballen, das Gewölle genannt, ausgeworfen. Von den Raubvögeln werden verhältnißmäßig viele Arten in der Gefangenschaft gehalten, allerdings eigentlich fast nur in den Naturanstalten, den zoologischen Gärten u. a. Beiläufig haben indessen auch einige, wie die kleinsten Eulen, kleine Falken u. a., als Stubenvögel Bedeutung. Von hohem Werth waren früher die Falken, und obwol dies gegenwärtig nur noch in bedingter Weise der Fall ist, so muß ich doch weiterhin die Falkenjagd wenigstens beiläufig schildern. Man theilt die Raubvögel in drei Familien: Geier, Falken und Eulen.