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Die Kletterer (einschließlich der Leichtschnäbler [Schreivögel]).

Bedauerlicherweise haben wir noch immer kein stichhaltiges System, nach welchem wir alle unsere Vögel folgerichtig aneinandergereiht überblicken könnten. Die Ornithologen oder Vogelkundigen von Fach sollten, anstatt sich mit Angelegenheiten zu beschäftigen, die ihnen weder Ehre machen noch wirklich Vortheil bringen, es sich angelegen sein lassen, ihre Bestrebungen darauf zu richten, eine klar übersichtliche wissenschaftliche Aneinanderreihung der Vögel ( ein ornithologes System also) aufzustellen. In Ermanglung desselben bleibt uns, d. h. Allen, die sich mit Vogelkunde beschäftigen und auf diesem Gebiet literarisch thätig sind, zunächst nichts andres übrig, als, selbst auf die Gefahr hin, daß die Zersplitterung immer größer und die Verwirrung wahrlich nicht geklärt werde, Jeder nach seinem besten Ermessen sich zu bemühen, die Vögel so einzutheilen und aneinander zu reihen, wie er es für die Leser seiner Schriften am vortheilhaftesten ansieht. Neuerdings ist nun zwar seitens einer hervorragenden Vereinigung, dem vom internationalen Kongreß zu Wien i. J. 1884 gewählten ornithologischen Komité zur Errichtung von Beobachtungsstationen über die ganze Erde ein Verzeichniß von Vogelnamen aufgestellt worden, aber dasselbe gibt weiter nichts als eben die Benennungen, ohne nähere Kennzeichnung und Begründung – und das System fehlt also noch immer. So muß ich die Leser nothgedrungen um Entschuldigung bitten, wenn ich in diesem, wie in allen meinen übrigen Büchern, unbekümmert meinen eignen Weg gehe, und nicht in der Darstellung allein, sondern namentlich auch in der Aneinanderreihung und Benennung mich lediglich von den Gesichtspunkten leiten lasse, welche ich für richtig halte.

Kletterer oder Klettervögel sollen Angehörige einer Gruppe sein, die in folgenden Merkmalen übereinstimmen. Ihr Körper ist kräftig, mehr lang gestreckt, mit straff anliegendem, hartem Gefieder, dessen Federn jedoch bei den einzelnen Arten in Bau und Farbe sehr verschieden sind.

Der Kopf ist groß mit flacher Stirn und kurzem, überaus muskelkräftigem Nacken und Hals. Der Schnabel ist lang oder doch wenigstens mittellang, meistens sehr stark und keilförmig, zum Theil aber auch schwach und gebogen, immer sehr spitz und scharf. Die Flügel sind mittellang, gerundet und meistens breit. Der Schwanz besteht bei allen aus sehr starken, harten, widerstandsfähigen Federn, welche beim Klettern zum Stützpunkt dienen müssen. Die verhältnißmäßig kurzen Füße haben lange, stark gekrallte Zehen, von denen zwei nach vorn und zwei nach hinten stehen (Kletterfuß); nur wenige, hierhergehörende Arten haben drei Zehen nach vorn und eine nach hinten, und bei einer noch geringern Anzahl sind überhaupt nur drei Zehen vorhanden.

Da die Gruppe der Klettervögel, wie erwähnt, an sich ungemein verschiedenartig ist, so muß ich natürlich alle einzelnen hierhergehörenden Geschlechter, jedes an seiner Stelle, näher beschreiben. Die Verbreitung aller zusammengenommen erstreckt sich über die ganze Erde, während einzelne in ihrem Vorkommen allerdings auf verhältnißmäßig enge Grenzen beschränkt sind. Zum Aufenthalt wählen sie alle den Wald oder doch Bezirke, welche reichlichen und hohen Baumwuchs haben. Ihre Nahrung besteht fast ausschließlich oder doch wenigstens vorzugsweise in Kerbthieren, und da sie meistentheils als verhältnißmäßig große Vögel viel Nahrung bedürfen, so sind sie für den Naturhaushalt und das Menschenwohl, vornehmlich für das Gedeihen und die Erhaltung der Wälder, überaus nützlich und in ihrer ganzen Thätigkeit bedeutungsvoll; manche fressen zeitweise auch Sämereien und Früchte, ohne jedoch nennenswerthen Schaden zu verursachen. Viele der hierhergehörenden Vögel meiseln sich selber Löcher in die Baumstämme zur Nachtruhe, ebenso steht dann das Nest in irgendwelchen Ast- und Baumlöchern und nur selten, bei wenigen Arten, in Felsenspalten, Mauerlöchern u. a. Von einem eigentlichen Nest kann bei fast allen von ihnen übrigens garnicht oder doch nur kaum die Rede sein, die Eier liegen vielmehr in der Höhlung auf dem bloßen Holz, losgehackten Spänen oder dem Mulm, untermischt mit wenigen Federn des Weibchens.


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