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Die Wendehälse ( Jynginae)

unterscheiden sich von den Spechten nur durch folgende Merkzeichen:

Sie sind wenig über Finkengröße, von schlanker, langgestreckter Gestalt, schlicht gefärbt mit glatt anliegendem, doch überaus lockerem und weichem Gefieder; der schwache kegelförmige, spitze und gerade, verhältnißmäßig kurze Schnabel ist am Grunde breiter als hoch und hat unbedeckte Nasenlöcher; die Spechtzunge ist jedoch ohne Widerhäkchen; der Kletterfuß stimmt mit denen der Spechte überein, doch sind die Krallen weniger scharf und kräftig; die Flügel sind kurz und fast gerundet und die dritte Schwinge ist am längsten; der abgerundete Schwanz besteht aus zehn langen Mittel- und zwei verkürzten Seitenfedern und kann nicht zum Anstemmen beim Klettern gebraucht werden.

Da wir nur eine europäische Art vor uns haben, so werde ich diese eingehend schildern.


Der Wendehals ( Jynx torquilla, L.).

Tafel XVIII, Vogel b.

Tafel XVIII. Gartengäste:
a. Schleiereule (Strix flammea, L.),
b. Wendehals (Jynx torquilla, L.),
c. Schwarzdrossel (Turdus merula, L.)

Aus meiner Jugendzeit her knüpft sich eine Erinnerung an diesen Vogel. Da saß ich im Bienengarten eines Verwandten auf dem Lande und hatte ein wichtiges Ehrenamt übernommen – denn ich mußte auf das Schwärmen der nutzbringenden Kerbthiere achten und dafür sorgen, daß kein Bienenschwarm verloren gehe. Das Grundstück lag unfern vom Walde und eine kurze Versäumniß konnte immerhin einen Verlust bringen, welcher meinem Vetter, einem außerordentlich eifrigen Bienenwirth, stets als sehr schwerwiegend galt; aber für den kleinen, kaum zehnjährigen Wächter war neben treuer Pflichterfüllung doch die Beobachtung der Natur so unwiderstehlich, daß seine Aufmerksamkeit von der langen Reihe der Bienenstöcke aus auch immer wieder, und soweit es nur irgendmöglich war, dem Thierleben ringsumher sich zuwandte. Wenige Schritte hinter meinem Sitz stand ein alter dicker Birnbaum, der vom Blitz getroffen und vom Sturm mehrmals gebrochen nur noch als eine Ruine erschien, aber von dem Besitzer sorgfältig bewahrt, mit Brettern vernagelt und mit einer Masse aus Lehmerde und Kuhmist bekleidet war, um ihn möglichst lange zu erhalten, weil er nämlich der einzige Baum der sog. Grumbkower Birne, einer wirklich köstlichen Frucht, in der ganzen Umgegend war, und zumal seine Fortpflanzung und Weitervermehrung hier noch durchaus nicht hatte gelingen wollen. Diesem alten Baumstamm verdanke ich mehrere der beachtenswerthesten Beobachtungen im Vogelleben und unter anderen auch die folgende. Wenn ich wol stundenlang regungslos auf der hölzernen Bank dagesessen, so konnte ich auf und um jenen Baum zahlreiche und mannigfaltige Vögel schauen. Im großen Bogen, dicht über dem Boden, kam mit schnellem, ruckweisem Flügelschlag der Wendehals aus dem Kiefernwalde daher. Während sein Lieblingsaufenthalt sonst die lichten Laubwälder oder doch gemischte Waldungen, welche mit Wiesen und Feldern wechseln, oder auch weite Baumgärten sind, so mußte er hier mit dem einzeln in der weiten dürren Kiefernhaide liegenden Gemüse- und Bienengarten sich begnügen. In den ersten Tagen bemerkte ich, daß der Wendehals, wenn er vom nächsten der uns umgebenden Kieferndickichte her nach dem äußersten Saum des Gartens geflogen, sich immer sehr versteckt dem Gebüsch näherte, sich durchaus auf der mir entgegengesetzten Seite der Bäume hielt, ähnlich wie die Spechte um den Stamm herum auszulugen pflegen, bis er dann plötzlich in den hohlen Stamm hinabschlüpfte; bald aber wurden beide Vögel des Pärchens so dreist, daß sie dicht neben mir ihre Locktöne wiid, wiid riefen, und wenn sie sich miteinander oder mit den nebenan wohnenden Kohlmeisen zankten, ihr zorniges wäd, wäd erschallen ließen. Nun aber wollte ich doch auch das Nest des Wendehals in dem Birnbaumstamm sehen und da wurde mir denn allerdings ein ganz absonderlicher Anblick zutheil. Als ich eines Tags plötzlich von meinem Sitz aufstand und an den Birnbaum trat, flog der eine Wendehals mit erregtem schäck, schäck davon, jedoch nicht weit, sondern nur auf einen nahen Ast und hier zeigte er ein Bild, welches den doch noch recht kindlichen Naturforscher in höchlichstes Erstaunen versetzte. Der Vogel sträubte die Kopffedern, dehnte den Hals lang aus, wandte den Kopf langsam hin und her, auf und nieder, spreizte den Schwanz, reckte den ganzen Körper vorwärts und zog ihn dann plötzlich wieder zurück, verdrehte die Augen, schloß sie halb und riß sie wieder weit auf, blähte die Kehle und drehte den Hals schlangenartig, sodaß der Schnabel bald nach oben, bald nach unten, nach der einen oder andern Seite hin, gerichtet war. Dabei ließ er sonderbare gurgelnde Töne hören, die kaum zu beschreiben sind. In den mir damals zugänglichen Naturgeschichten von Buffon, Bechstein, Lenz u. a. las ich sodann, daß der Wendehals dies thun solle, um Feinde zu täuschen oder abzuschrecken. Ich ließ mich indessen nicht beirren, und als ich vermittelst meines Taschenmessers ein Brett von dem hohlen Stamm vorsichtig ablöste, fand ich denn auch das Nest, in welchem am ersten Tage sieben reinweiße, kugelige, verhältnißmäßig kleine Eier lagen, die sich später bis zur Anzahl von 12 Stück vermehrten. Nachdem die Vögel sich davon überzeugt, daß ich trotz der täglichen Besichtigung ihnen kein Unheil zufügte, und, indem ich das Brett jedesmal sorgfältig wieder andrückte, für ihre Sicherheit sorgte, wurden sie zutraulich und das Weibchen brütete so fest, daß ich es hätte mit der Hand fangen können. Wenn ich das Nest wieder besehen wollte, so zischte das Weibchen ähnlich wie eine Schlange mir entgegen, schlüpfte dann erst, von meiner Hand fast berührt, herunter in den nahen Busch, um nach wenigen Minuten, wenn ich das Brett wieder festgemacht, zurückzukehren. Das Männchen, welches nur in den Mittagsstunden zur Ablösung beim Brüten kommt, war viel scheuer und flog bei meiner Annäherung, d. h. sobald ich das Brett löste, immer sogleich davon. Als die Jungen nach 14 Tagen erbrütet waren, wurde mir der Besuch des Nestes aber bald verleidet, denn die Wendehälse reinigen dasselbe nicht, wie andere Vögel von den Entlerungen und daher entwickelt der Unrath bald einen scheußlichen Gestank.

Der Wendehals ist an der ganzen Oberseite hellaschgrau, fein dunkler gewellt und gepunktet und schwärzlich hellbraun und rostroth gefleckt; über den Oberkopf bis zum Hinterrücken erstreckt sich ein schwarzbrauner Längsstreif; die Schwingen sind dunkelgrau, schwarz- und rothbraun gebändert; der Schwanz ist grau, schwarz gesprenkelt mit bräunlichen Querbinden, dann einem hellen und daneben einem schwärzlichen Zickzackstreif gezeichnet; die Unterseite ist weiß nur mit wenigen dreieckigen dunkelgrauen Flecken übersät; alle diese Farben gehen so ineinander über, daß der Vogel fast gleichmäßig röthlichgrau erscheint, während die Zeichnungen sich nur bei näherem Blick erkennen lassen; der Schnabel ist dunkelbraun, die Augen sind gelbbraun und die Füße bräunlichgelb (Länge 17 cm, Flügelbreite 29 cm, Schwanz 6,5 cm). Das Weibchen ist kaum bemerkbar matter in den Farben und unmerklich kleiner. Das Jugendkleid ist fahler mit größeren, aber matteren Zeichnungen und graubraunen Augen.

Obwol sich die Verbreitung des Wendehals über ganz Europa erstreckt, ist er doch vornehmlich nur im mittlern und nördlichen und sodann auch in Mittel- und Nordasien heimisch; in Deutschland ist er, wenn auch nur hier und da, so doch nicht selten zu finden. Von der zweiten Hälfte des Monats April an kommt er einzeln aus der Winterherberge zurück und wer ihn dann in seiner versteckten Lebensweise zu beobachten weiß, wird finden, daß er eigentlich garnicht scheu, wenig lebhaft ist, nicht spechtartig klettert, sondern geschickt durch das Geäst schlüpft, aber auf der Erde fast unbeholfen schief seitwärts hüpft. Da er sich nicht wie die verwandten Spechte eine Nisthöhle zu meiseln vermag, so vertreibt er nicht selten andere Höhlenbrüter, namentlich die Meisen, aus ihren Nestern; zuweilen bezieht er auch einen Starkasten. Seine Nahrung besteht in allerlei Kerbthieren, welche er mit der weit hervorschnellbaren klebrigen Zunge fängt, sowie auch deren Bruten, Eiern, Larven und Puppen; vorzugsweise soll er Ameisen fressen. Nur eine Brut erfolgt in jedem Jahr zu Mitte des Monats Juni. Nach derselben bleibt die Familie noch etwa bis zum Juli beisammen, dann geht jeder einzelne seiner Ernährung nach und erst zum Abzug im September sammeln sie sich wieder zu kleinen Gesellschaften an, schweifen dann in den Vorwäldern und Hainen, auch auf den Kraut- und Gemüseäckern umher und ziehen nachts fliegend bis Nordafrika oder nach Indien. Nur von besonderen Liebhabern wird er mit dem Schlaggarn, geködert mit Mehlwürmern oder frischen Ameisenpuppen, auch wol mit Leimruten, gefangen. Er läßt sich unschwer eingewöhnen, an Nachtigalfutter bringen und dauert mehrere Jahre gut aus; doch gewährt er eigentlich als Stubenvogel kein besondres Interesse, denn einen Gesang hat er ja überhaupt nicht. Mit frischen Ameisenpuppen aufgefütterte Junge werden ungemein zahm und machen in ihren wunderlichen Geberden viel Vergnügen. Um seines komischen oder dem gemeinen Mann wol gar unheimlich erscheinenden Wesens willen hat ihm der Volksmund viele Namen beigelegt: Dreh-, Natter- und Windehals, Drehvogel, Halsdreher, Halswinder, Langzüngler, Leirenbändel, Natterwendel, Natterzange, Nadlen-, Natter- und Otternwindel, Otterwendel, sodann auch gemeiner und grauer Wendehals.


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