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Am eisigkalten Wintertage, wenn der Frost uns den Athem beengt, gehen wir hinaus, um ein absonderliches Bild des Vogellebens zu erschauen. Gefiederte Gäste aus dem Norden sind bereits auf der Heimwanderung begriffen, doch hält sie die immer wieder eintretende rauhe Witterung auf, denn härter als bei der Ankunft ist jetzt für sie der Kampf um's Dasein; die Berenreste an den Sträuchern, die Sämereien an den dürren Krautstengeln gewähren nur dürftige Ausbeute; auch unsre heimische Vogelwelt vermag nur kümmerlich die nothwendige Nahrung zu erringen und mühselig dem Wettersgraus zu widerstehen. Gerade gegen das nahende Frühjahr hin erreicht die Noth der darbenden Vögel den höchsten Grad und ihrer viele gehen noch elend zugrunde. Trotzdem aber, wenn wir um eine Waldecke biegen, wo wir ein geschütztes Plätzchen finden, um Athem zu schöpfen und uns ein wenig erholen zu können – erblicken wir plötzlich ein wahres Wunder der Natur, ein Vogelnest zwischen Eis und Schnee. Im dunkelgrünen Kieferndickicht ist es erbaut, sorgsam aus Reisern und trockenen Gräsern als eine offne Mulde gerundet, dickwandig mit Mosen, Flechten und Federn gepolstert, und innen birgt es vier bis fünf bunte Eier, auf denen das Weibchen 15 Tage brütet und die es kaum auf Augenblicke verläßt, denn einerseits wird es ja vom Männchen reichlich gefüttert und andrerseits würde das zarte Leben in den Eiern sogleich erstarren und ersterben, wenn dieselben dem eisigen Hauch auch nur für Minuten ausgesetzt blieben. Kreuzschnäbel sind es, die hier ihr Heim errichtet haben und unbeirrt durch die rauhe Witterung auch mitten im Winter nisten, weil sie gerade dann reichliche Nahrung an den Samen der Nadelholzbäume finden. So stehen dann meistens mehrere Nester unfern von einander, denn die Kreuzschnäbel leben und nisten auch gesellig beisammen. Wenn die Sonnenstralen durch die hier und da mit hartgefrornem Schnee bedeckten, dunkelgrünen Kiefernzweige brechen und diese umgolden; wenn dann das schöne rothe Männchen vom Gipfel eines Bäumchens herab seinen zirpenden und schnurrenden, mit hellflötenden Tönen durchwebten Gesang eifrig erschallen läßt, während es mit aufgeblähtem Gefieder gleichsam würdevoll dicht vor uns hin- und herfliegt, so können wir es wol begreifen, daß der Kreuzschnabel in seiner ganzen Erscheinung und seinem absonderlichen Wesen einen förmlich wunderbaren Eindruck auf harmlos-einfältige Landleute macht. In wenigen Wochen, wenn die Sonnenstralen kräftiger werden und hier an der geschützten Waldecke den Schnee von den Zweigen und vom Boden fortschmelzen, die ersten unscheinbaren Blümchen, Sternchen, Miere, Kreuzkraut u. a. sich erschließen, wol schon gar ein Kerbthier seine Hülle sprengt, dann lüftet das Kreuzschnabel-Weibchen seine Flügel und die flügge Frühbrut versucht ihren ersten Flug aus dem schützenden Nest hinaus in die Welt. Und sie wissen sich tapfer durchzuschlagen, zu erhalten, denn die Natur hat sie ausgestattet mit dichtem und warm haltendem Gefieder und mit Nahrung, welche sie gegen Kälte und üble Witterung überhaupt vorzugsweise widerstandsfähig macht.
Die Kreuzschnäbel zeichnen sich vor allen übrigen verwandten Finkenvögeln durch folgende Eigenthümlichkeiten besonders aus:
Ihre Gestalt ist kräftig und gedrungen und erscheint fast plump, mit großem runden Kopf. Der dicke starke Schnabel mit übereinandergekreuzten Spitzen, der Unterschnabel breiter als der obre, bald nach rechts, bald nach links ganz zufällig und beim Männchen und Weibchen durchaus ohne feststehende Regelmäßigkeit gebogen und an jeder Spitze hakenförmig, läßt sie von. allen übrigen Finken auf den ersten Blick durchaus unterscheiden. Die Nasenlöcher sind klein und rund und von Borstenfederchen fast verdeckt. Die Flügel sind lang und schmal und die erste Schwinge ist am längsten. Der Schwanz ist kurz, gabelförmig, stark ausgeschnitten. Die Füße sind stämmig, mittellang und haben lange, kräftige Zehen mit sehr gekrümmten, spitzen und scharfen Krallen. Das Gefieder ist sehr voll und weich, beim Männchen immer roth, beim Weibchen grüngrau gefärbt. Sie gehören zu den größeren einheimischen Finken.
Ihre Verbreitung erstreckt sich über die alte und neue Welt, aber von einer eigentlichen Heimat kann man kaum sprechen; sehr zutreffend bezeichnete sie Chr. Ludw. Brehm als Zigeunervögel, welche immerfort umherstreichen, dort wo sie gerade reichlich Nahrung finden, gleichviel zu welcher Jahreszeit, nisten und nach beendeter Brut weiter ziehen. Der Nahrung entsprechend bewohnen sie aber ausschließlich den Wald, vorzugsweise Nadelgehölz, und zwar gleicherweise in ebenen Gegenden, wie in Gebirgen; am häufigsten aber sind sie in den Fichten- und Tannenwäldern der Hochberge und nur selten im Kiefernwalde der Ebene. Ihr seltsames Aussehen, dazu das harmlose, wenig scheue Wesen, das plötzliche Auftauchen und meistens baldige Verschwinden, läßt sie als fast wunderbar erscheinen, sodaß sie im Volks-Aberglauben bis zum heutigen Tage eine bedeutsame Rolle spielen und dementsprechend mancherlei Namen führen. Ein unheilvoller Wahn ist es, welcher den im engen Käfig gehaltnen Kreuzschnabel die Eigenthümlichkeit beimißt, daß er auf oder gar in das Bett eines Kranken gebracht, die Krankheit dem Leidenden abnehme. Liebevolle Menschen- und Thierfreunde sollten es sich angelegen sein lassen, dem derartigen Unsinn entgegenzutreten und die nutzlose Quälerei der bedauernswerthen Vögel zu verhindern. Im übrigen haben die Kreuzschnäbel für die Stubenvogel-Liebhaberei keine große Bedeutung. Ihr Gesang ist von keinem Werth und sie können also nur um ihres absonderlichen Aussehens und bedächtigen, gleichsam würdevoll-komischen Wesens willen Liebhaber finden. Man hält sie in einem Drosselkäfig, der aber völlig von Metall hergestellt sein muß, weil sie selbst hartes Holz zu zersplittern vermögen, und indem man sie nothwendigerweise auch mit mancherlei Zweigen, um ihre Schnäbel zu beschäftigen, versorgen muß. Die Fütterung besteht in Hanf, Hafer und Rübsen, nebst Ameisenpuppen-Gemisch und erweichtem Weißbrot. Um sie gesund und längre Zeit lebensfrisch zu erhalten, muß man ihnen aber auch reichlich allerlei Nadelholz-Sämereien und zwar noch in den Zapfen, zur Zeit auch verschiedene Beren und frische Ameisenpuppen, reichen. Auch sie verlieren die schöne rothe Farbe nach der ersten Mauser, und um dieselbe, wenn möglich, zu erhalten, ist das bei den Gimpeln Gesagte zu beachten, insbesondre soll man auch sie mit frischen Nadelholz-Schößlingen versorgen.
Tafel XXXX, Vogel a, b, c.
Tafel XXXX. Ein Vogelnest im Winterwatd:
Kiefernkreuzschnäbel (Loxia pityopsittacus, Bechst.),
a. Männchen, b. Weibchen, c. junger Vogel,
d. Dohle (Corvus monedula, L.)
Inanbetracht dessen, daß einerseits diese drei Vögel in ihrer Erscheinung ungemein viel Übereinstimmendes zeigen, während ich andrerseits ihre Lebensweise in der Einleitung bereits eingehend geschildert habe, darf ich sie hier verhältnißmäßig kurz zusammenfassen.
Der Kiefern-Kreuzschnabel ist an Kopf und Hals schön roth, von der hellsten Schattirung bis zur dunkelsten wechselnd; die Wangen und Kopfseiten sind mehr grauroth; der Rücken ist dunkler rothgrau bis röthlichgraubraun; der Bürzel ist lebhaft roth; die Schwingen und Deckfedern sind dunkelbraun, breit roth gesäumt; der Schwanz ist oberseits schwarzgrau, jede Feder dunkelroth gesäumt, unterseits grauweiß, dunkelgrau und röthlich gestrichelt; die Unterseite ist ebenso lebhaft roth wie der Kopf, aber der Bauch, Hinterleib und die unteren Schwanzdecken sind röthlichweißgrau; der Schnabel ist dunkelhorngrau, die Augen sind dunkelbraun und die Füße fahlröthlichbraun. Er ist bedeutend größer als der Edelfink (Länge 18 cm; Flügelbreite 30 cm; Schwanz 7 cm). Das Weibchen ist an der Oberseite dunkelbräunlichgrau mit grüngelben Federsäumen; Oberrücken und Schultern sind mehr grünlichbraungrau und der Bürzel ist gelbgrün; die Unterseite ist hellgrau, jede Feder gleichfalls grüngelb gesäumt; die Kehle ist grauweiß; die Brust ist hellgrau mit gelbgrünen Federsäumen; Bauch und untere Schwanzdecken sind grauweiß. Das Jugendkleid ist an der Oberseite grünlichgrau, schwarzbraun gefleckt, an der Unterseite grünlichweißgrau mit schwarzgrauen Längsflecken; das junge Männchen wird sodann am ganzen Körper mehr und mehr gelbroth mit düsterrothem Schein. Die Eier sind sehr veränderlich, bläulich-, grünlich- oder weißlichgrau und violettgrau, braun und roth gefleckt und gepunktet.
Vom hohen Norden Europas und Asiens bis Südeuropa verbreitet, kommt dieser Kreuzschnabel mit etwas größrer Regelmäßigkeit, bei Tage hochfliegend, in einundderselben Gegend an, sodaß man z. B. an einem bestimmten Waldrand im gemischten Gehölz alljährlich in den Wintermonaten eine Schar hausend und nistend finden kann; ohne eine wahrnehmbare Veranlassung aber fehlen sie dann wiederum und bleiben mehr oder minder lange Zeit, manchmal wol jahrelang fort, bis sie von neuem erscheinen. Das Nest steht bis zu 30 Meter hoch, dann im Gipfel einer alten Kiefer oder Fichte, meistens jedoch viel niedriger bis höchstens mannshoch unmittelbar am Stamm, und so, daß ein dichter Zweig Schutz gegen Schnee bietet. Im leichten, raschen Fluge, weithin in Bogenlinien, vor dem Niedersetzen schwebend, klettert er trotz seiner anscheinenden Schwerfälligkeit gewandt und hurtig durch das Gezweige, den Meisen ähnlich, gleicherweise mit dem Kopf nach unten wie nach oben; an der Erde hüpft er ungeschickt schief seitwärts. Allerlei Waldbaumsämereien, vorzugsweise die Samen der Nadelhölzer, sodann auch die Kerne von Beren u. a. Früchten, ferner zur Zeit weiche Kerbthiere in allen deren Verwandelungsstufen, so namentlich Blattläuse und nackte Räupchen, bilden seine Nahrung. Einen Tannen- oder Kiefernzapfen kneift der Kreuzschnabel ab, trägt ihn auf einen Ast, wo er, ihn mit den Zehen festhaltend, vermittelst des wie eine Zange wirkenden gekreuzten Schnabels mit großer Kraft die harten und festschließenden Schuppen aufbricht, um den darunter liegenden Samen zu verzehren. Indem die Alten Zapfen mit halberbrochenen Schuppen den Jungen bringen, unterrichten sie diese in ihrem Nahrungserwerb. Wie erwähnt hat jeder Kreuzschnabel noch mancherlei Namen und so wird dieser auch Dollschnabel, Föhren-, großer, kurzschnäbeliger und welscher Kreuzschnabel, Kreuzvogel, Krummschnabel-, Kiefern- und Tannen-Papagei genannt. Seine Locktöne erschallen göb, göb und zock, dann leiser gib und in der Erregung schrit. Außer dem ganz unbedeutenden, vorhin beschriebnen Gesang hat er keinen weitern Vorzug als den des mehr wunderlichen als hübschen Aussehens und Wesens; trotzdem wird er hier und da gehalten, indem man ihn mit Sprenkeln, Leimruten u. a. fängt, ungemein leicht eingewöhnt und wie in der Einleitung angegeben verpflegt.
Der Fichten-Kreuzschnabel ist an der Oberseite dunkelmennig-, karmin- bis ziegelroth, am Oberrücken mehr dunkelbräunlichroth; die Schultern, Flügel und Schwanz sind dunkelröthlichbraungrau; an der Unterseite ist er heller karminroth; Bauch, untere Schwanzdecken und die Schwanzfedern an der Unterseite sind schwach röthlichweiß; der Schnabel ist schwarzbraun, die Augen sind dunkelbraun und die Füße braun. Er ist etwas kleiner als der vorige (Länge 17 cm; Flügelbreite 26 cm; Schwanz 6 cm). Das Weibchen ist in der Grundfarbe grau, an der Oberseite grünlich oder grüngelb, an den Brust- und Bauchseiten gelbgrün und an der ganzen übrigen Unterseite reiner und heller grau. Das Jugendkleid ist an der ganzen Oberseite schwach grünlichschwarzgrau, an der Unterseite grüngelblichweiß mit schwarzgrauen Längsflecken gezeichnet. Die gleichfalls sehr veränderlichen Eier sind von denen der vorigen Art nur an bemerkbar geringerer Größe zu unterscheiden.
In der Verbreitung mit dem vorigen übereinstimmend, zeigt er sich darin abweichend, daß er auch in Nordamerika heimisch ist. Bei uns in Deutschland ist er unter allen dreien der am häufigsten vorkommende. Gewöhnlich treiben sich Schwärme von etwa einem Dutzend, jedoch zuweilen auch bis zu fünfzig Köpfen, vorzugsweise in den Nadelholz-Wäldern umher, wo sie aber niemals an irgend einem Ort regelmäßig erscheinen, sondern durchaus nur zigeunerartig umherstreichen. So hört man ihre Locktöne zock und küp und dann ihren Gesang, welcher noch unbedeutender als der des vorigen ist. Dieser heißt auch kleiner und Haken-Kreuzschnabel, Kreuzvogel, Krienitz, Krünitz, Krummschnabel, kleiner Tannen-Papagei und Tannen-Vogel, Zapfenbeißer. Als Käfigvogel füttert man ihn, wie in der Einleitung angegeben, wennmöglich aber reicht man ihm die Nüßchen der Arve oder Zirbelkiefer als Leckerbissen dar. Gerade diese Art ist sodann auch bereits in der Gefangenschaft gezüchtet worden und zwar von dem Vogelkundigen Pfarrer Blasius Hanf in Mariahilf in Steiermark, welcher Fichtenkreuzschnäbel zu mehreren glücklichen Bruten brachte, jedoch nur soweit, daß er die Jungen selber aufpäppeln mußte.
Der weißbindige Kreuzschnabel erscheint lebhaft roth, gleich den beiden vorigen in verschiedenen Schattirungen, unterscheidet sich von ihnen aber auf den ersten Blick dadurch, daß er zwei breite weiße über die Flügel laufende Querbinden hat; an der Brust- und Bauchmitte ist er fast reingrau, allenfalls mit schwach röthlichem Schein; der Schnabel ist dunkelbraun, die Augen sind braun und die Füße graubraun. Wiederum noch kleiner als der vorige, ist er etwa dem Edelfink gleich, doch in der Gestalt gestreckter, obwol er einen kürzern Schwanz hat (Länge 16 cm; Flügelbreite 27 cm; Schwanz 6 cm). Das Weibchen ist grünlichgrau mit dunkleren, schwärzlichgrauen Längsflecken, an der Unterseite heller und reiner grau. Das Jugendkleid soll am ganzen Körper ziemlich gleichmäßig düstergrünlichorangegelb sein; eine Eierbeschreibung vermag ich leider nicht zu geben.
Seine Verbreitung erstreckt sich mehr auf den Norden von Europa und Asien, und nach Deutschland kommt er nur im kalten Winter; nistend ist er bei uns noch nicht beobachtet. In allem übrigen gleicht er den beiden Verwandten durchaus. Auf den ersten Blick erscheint es uns wol verwunderlich, daß gerade er bei uns am zahlreichsten in den Vogelhandel gelangt; dies liegt indessen darin begründet, daß er im strengen Winter in vielköpfigen Scharen ankommt und daß solche nordischen Vögel erklärlicherweise ungleich leichter als andere zu fangen sind. Da er in weiten Kreisen wenig bekannt und von Unkundigen kaum als verschieden von den Verwandten angesehen wird, so hat ihm der Volksmund keine weiteren Namen beilegen können.