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In mancherlei Vorzügen steht der Vogel allen seinen Genossen aus der Thierwelt gegenüber. Herrliche Gaben hat ihm die Mutter Natur verliehen, deren beneidenswertheste die des Flugvermögens ist, dahinzuschweben hoch im klaren Äther über aller irdischen Unvollkommenheit, und deren herrlichste die des Gesangs, der wundervollen Töne, die das Herz erfüllen und beseelen. Auch das ganze Leben des Vogels zeigt einen andern Verlauf als das der übrigen Thiere.
Von blühenden Zweigen umgeben, lauschig im Gebüsch, zwischen Blumen und Blättern, Ranken und Gräsern verborgen oder auf schwankem Baumwipfel in luftiger Höhe oder auch tief versteckt in einer Asthöhlung, immer aber poesievoller als bei jedem andern Thier, erblicken wir des Vogels Heim. Absonderlich gestaltet sich das Erstehen seiner Brut, aus den geheimnißvollen Eiern bis zum Flüggewerden der Jungen.
Lauschen wir, gleichviel, phantasievoll den Regungen der Liebe und der Werbung, den Liebeskämpfen und den Liebesspielen, oder nüchtern naturgeschichtlich, der Parung und dem Brutverlauf, der Pflege der Jungen bis zum Ausfliegen, den Flugübungen und dem Unterricht überhaupt, bis zur vollen Selbständigkeit – welche Fülle der schönsten Naturbilder entrollt sich da vor unseren Blicken!
Am rauhen Wintertag, wenn der Schnee fußhoch alle Fluren deckt, die Kälte Eiskrystalle in der Luft flimmern läßt oder der Nordost eisig uns entgegenbläst, ist harte Noth eingekehrt, wie bei den armen Menschen, so auch bei den Thieren; der Hunger plagt die letzteren und Verfolgungen gegenüber müssen sie jetzt doppelt schwer ums Dasein kämpfen. Da treten uns gefiederte Gäste entgegen, von denen wir manche so nahe zu betrachten sonst nicht Gelegenheit finden: Standvögel, die jahrein und jahraus in der Heimat bleiben und sich trotz aller Noth und Gefahren forthelfen, schlecht und recht, wie es eben angehen mag. Nächst dem uns täglich nahenden gemeinen Spatz erblicken wir als die bekanntesten Goldammer und Haubenlerche, welche bis dahin an Rainen und Zäunen, jetzt auf den Straßen und Höfen dicht vor uns ihre kümmerliche Nahrung aus allerlei Abfällen zusammensuchen. Dann kommen die Raben- oder die Nebelkrähe, Dohle und Elster gleicherweise auf die Höfe, der Grünfink mischt sich unter die Sperlinge und Meisen, Kleiber und Zaunkönig sammeln emsig von den Obstbäumen im Garten die Kerbthiere und deren Bruten ab. Die letzterwähnten ebenso nützlichen wie lieblichen Vögel bevölkern jetzt auch die Futterplätze, welche die mildherzige Hand des Vogelschützers ihnen hergerichtet. Ein Holzheher aus dem nahen Walde und ein großer Würger, welcher bis dahin einen einsamen Obstbaum im Felde als Warte bewohnt, wagen sich, der erstere bis in den Baum- und der letztere bis in den Gemüsegarten und machen hier auf die durch Wintergraus und Hunger ermatteten kleinen Vögel Jagd. Gehen wir weiter hinaus, so sehen wir ein Völkchen Rebhühner an Stellen, die vom Schnee freigeweht sind oder die ein Hase bloßgekratzt hat, den Boden eifrig weiter aufscharren, um den Hunger an dem hartgefrorenen Grün der Saat zu stillen. Streicht nun plötzlich ein Wanderfalk oder Habicht daher, so stürzen sich die Hühner voll Todesangst in das Dickicht der nahen Kiefernschonung oder auch in eine hohe Schneeschmitte, einen vom Winde hoch zusammengewehten losen Schneehaufen, und wohl ihnen, wenn sie alle rechtzeitig den Unterschlupf erreichen, ohne daß das eine oder andere von den Krallen des Räubers geschlagen wird.
Auf den Distelköpfen am Gartenzaun, auf dürren Salatsamen- und Unkrautstauden am Rain und in den Erlen am Bach tummeln sich Scharen von Stiglitzen, Hänflingen und Zeisigen umher, in den herniederhängenden Ästen alter Föhren die Goldhähnchen, von Stamm zu Stamm schlüpfend Baumläufer und Spechte und neben ihnen im Gezweige Meisen in mehreren Arten, dann auf den kahlen Zweigen der Ebereschen sitzen Gimpel oder Dompfaffen; und sie alle sind in rastloser Thätigkeit. Diese Strichvögel durchpilgern eine Gegend nach der andern, indem sie immer nur so lange verweilen, wie sie Nahrung vorfinden.
Im lichten Gebüsch, auf den Ebereschen, Dornsträuchern, Berberitzen, wilden Rosen u. a. suchen Seidenschwänze und Drosseln nach den etwa noch vorhandenen Früchten umher, weiterhin auf dem nahen Felde bemerken wir Schneeammern und Schneefinken, in den Tannen am Abhang einen Flug Bergfinken, Leinzeisige und Berghänflinge. Alle diese hochnordischen Gäste kommen nur im strengen Winter zu uns.
Schwere Gefahren haben die Vögel jetzt allenthalben zu überstehen; nicht Hunger und die Einflüsse der rauhen Witterung allein gefährden sie, nicht die vorhin erwähnten Tagraubvögel und des Nachts Eulen, so wie Fuchs, Marder, Iltis, Wiesel und vor allem umherstrolchende Hauskatzen beunruhigen und bedrohen sie, sondern auch der Mensch beeinträchtigt jetzt mehr als sonst ihr Dasein. Im Garten stellt der Schulbube Schlingenbrett, Meisenkasten oder Sprangrute und auf dem Bauernhofe werden wol gar unter einem zuklappenden Brett zahlreiche Vögel umgebracht, im Vorholz, am Rain und an der Quelle sucht der Vogelfänger von Gewerb mit Leim und Netz die Schwärme zu überlisten und der Jäger nimmt jede Gelegenheit wahr, um aus den umherstreichenden Scharen größerer Vögel so viele wie möglich zu erlegen.
Nicht lange aber, bei mildem Wetter schon im Januar oder doch im Februar, erblicken wir die ersten zurückgekehrten Wanderer, Feldlerchen, welche auf den von Mittagssonnenstrahlen abgethaueten Ackerstellen umherlaufen, Stare in den kahlen Zweigen der Dorflinde, einen Flug nordwärts sich wendender Schneeammern am Hügel, und diesen folgen immer mehrere Scharen der heimkehrenden Zugvögel, die theils nur bei uns vorüberwandern, größtentheils aber nach und nach Feld und Wald, Berg und Thal bevölkern, bis zuletzt auch die allerzartesten der Sommergäste, der goldgelbe Pirol oder Pfingstvogel, die prächtigblaue Mandelkrähe, der Wiedehopf mit dem komisch beweglichen Federbusch, die Thurmschwalbe oder der Segler u. a. angelangt sind.
Gleicherweise, wie den Stand- und Strichvögeln im strengen Winter, ergeht es auch den zu zeitig mit dem nahenden Frühling heimgekehrten Sommervögeln oft noch gar trübselig. Die Sehnsucht nach der Heimat hatte sie dazu verleitet, aus der sichern Winterherberge zu frühe zur Heimkehr aufzubrechen; hier aber ist es noch recht unwirthlich und mancher, namentlich von den zarteren Ankömmlingen, muß erliegen im schweren Kampf gegen Wettersgraus und Nahrungsmangel.
Reiche Poesie birgt das Wanderleben der Vögel, und wir werden weiterhin Veranlassung dazu finden, unsere gefiederten Freunde als Reisende näher kennen zu lernen. –
Wohl ausgerüstet ist der Vogel für seinen Lebenserwerb, also zur Beschaffung seiner Nahrung, und meistens auch mit entsprechenden Waffen zur Vertheidigung gegen seine Feinde und Verfolger. Mit scharfen, schneidigen Krallen und furchtbarem Hakenschnabel überfällt der Raubvogel seine Beute und setzt er sich zugleich gegen andere Thiere zur Wehr. Der lange, spitze Schnabel, die förmlich eisenfesten Nackenmuskeln, kräftige Krallen und die steifen Schwanzfedern befähigen den Specht dazu, am glatten Stamm große Spähne loszuhämmern, vermittelst seiner weit vorzuschnellenden Zunge mit Widerhaken tief aus dem Holz die Larven verschiedener Käferarten hervorzuholen, und dann auch seine Nisthöhle hineinzumeiseln. Mit seinem seltsamen Haken vermag der Kreuzschnabel die festen Schuppen des Kiefernzapfens loszubrechen, um zu den Samen zu gelangen. Schwalben und Segler schießen pfeilschnell durch die Luft dahin und erschnappen im weiten Rachen allerlei fliegende Kerbthiere, während die Meisen mit den scharfen pfriemenförmigen Schnäbeln auch aus den engsten Ritzen die Insektenbruten hervorziehen. Die Hühnervögel können mit den kräftigen stark bekrallten Füßen den Boden aufscharren, um Sämereien und Gewürm hervorzubringen, aber sie vermögen auch im hurtigsten Lauf ihren Feinden zu entrinnen und dadurch den Nachtheil des ungeschickten Fluges zu ersetzen. Die Schwimmvögel sind durch das vorzugsweise dichte Gefieder, welches sie vermittelst des Fetts, das der Bürzeldrüse reichlich entquillt, gegen das Eindringen des Wassers zu sichern vermögen, sodann durch die schaufelförmigen Füße und den breiten, absonderlich gestalteten, löffelähnlichen Schnabel zum Schwimmen, Tauchen und Grundeln geschickt. So können wir allenthalben um uns her noch in unzähligen anderen Beispielen wahrnehmen, daß der Vogel vortrefflich dazu befähigt ist, im Kampf ums Dasein auszudauern.
Im mannigfachen Wechsel tritt ihm, wie bei allen anderen Lebensverrichtungen, so auch in der Ernährung, Freude und Leid, harter Mangel und reicher Überfluß entgegen. Wenn die Noth der rauhen Jahreszeit vorüber ist, folgt die fröhliche Zeit der Liebe, des Gesanges und Nistens, nach dieser tritt wiederum die schwere Sorge um das Aufbringen und die Erziehung der Brut ein, und wenn dann mit dem Spätsommer und Herbst die Natur allüberall reichen Erntesegen bietet, so schwelgen auch die Vögel an Früchten und Sämereien, an Kerbthieren und Gewürm oder am Fleisch ihrer Genossen – und sie nähren sich wohl und sammeln nicht allein die nöthige Fülle und Kraft an, um die weite Wanderung oder den harten Winter hier überstehen zu können, sondern nicht wenige von ihnen fressen sich zu fett, so daß ihnen auch hierin wiederum Gefahren drohen.
Bald nach der Ankunft in der Heimat entwickelt sich ein Vorgang im Vogelleben, welcher unsrer Aufmerksamkeit im hohen Grade werth ist: die Brut.
Nach und nach wird die Witterung milder und die immer zahlreicher einrückenden gefiederten Wanderer finden reichlich die Gelegenheit zur vollen, mühelosen Ernährung. Dann theilen sich zunächst die bis dahin zusammenhaltenden, mehr oder minder großen Scharen und es beginnt die eifrigste Werbung der Männchen um die Neigung der Weibchen.
Liebe rauscht der Silberbach,
Liebe lehrt ihn sanfter wallen,
Seele haucht sie in das Ach
Klagenreicher Nachtigallen –
Liebe, Liebe lispelt nur
Auf der Laute der Natur.
So singt der Dichter, und in tausend Stimmen und in tausend Boten gibt sie sich jetzt kund, die allmächtige Beherrscherin alles Lebens; nirgends aber zeigen sich ihre Äußerungen so hochpoetisch, so wechselvoll und machtvoll zugleich, wie in der Welt der Gefiederten. Von dem wundervollen Liede der Nachtigal bis zum einfach lieblichen Sang des Goldammers, vom Klappern des Storchs bis zum Girren des Täubers, vom heisern Krächzen einer Krähe bis zum jubelnden Triller der Lerche hoch in der Bläue – vernehmen wir allüberall Laute heißer Liebesgefühle in unendlicher Mannigfaltigkeit. Und wie in denselben die wechselnden Empfindungen, von zarter Sehnsucht bis zur lodernden Glut der Leidenschaft sich geltend machen, so erregt gleicherweise Eifersucht, Kampfesmuth und die Herausforderung des Gegners das Herz des Vogels. Diese Gefühle äußern sich natürlich in besonderen Lauten, vom schrillen Ruf des den Nebenbuhler überfallenden Edelfink bis zum Trommeln des Spechts, vom Wettschlag zweier Nachtigalen oder Drosseln bis zum Kukuksruf und Flötenton des Pirols, vom Hahnenschrei bis zum Kollern des Truthahns.
Der Kampf, welchen die geschlechtliche Regung vielen Vogelmännchen aus allen Familien, Sippen und Arten aufzwingt, ist in der That nicht der leichteste im Ringen um das Dasein; einer von den beiden Kämpen muß unterliegen, und wird schmählich in die Flucht geschlagen, ja, er verliert nicht selten das Leben oder gelegentlich die Freiheit. Mit Hieb und Stich stürzen sich die Helden, einer dem andern entgegen; so z. B. zwei Buchfinken kreiseln wirbelnd umeinander, zwei Störche suchen mit den langen spitzen Schnäbeln sich gegenseitig schwere Verwundungen beizubringen, zwei Hühnervögel kämpfen tagelang rastlos und erbittert, zwei kleine zarte Vögel jagen einander solange, bis der eine zum Tode erschöpft einen Schlupfwinkel aufsuchen muß, aus welchem er wol niemals wieder hervorkommt, zwei Nachtigalen oder andere Sänger überbieten einander in Tönen, bis auch von ihnen einer, ermattet oder gar durch Überanstrengung getödtet, hinabsinkt.
Harmlos sind die Liebesspiele, welche in mannigfachen Flugkünsten oder in mehr und minder wunderlichen Bewegungen auf der Erde bestehen. Sie werden von zahlreichem und verschiedenartigem Gefieder ausgeführt, namentlich eifrig und zugleich komisch aber von den Hühnervögeln. Auerhahn und Birkhahn treten förmlich als Tänzer und Schauspieler auf, der Täuber auf dem Dach umkurrt sein Täubchen unter den seltsamsten Stellungen, und sogar Finkenvögel, Zeisig, Sperling u. a. lassen sich in Liebestänzen mit drolligem Benehmen sehen. Die schönste, poesievollste Werbung aber bildet der Gesang, jene seelenvollen Töne, mit welchen der Vogel sein Weibchen zu entzücken und zu entflammen strebt.
Um diese Zeit gewähren die Vögel, wenigstens sehr viele von ihnen, uns zugleich eine Erscheinung, welche, wenn sie auch bei unserm einheimischen Gefieder nur wenig in die Augen fallend ist, doch zu den interessantesten gehört. Die Männchen zahlreicher Arten verfärben sich nämlich mit dem beginnenden Frühling, so daß sie dann in ungleich lebhafteren, schöneren Farben prangen, während dieselben zum Herbst hin wieder düsterer, unscheinbarer werden und an Glanz verlieren. Wir bezeichnen diese Verfärbung als Prachtgefieder oder Hochzeitskleid, und der Vorgang beruht nicht, wie man früher angenommen, darin, daß die grauen Federspitzen abgestoßen würden, sondern vielmehr in einem Farbenwechsel, einem förmlichen Erglühen und zum Theil neuen Hervorwachsen der bis dahin scheinbar todten Federfahnen.
Vom Jubel- und Wonnekonzert des Frühlings schwärmt der Dichter – und in der That, selbst ein nüchternes Gemüth kann Entzücken empfinden, wenn Philomelen's Klage den Hain durchschauert, der Lerche Jubeltriller aus der Bläue gleichsam herabperlen, das Wald-Abendlied der Amsel das Thal durchhallt. Und am wundervollen Frühlingsabend, an welchem Alles jubelt, Alles prangt, Alles duftet, möchten mir im harmonischen Zusammenklang der Naturstimmen weder das Lied der Nachtigal, noch den Flötenton des Pirols, das Lullen der Heidelerche, Edelfinks Schmettern, Schwarzköpfchens Überschlag, Sprachmeisters Stimmen-Vielerlei, der Singdrossel klangvolles Jubeln, des Hänflings Flöten und Schmettern, weder den Kukuks- und Wiedehopfs-Ruf, noch das Trommeln des Spechts entbehren; ja, nicht einmal das singende Getön der über'm Wasserspiegel schwebenden Mückenschwärme, das Zirpen der Grillen und der Brummton des vorüberschwirrenden Käfers dürfen im großen Naturkonzert fehlen. Aber es bedarf nicht allein der Empfänglichkeit, sondern auch ein volles Verständniß für den Vogelgesang müssen wir haben, um uns am reichen Genusse zu erfreuen. Nur der Naturfreund, welcher mit offnem Ohr und Herz zugleich zu lauschen vermag, kann es verstehen und mitfühlen, wenn der Dichter singt:
An ihren bunten Liedern klettert
Die Lerche selig in die Luft;
Ein Jubelchor von Sängern schmettert
Im Walde voller Blüt' und Duft.
Da sind, soweit die Blicke gleiten,
Altäre festlich aufgebaut,
Und all' die Tausend Herzen läuten
Zur Liebesfeier klingend laut.
(Nik. Lenau).
Der Sachkundige zählt die kunst- und melodienreichsten gefiederten Sänger etwa in folgender Reihe auf: Sprosser, Nachtigal, schwarzköpfige Grasmücke oder Plattmönch, graue oder Dorngrasmücke, Sumpfrohrsänger, Gartengrasmücke, gesperberte Grasmücke, Zaungrasmücke oder Müllerchen, Heide- und Feldlerche, Kalanderlerche, Gartenlaubvogel, Singdrossel, Amsel, Blaudrossel, Steindrossel, Haubenlerche, Pirol, Rothkehlchen, Braunelle, Blaukehlchen, Trauersteinschmätzer, Edelfink, Hänfling, Hakengimpel, Stiglitz, Zeisig. Es ist selbstverständlich, daß je nach dem persönlichen Geschmack des Lauschenden die Folge hier und da verändert werden kann, im allgemeinen aber ist sie als feststehend anerkannt. Bei einer Anzahl von reichbegabten Vögeln kommt der Umstand in Betracht, daß sie, selbst falls sie keinen eignen oder doch nicht einen vorzugsweise hervorragenden selbständigen Gesang haben, trotzdem als Sänger überaus reich begabt sein können, indem sie nämlich die Lieder, Strofen oder auch nur die klangvollen Rufe anderer Vögel mehr oder minder treu nachzuahmen vermögen. Alle derartigen Gesangskünstler bezeichnet man als Spötter. Die geschätztesten von diesen sind unter unseren einheimischen Vögeln: der rothrückige Würger, Sumpfrohrsänger und Gartenlaubvogel.
Bedeutsam ist der Einfluß, welchen äußere Verhältnisse, insbesondre Zeit und Örtlichkeit, nicht allein auf unsre Empfänglichkeit für das Schöne und Hehre in den Regungen des Naturlebens, sondern auch auf unser Verständniß und Urtheil auszuüben vermögen; gerade von ihrer Einwirkung hängt häufig, ja fast immer, der mehr oder minder mächtige und dauernde Eindruck ab, welchen wir aus der freien Natur heimnehmen in die Häuslichkeit und von dem wir in der Alltäglichkeit des Lebens oft gar lange zehren müssen. Ob wir dem Wonneliede der Nachtigal am Maiabend und im herrlichen Lustwäldchen lauschen oder ob derselbe Vogel zur Tageszeit inmitten eines verwahrlosten Gartens voll Unkraut und Gestrüpp mit schrillen, abgebrochenen Strofen sich hören läßt – wie überaus verschieden dünkt uns sein Gesang! Wenn die Amsel oder der Edelfink im Obstgarten, dessen Bäume wie mit Blütenschleiern überhängt erscheinen, uns entgegenjubeln, oder wenn wir sie in der dürren Kiefernheide, wo unsere Blicke über die trostlosen Kusseln schweifen, vernehmen – so erkennen wir beide Sänger wol kaum wieder. In tiefer, finsterer Mitternacht ertönt plötzlich vor uns inmitten des Vorwalds das süßlullende Lied der Heidelerche, uns mit ungeahntem Entzücken erfüllend – und wenn wir am hellen Mittag, in Staub und Hitze mühselig durch dürres Gebüsch dahinschreiten und der Vogel auch immerhin ebenso lieblich singt, er vermag uns doch kaum zu erheitern. Zaunkönig und Haubenlerche, deren Lieder im vollen, reichen Frühlingskonzert verschwinden oder an denen wir doch dann achtlos vorübergehen, können beide im kurzen Mittagssonnenschein eines sonst trostlos trüben Dezembertags – als die letzten Sänger uns herzinnig erfreuen. Schwarzköpfchen mit zerstoßenem Schwanz und zerlumptem Gefieder, vernachlässigt und im engen Käfig, läßt seine Weise wol so traurig lauten, daß Mitleid mit ihm uns tief das Herz bewegt – und ein gleiches Schwarzplattl in einem geräumigen, wohlig eingerichteten, mit Gewächsen umgebenen Häuschen verständnißvoll verpflegt und liebevoll behandelt, jubelt uns seine Strofen gleichsam keck und muthwillig entgegen, und sein Lied erklingt so frisch und munter, gerade als hörten wir es draußen am Wildbach in der freien Natur.
Die Pärchen haben sich zusammengefunden, jedes hat seinen Standort und Nistplatz gewählt, auch wol hart genug erkämpfen müssen; das Männchen schlug den Nebenbuhler endlich in die Flucht, oder das Par vertrieb ein andres von der günstigen Gelegenheit.
Mannigfaltig verschieden, wie die Vögel selber, ist einerseits auch der Standort eines jeden Nests, und andrerseits des letztem Gestalt und Herstellung. Hoch oben im Gipfel einer uralten Eiche oder Buche trägt das Rabenpar Reiser zusammen, um einen umfangreichen Bau mit offner Nestmulde auszuführen. Gleichfalls auf einem hohen Baum, häufiger noch auf dem Dachgiebel eines Gebäudes, und zwar auf der Grundlage eines von Menschenhand gastlich vorgerichteten Rades, ist das Storchnest erbaut, welches in jedem Jahr von demselben Pärchen wieder bezogen, ausgebessert und erhöht wird, so daß es im Lauf der Zeit einen gewaltigen Thurmbau bildet. Auf der unzugänglichen Felsenspitze oder auf einem Waldriesen steht der Adlerhorst; meistens in der Nähe eines Gewässers, ebenso, aber tief inmitten meilenlangen Waldgebiets und auf einem alten hohen Baum, ist das Nest des schwarzen Storchs oder das eines Reihers angelegt, und zwar finden wir die Reihernester meistens kolonienweise, also zu vielen bei einander. Auch diese, wie fast alle übrigen Nester unsrer größten freilebenden Vögel bis herab zu denen der Krähen, Tauben und selbst zahlreicher kleinen Singvögel, zeigen alle übereinstimmend die Gestalt einer oben offnen, runden Schale. Abweichend davon erscheint bereits das Elsternnest, denn es ist mit einem Dach aus Reisern überwölbt, und ein Schlupfloch führt von der Seite hinein. In der Gabel eines wagerechten Astes am alten Obstbaum hängt das kunstvolle Nest des Pirols in der Gestalt eines flachen Beutels.
Jetzt wenden wir uns einem wahren Kunstwerk unter den Vogelnestern zu, und zwar dem Bau der Singdrossel, welcher gleichfalls eine aus Reisern, Würzelchen, Flechten und Mosen geformte tiefe Mulde bildet, die aber innen mit weichem, moderndem Holz ausgeglättet ist. Als einen der hervorragendsten Nestbaukünstler bewundern wir weiterhin den Edelfink oder, richtiger gesagt, sein Weibchen, denn dessen allbekanntes, aus Mos, Flechten, Fasern, Thier- und Pflanzenwolle gewebtes und innen sorgfältig ausgepolstertes napfförmiges Nest, welches von außen einem Baumknorren täuschend gleicht, wird nur von wenigen derartigen Bauten anderer Vögel an künstlerischer Ausführung und Zierlichkeit übertroffen. Ähnlich, wenn auch beiweitem nicht so kunstvoll, sind die Nester der nächstverwandten Finkenvögel, Stiglitz, Hänfling, Zeisig und anderer, so wie die sämmtlicher Ammern hergestellt, und innen mit Haren, Federn, Thier- und Pflanzenwolle oder auch Würzelchen, Fasern, Rispen u. a. mehr oder minder künstlich ausgerundet.
Am höchsten unter allen unseren einheimischen Nestbaukünstlern stehen die Beutelmeise und Schwanzmeise. Die erstre ist durch ihr Nest förmlich berühmt und man sieht dasselbe mit Recht als eine der bewundernswerthesten Kunstleistungen, nicht blos in der heimischen Natur, sondern unter denen der Vögel aller Welttheile an. Wunderniedlich ist das Nest des Gartenlaubvogels, eine zierliche tiefe Mulde mit schön rosenfarbenen Eiern. Das Nest der Nachtigal unterem dichten Dornbusch auf der Erde, des Rothkehlchens und Blaukehlchens im niedrigen Gebüsch und die Nester fast aller anderen hervorragenden Sänger sind viel weniger kunstfertig; zu den bekanntesten und schönsten zugleich gehört das kugel- oder backofenförmige Nest des Zaunkönigs. Die Kohl-, Blau-, Hauben- und Nonnenmeise, wie die meisten Meisen überhaupt, bewohnen Astlöcher und allerlei Höhlungen und erbauen in denselben mehr oder minder sorgsam ausgeführte gepolsterte Nester. Einen übereinstimmenden Standort hat das Nest des Stars, doch sehen wir es gewöhnlich viel höher in alten Bäumen, im übrigen ist es ebenso, nur einfacher hergestellt. Die Brutstätten aller Spechte und mancher anderen Höhlenbrüter verdienen kaum die Bezeichnung Nest, weil die Eier nur auf geringer Unterlage, auf Müll, manchmal auf dem bloßen Holz, in der Baumhöhlung liegen. Absonderlich, wenn auch nichts weniger als schön, erscheint das Nest des Wiedehopfs, welches ebenfalls in einem Astloch oder einer andern Höhlung steht und mit Kuhmist ausgemauert ist.
Unter den Brutstätten der Erdnister finden wir gleicherweise mancherlei verschiedenartige Anlagen, denn von den Nestern der Lerchen u. a., welche noch immerhin künstlerisch geformt und mit Halmen, Fasern oder langen Pferdeharen ausgerundet sind, bis zu den Niststätten der Seeschwalben und Möven, die ihre Eier lediglich in eine in den bloßen Sand gescharrte Mulde legen, sehen wir wiederum eine große Mannigfaltigkeit vor uns. Abweichend in ihren Leistungen als Künstler treten uns die Haus- und Mauerschwalbe entgegen, denn sie formen an die Wandfläche geklebte, halb- oder viertelkugelförmige Gebilde, welche ungemein geschickt in der Ausführung sind. Den Beschluß in der langen Reihe der Nesterbauer machen die Erdhöhlenbrüter, welche in der That unser Staunen im höchsten Maße erregen, durch das Geschick und die Kraft, vermittelst derer sie tiefe Höhlen in den Erdboden zu graben vermögen, so die winzige Uferschwalbe an den steilen Wänden von Flußufern, großen Sandgruben u. a., und der Eisvogel an den ersteren Orten.
Um die Kunstfertigkeit der Vögel im Nestbau recht zu kennzeichnen, hat man ihre bezügliche Thätigkeit mit der menschlicher Handwerker und Künstler verglichen. Man bezeichnet sie als: Minirer, Maurer, Zimmerer, Plattformbauer, Korbflechter, Weber, Schneider, Filzmacher, Cementirer, Dombauer oder Moswölber, außerdem als Erdnister und schließlich Schmarotzervögel, welche letzteren, bei uns nur der Kukuk, in den übrigen Welttheilen auch andere, ihre Eier in fremde Nester legen, von den Pflegeeltern erbrüten und die Jungen erziehen lassen.
Wiederum ein Vorgang im Vogelleben, welcher unsre Theilnahme in hohem Maße in Anspruch nehmen muß, ist der Brutverlauf und die Aufzucht der Jungen, also das eigentliche Nisten. Das Gelege, d. h. die Zahl der Eier, deren Größe, Gestalt und Färbung, die Brutdauer und dann das Verhalten der Jungen sind gleicherweise abweichend und verschieden, wie die Wahl des Nistorts, die Anlage und Herrichtung des Nests. Von den hünerartigen Vögeln, also dem Feldhuhn und der Wachtel, welche 10 bis 15 Eier und darüber legen, bis zu den Tauben, welche stets nur zwei Eier und den hochnordischen Alken, die sogar nur ein einziges Ei in jeder Brut haben, schwankt die Zahl der Eier in jedem Gelege außerordentlich. Von den reinweißen Eiern der Höhlenbrüter, Spechte, Schwalben, auch Tauben u. a., bis zu den einfarbig blauen Eiern der Stare und den vielfältig buntgefärbten, gefleckten, gesprenkelten, gestrichelten u. a. m. aller übrigen Vögel haben wir ein unendliches Vielerlei vor uns. Ebenso verschiedenartig ist natürlich die Brut und die Brutdauer. Schon in der Betheiligung am Nestbau zeigen sich die Vögel vielfach von einander abweichend. Den liederlich zusammengeschichteten Wulst des Sperlingsnests schleppen beide Gatten des Pärchens heran, gleicherweise bringen Täuber und Täubin gemeinsam den leichten, wenig kunstfertigen Bau ihres Nests zustande, beim Edelfinken-Nest ist das Weibchen allein die Künstlerin und sie sammelt und trägt auch die Stoffe herbei, nur begleitet hin und zurück vom Männchen unter schmetterndem Schlage. Bei anderen errichtet das Männchen allein das Nest, während das Weibchen anscheinend gleichgiltig zuschaut. Die Brutdauer währt von den elf bis dreizehn Tagen, in denen die Eier der kleinsten einheimischen Vögel, Goldhähnchen und Zaunkönig, gezeitigt werden, bis zu den dreißig Tagen und darüber bei den größten unserer einheimischen Vögel, wie Trappe, Adler u. a.
Mit dem Johannistage, sagt der Volksmund, hat Vogelsang und Kukuksruf ein Ende, und in der That, im allgemeinen ist dies zutreffend. Denn in der Zeit, in welcher die Vögel von der mühsamen Ernährung der Jungen im Nest in Anspruch genommen sind, wenn also das Männchen nicht das brütende Weibchen allein, sondern auch die den Eiern entschlüpften Jungen füttern und beim Heranwachsen der letzteren immer mehr rastlos nach Nahrung umhersuchen und jagen muß, hat es keine Muße mehr dazu, sein Jubellied erschallen zu lassen. Arbeit und Sorge belasten jetzt den gefiederten Sänger – gleicherweise wie leider nur zu oft seinen Genossen in der Menschenwelt, den Dichter oder Künstler. Die Stille in der Natur wird hinfort nur unterbrochen von dem heisern Zirpen der um Nahrung bettelnden Jungen.
Bedeutungsvoll verschieden ist das Verhalten aller jungen Vögel, und zwar vornehmlich darin, daß die einen Nesthocker und die anderen Nestflüchter sind. Die ersteren, wie namentlich alle unsere Singvögel, die Finkenvögel, die Angehörigen der großen Gruppe der Kerbthierfresser, welche man als Sänger insgesammt bezeichnet, also die Erdsänger, Grasmücken, Drosseln, nebst allen zahlreichen Verwandten, ferner die Tauben, Krähenartigen, Raubvögel u. a. m., sind nach dem Ausschlüpfen aus dem Ei unbehilflich und erbärmlich und müssen sorgsam verpflegt werden, indem die Alten ihnen die Nahrung in die begierig aufgesperrten Schnäbelchen stecken. Sie müssen ferner, vom alten Weibchen oder von beiden Gatten des Pärchens erwärmt, beschützt und selbst nachdem sie flügge geworden, noch lange Zeit geführt werden. Die letzteren dagegen, zu denen besonders die Hühnervögel gehören, laufen sogleich, wenn sie ausgebrütet sind, behend davon und bedürfen nur noch der Beschützung und Führung, Anleitung und zeitweisen Erwärmung seitens der Henne oder Glucke.
Nach dem vollständigen Flüggewerden aber sind diese wie jene jungen Vögel beiweitem noch nicht selbständig; gleich der menschlichen Jugend haben sie vielmehr eine mehr oder minder beschwerliche Lehrzeit durchzumachen, damit sie geübt und gekräftigt und dazu befähigt werden, den Kampf ums Dasein bestehen zu können. Sie müssen lernen, die Nahrung zu erwerben, gleichviel, ob sie Körner und Gewürm hervorscharren und auflesen, allerlei Sämereien enthülsen und entkernen, ob sie andere Thiere haschen und fangen und nicht selten erst in schwerem Ringen erlegen; sie müssen ferner in fortwährenden Übungen volle Fluggewandtheit und Sicherheit erlangen, um darin und nicht minder auch in allerlei Listen den Feinden und Gefahren, welche das Leben ihnen entgegenstellt, entgehen oder widerstehen zu können.
Noch prangen Flur und Hain im Blumenschmuck, und eine Fülle der reichsten Gaben bietet gerade jetzt die Natur in den allenthalben heranreifenden Früchten. Als allererstes Zeichen der kaum bemerkbar nahenden rauhen Jahreszeit folgt dem noch glühendheißen Tage aber bereits eine eisigkalte Nacht, und während die heitre Welt der Gefiederten überall sich des vollen Wohlseins zu erfreuen, im Überfluß zu schwelgen und des Lebens Annehmlichkeiten zu genießen scheint – da, nur wahrnehmbar für den Blick des aufmerksamen Beobachters, verschwinden schon die ersten Zugvögel, die eigentlichen Sommergäste, aus unseren Fluren und treten die Reise nach der fernen Winterherberge an; zuerst die Blaurake oder Mandelkrähe, der Pirol oder Pfingstvogel, der Segler oder die Thurmschwalbe, Nachtschwalbe, Wiedehopf, Uferschwalbe, nach wenigen Wochen folgt der Kukuk, und bald brechen sie immer zahlreicher an Arten und in immer vielköpfiger werdenden Scharen auf, die leichtbeschwingten Wanderer.
Sobald die Sommerfrüchte mehr und mehr eingeerntet, die Obstbäume in den Gärten und dann auch die Felder lerer werden, rüsten sich die Zugvögel in immer zunehmender Artenmannigfaltigkeit zur bevorstehenden Wanderung, und je mehr wir uns dem Beginn des Herbstes nähern, desto regsamer werden die reisenden Vögel. Nach beendeter Brutzeit schweifen fast alle, selbst die Stand-, mehr natürlich die Strich- und Zugvögel, familienweise umher, bis sie sich zu Flügen, Schwärmen und zuletzt wol gar zu Scharen von unermeßlicher Kopfzahl ansammeln. So können wir die Finkenvögel in den Gemüsegärten schauen, wie sie an den Sämereien schmausen, Ammern und Sperlinge, welche in das reifende Getreide einfallen, Krähen und Dohlen, die sich zum gemeinsamen Übernachten auf Kirchthürmen oder hohen Bäumen einfinden, Stare, welche sich auf den Wiesen umhertummeln und abends im Rohrdickicht einkehren; Schwalben, die von den Dächern hoher Gebäude oder von den Telegraphendrähten aus ihre Flugübungen abhalten.
Unmerklich treten dann die Wanderer die Reise nach dem Süden an, und zwar die wenigsten in einzelnen Köpfen, mehrere in Familien und die meisten in mehr oder minder großen Scharen. Manche Arten wandern in getrennten Geschlechtern, zuerst die Weibchen mit den Jungen und um einige Wochen später die Männchen, so z. B. die Edelfinken. Zum nahenden Herbst hin erblicken wir am fernen Horizont Kraniche und andere große Wandervögel im seltsamen Dreieck dahinschwebend, während ihre Trompetenrufe zu uns herüberschallen; Störche gleiten in malerischen Schraubenlinien von dannen, die meisten kleineren Vögel reisen in ungeordneten Flügen. Mit dem Oktober wird der Aufbruch allgemein; auch die kräftigsten begeben sich jetzt nach und nach auf die Wanderung und je nach der Witterung gehen sie vorwärts, nicht selten aber auch noch wieder auf ziemlich weite Strecken zurück. Die Stare kommen nach wochenlangem Umherstreichen wie zum Abschied zu den Nisthöhlungen, schlüpfen aus und ein, singend und jubelnd, als wollten sie zu einer neuen Brut sich rüsten, bis sie nach wenigen Tagen doch plötzlich über Nacht verschwunden sind.
Auf bestimmten Wegen geht die Wanderung der Vögel dahin; aus der Heimat zunächst süd- und südwestwärts, weniger südostwärts, dann, wenn Hindernisse eintreten, wie Gebirge, große Waldungen oder Wasserflächen, weiter durch bestimmte Pässe, gleichviel, ob diese im Zickzack und manchmal geradezu rückwärts führen. Gewisse Ruhepunkte werden von außerordentlich vielköpfigen Scharen aufgesucht, so z. B. die Insel Capri und die südlichen Bergeshänge in allen europäischen Ländern am Mittelmeer.
Die Wanderscharen der meisten hochnordischen Vögel kommen nur bis zu uns nach Deutschland, bis Mittel- oder höchstens Südeuropa. Auch von den bei uns heimischen Zugvögeln gehen manche, wie Star, Lerche, Saatkrähe, gewöhnlich nur bis Südeuropa. Die beiweitem größte Anzahl aller Wandervögel überhaupt überfliegt das Mittelmeer und zieht bis mehr oder minder tief nach Afrika hinein, einige, wie z. B. die Schwalben, soweit, daß die Forschung ihre eigentlichen Winterherbergen noch gar nicht ermittelt hat.
In derselben Reihenfolge, wie der Abzug, findet die Rückreise statt, selbstverständlich jedoch im umgekehrten Verhältniß, sodaß also die bei uns zuletzt ausbrechenden Vögel aus der Fremde zuerst zurückkehren und unsere zuletzt ankommenden Sommergäste am frühesten davoneilen und somit die kürzeste Frist bei uns verweilen.
Feinde und Gefahren treten dem Vogel häufig und mannigfaltig entgegen. Schon im Nest überfallen ihn Räuber, von den Bewohnern des Ameisenhaufens, welche die Jungen qualvoll ertödten, bis zur Schlange, die sie verschlingt, von der Maus, welche einen schwächlichen jungen Vogel hinterrücks packt und in ihr Loch zerrt, bis zum Würger, der denselben, wie den Käfer, auf einen Dorn spießt, von der Hauskatze, die Jung und Alt überlistet, bis zum Sperber, der das Gefieder inmitten fröhlichen Sonnenscheins mit scharfer Kralle schlägt.
Aber alle diese Verfolgungen stehen in keinem Verhältniß zu den furchtbarsten Verderbern des Vogellebens, deren einer in den Einflüssen der Witterung sich ergibt, und deren andrer, fast noch verherender wirkend, der Mensch ist.
Wenn eine Vogelschar, auf der Reise übers Meer vom Sturm erfaßt, auf Hunderte von Meilen vom Ziel verschlagen oder selbst in der Nähe der Küste ins Meer geworfen wird, so finden die gefiederten Wanderer unrettbar den Untergang. Gleicherweise verderben und sterben die weichlicheren Kerbthierfresser oft zahlreich, wenn sie im Frühjahr zu zeitig heimkehren und dann noch von Schlackenwetter, Schnee und Frost ereilt werden. Namentlich die jüngeren und schwächeren Vögel gehen in beträchtlicher Anzahl zugrunde, wenn sie, wie z. B. im Jahr 1882 im größten Theil Europas, unter Mißverhältnissen der Witterung zu leiden haben; die kalten Tage und besonders Nächte lassen nicht allein ihre zarten Glieder erstarren, sondern vor allem rauben sie ihnen die ausreichende Nahrung und bringen also unzähligen fröhlichen Vogelleben den frühzeitigen Tod. Reif und Glatteis bedrohen ebenso unsere Stand- und Strichvögel, namentlich die Meisen.
In den Ländern ums Mittelmeer, vorzugsweise in Oberitalien und Südfrankreich, harren unserer gefiederten Wanderer allenthalben Tod und Verderben in dem seit altersher üblichen, von Alt und Jung, Vornehm und Gering mit gleichem Eifer betriebnen Vogelfang. Zu vielen Tausenden werden hier harmlose und fröhliche Vögel vernichtet. Von diesen Südeuropäern, die alle Vögel, welche sie erwischen können, selbst Schwalben, massenhaft morden, um sie mit Polenta zu verzehren, bis zu den lüsternen Feinschmeckern bei uns, welche Lerchen und Drosseln und wol gar Meisen für die Bratpfanne erwürgen, von dem Fänger, der tausende von Krammetsvögeln in den Dohnen erbeutet, bis zum Vogelsteller, der einzelne Männchen für den Käfig einfängt, von dem. die Vogelnester ausstöbernden, Eier raubenden Buben bis zum Sonntagsschützen, der den zutraulichen Vogel muthwillig herabschmettert, blos weil er ihm ein verlockendes Ziel bietet, von dem Tagarbeiter, der beim Kleemähen achtlos das Lerchen- oder Rebhühnernest zertritt, bis zum schwerringenden Landmann, der dazu gezwungen ist, jeden Strauch fortzubringen, jeden geringsten Raum urbar zu machen, und zum Forstwirth, der in der Waldbewirthschaftung durch Kahlhieb, also Herunterschlagen jedes alten hohlen Baums und Ausroden jedes bewachsenen Stubbens, den Vögeln gleicherweise alle Nistorte raubt – erblicken wir eine fast unübersehbare Reihe von Feinden und Vertilgern der gefiederten Welt vor uns. Wahrlich nicht ohne Ursache ruft das Vogelwort uns zu:
»D'rum bleib' er lieber hübsch allein,
Herr Mensch, ich mag nicht bei ihm sein!«
Alljährlich tritt den Vögeln noch eine Gefahr entgegen, welche in einem naturgemäßen, doch immerhin ihr Dasein bedrohenden Vorgang liegt. Dies ist die Mauser oder der Federwechsel. Nach vollendeter Brut und meistens in der heißesten Zeit des Jahres verlieren die Vögel ihre alten Federn und neue sprießen hervor. Jeder Vogel, der eine mehr, der andre weniger, fühlt sich dann angegriffen, er verliert sein lebhaftes, heiteres Wesen, sitzt still und trübselig da, sein Gesang verstummt, und viele Vögel suchen Verstecke auf, um den Federwechsel in möglichster Ruhe durchzumachen. Bei den meisten derselben geht er allmählich vor sich, sodaß die naturgemäße Erneuerung der Federn nach und nach in Verlust und Ersatz gleichen Schritt hält; bei manchen aber tritt die Mauser so plötzlich und reißend schnell ein, daß sie fast ganz nackt werden und wol gar zeitweise das Flugvermögen verlieren. Wenngleich die Mauser an sich nur in dem Fall, daß sie in Folge von Krankheit oder Altersschwäche stockt, Verkümmerung und Tod bringt, so ist sie doch jedesmal dem Vogel lästig und verursacht ihm mindestens Unbehagen. Aber sie ist auch ein hochwichtiger Vorgang im Vogelleben, denn sie erneuert seinen ganzen äußern Körper, verleiht ihm bessern Schutz gegen die Witterung, erhöht sein Flugvermögen und gibt ihm reichere Schönheit. So also liegt in der Mauser wol die bekannte Fabel begründet, denn aus dem trübseligen Vogel mit abgestoßenen Schwingen und Schwanzfedern, kahlem Schopf und Nacken und Brutflecken an Brust und Unterkörper ist der voll, reich und schön befiederte, gleichsam neue Vogel entstanden – der Phönix aus der Asche.
So hat der Vogel sein Schicksal, wechselvoll wie das Menschenleben, reich an Freude und Wonne, aber auch viel mehr noch an Noth und Gefahren. Wenn er im Sonnenschein des Frühlings und bei Nahrungsfülle sein Lied schmettert, wer wollte daran zweifeln, daß sein Herz geschwellt ist von Wohlempfinden und Liebesglück, und daß er dies jubelnd der Welt verkündet! Trotz allen Ungemachs, welches er überstehen muß, erreicht mancher Vogel ein verhältnißmäßig hohes Alter und erfreut sich eines längern und vor allem fröhlichern Daseins, als viele seiner Genossen in der Thierwelt.
Treten wir hinaus in die freie Natur, so kommt uns kein andres Geschöpf so lieb und traut entgegen, wie der Vogel; sein herrlicher Gesang, seine bunten Farben, sein anmuthiges, lebendiges Wesen fesseln Ohr und Auge und führen uns bald dazu, daß wir ihn schätzen und liebgewinnen. Unwillkürlich müssen wir uns sagen: wie öd' und leer, wie freudenarm wäre die Natur, wenn es keine Vögel gäbe! Dann aber zeigen sich diese auch noch von einer andern Seite. Unübersehbare Scharen arger Fresser – die schädlichen Kerbthiere – bedrohen allenthalben und immerfort unsere Kulturen, unsere unentbehrlichen Nutzgewächse; und im Kampf gegen sie gibt es nur eine wirksame Hilfe: die nützlichen Vögel. Sie allein vermögen das Ungeziefer erfolgreich zu befehden. Darum eben beschützen und hegen wir sie, und der Vogelschutz ist heutzutage eine Angelegenheit, mit welcher sich Hunderte von Vereinen und tausende von Männern eifrig beschäftigen. Aber auch noch in vielen anderen Beziehungen zum Menschenleben steht der Vogel.
Immer mehr entfremdet sich leider der Mensch dem Naturleben. In der rastlosen Thätigkeit unserer Tage, dem Lehren und Lernen, dem Ringen nach Erwerb, wie im Strudel der Vergnügungen, bleibt uns gar wenig Muße zur Berührung mit der freien Natur übrig – und doch, wo könnten wir reine Freuden und hehre Genüsse reicher finden, als inmitten des Lebens und Webens in der Allmutter Natur! Darum sehnt sich das Menschenherz überall nach Naturfreude und Naturgenuß, und fände es diese auch nur an einem Vogel oder einem Blümchen. Hierin allein schon beruht die Berechtigung, einen Vogel zu halten. Vogel und Käfig bilden einen schützenswerthen Schmuck in jeder Häuslichkeit. Zugleich wird durch den Stubenvogel der Sinn der Jugend zu naturgeschichtlichen Dingen hingeleitet, Neigung für die Natur überhaupt bei ihr geweckt, und schließlich wird sie durch ihn zum ernsten Studium geführt.
Seit den ersten Regungen der Kultur können wir den Vogel als Genossen des Menschen finden, und zwar nicht blos jenes Gefieder, welches ihm unmittelbaren Nutzen bringt, ihm Nahrung oder Kleidung gewährt, also als Hausthier in seinen Dienst getreten ist, sondern auch den Vogel, der ihm nur Freude und Erheiterung gewährt. Diesen Stubenvogel also, wie wir ihn heutzutage nennen, sehen wir seit dem grauen Alterthum her und gleicherweise zu allen Zeiten, wie bei allen Völkern neben den Menschen. Und in der Gegenwart ist er nicht minder ein Hausfreund bei Allen, die sich an der Natur erfreuen und an ihren Gaben und Genüssen Wohlgefallen empfinden. So sehen wir jetzt wie vor langen Jahren immerfort und im steigenden Maße die Vogelliebhaberei verbreitet. Es gibt eine beträchtliche Anzahl von Arten, welche man gleichsam als Wappenvögel der Liebhaberei bezeichnen darf: so den Edelfink im Thüringerwald, den Kreuzschnabel beim Gebirgbewohner, Zeisig, Stiglitz und Hänfling beim schlichten Handwerker, Rothkehlchen und Meise beim Bürger und Landmann, Nachtigal und Sprosser bei den begeisterten Verehrern des herrlichsten Vogelgesangs, Schwarzköpfchen, Meistersänger, rothrückiger Würger bei besonderen Kennern, Eisvogel, Specht, Kukuk und Schwalbe nur bei absonderlichen Liebhabern, den Kanarienvogel bei Jedermann von der Hütte bis zum Palast, und den Harzer Roller bei einer Schar glühendster, förmlich andächtiger Liebhaber, den kostbaren sprechenden Papagei im glänzenden Salon, wie in der bürgerlichen Häuslichkeit, Wellensittich, Prachtfinken und Webervögel in zahllosen Vogelstuben, die amerikanische Spottdrossel, den indischen Schama und andere gefiederte Sängerfürsten bei den reichsten und verwöhntesten Gesangsliebhabern; dann aber darf als internationaler gefiederter Sangeskünstler nächst dem Kanarienvogel der abgerichtete oder, wie der Volksmund sagt, der »gelernte« Gimpel gelten.
Die bei uns vorzugsweise weit verbreitete Liebhaberei für die fremdländischen Vögel gewährt auch mancherlei wirthschaftliche Vortheile: Die Einführung und der Verkauf des Gefieders bilden einen wichtigen Erwerbszweig. Durch billigen Ankauf, Erhaltung, Eingewöhnung und dann theuren Verkauf solcher Vögel vermögen sich viele Leute bedeutsame Einnahmequellen zu verschaffen. Neuerdings geschieht dies in gleicher oder ähnlicher Weise einerseits durch Zähmung und Abrichtung von sprachbegabten Papageien u. a. m., andrerseits durch kenntnißvolle Züchtung von allerlei Stubenvögeln: Wellensittichen, anderen Papageien, Prachtfinken und dergleichen; die Kanarienvogelzucht allein bildet einen Gegenstand des Ertrags von vielen tausend Mark alljährlich. Nicht minder wichtig ist die Einführung fremdländischer Vögel, deren Beobachtung und Züchtung für die Wissenschaft. Der Vogelhandel hat im Lauf der Zeit zahlreiche Arten überhaupt erst zu uns und durch die Liebhaberei in die wissenschaftlichen Sammlungen gebracht, welche bis dahin hier noch nicht vorhanden waren, und sonst vielleicht in unabsehbarer Weise nicht dorthin gelangt sein würden. Andrerseits sind durch die Züchtung solcher bisher kaum bekannten Vögel deren Lebensweise, Nest, Eier, Nest- und Jugendkleid, Winter- und Sommerkleid, Geschlechtsunterschiede u. a. m. erkundet und also Forschungen gemacht worden, deren Ergebnisse die Reisenden in den fernen Weltgegenden wahrscheinlich in vielen Jahrzehnten noch nicht erlangt haben würden Näheres über alle diese Verhältnisse, sowie praktische Anleitungen, finden die Leser in meinen Werken: » Die fremdländischen Stubenvögel« (I. Finken, III. Papageien), » Lehrbuch der Stubenvogelpflege, -Abrichtung und -Zucht«, » Handbuch für Vogelliebhaber, -Züchter und -Händler«, » Der Kanarienvogel«, » Die sprechenden Papageien«, » Der Wellensittich«, » Die Prachtfinken«, » Die Webervögel« u. a. m..
So sehen wir die Vögel und das Vogelleben mindestens in allgemeinen Umrissen treu geschildert vor uns. Immer vermag das gefiederte Völkchen unsre Aufmerksamkeit zu fesseln und uns Überraschungen und Freuden zu gewähren, immer und allenthalben bereitet es uns Vergnügen. Und gleichviel, ob wir den Stubenvogel als unsern nächsten Genossen vor uns haben, oder ob wir den Sänger in Feld und Wald belauschen, jederzeit dürfen wir ihn als einen trauten Begleiter auf dem Lebenswege, als einen lieben Freund in guten und bösen Tagen erachten.
Und wenn dereinst des Vogels letztes Stündlein naht und er den Weg wandeln muß, auf welchem es für alles Leben keine Rückkehr gibt, so widmen wir ihm auch dann unsre volle Theilnahme.
Wol nur wenige Menschen können ohne Rührung das Sterben eines Stubenvogels ansehen, und ein weiches, schwärmerisches Gemüth weint dem todten Lieblinge nicht allein heiße Thränen nach, sondern bereitet ihm auch ein Grab unterm Rosenbusch oder an einer andern durch Freundschaft geweihten Stätte. In ähnlicher poetischer Weise feiert gleichsam die Natur den Tod und das Begräbniß eines ihrer gefiederten Mitbürger.
Das Feuerrohr des herzlosen Schützen hat sich auf den Sänger gerichtet und ihm im Liede, während er seine jubelnden Liebestöne erschallen ließ, das tödtende Blei in die Glieder geschmettert. Da ist der Vogel hinabgesunken ins dichte Gebüsch, wo ihn Niemand gefunden, und ein Wirbelwind hat ihn mit Staub und Blättern zugedeckt. So ruht er verborgen, während sein verlaßnes Weibchen um ihn klagt und jammert. Doch es währt nicht lange, so kommen die Todtengräber, um ihm das Begräbniß zu bereiten. Kleine, schwarze, gelbgezeichnete Käfer sind es nämlich, welche jenen Namen führen; sie kriechen unter den Vogelkörper und arbeiten rastlos, scharren die Erde hinweg und senken ihn so allmählich tiefer hinab, bis er zuletzt völlig bedeckt, begraben ist. Dann schlüpfen sie noch einmal hinunter, legen ihre Eier hinzu, kommen wieder hervor und fliegen von dannen.
Wenn zeitig am Morgen darauf die Sonne emporsteigt und ihre Goldfluten durch das Gebüsch ergießt, dann umstrahlt sie das Grab des kleinen Sängers. Wie zu seinem Gedenken läßt die Amsel von der nahen Trauerbirke herab ihr Lied ertönen und der Hänfling auf dem Wipfel einer Kiefer wetteifert in seinem wundervollen Gesang mit ihr. Von den Büschen auf der Wiese her schallt der Kukuksruf herüber, und aus dem Obstgarten hallt des Pfingstvogels Flötenton. Ringsumher erwachen immer mehrere Vogellieder, und es bedarf nicht zu großer Phantasie, um in dem wonnevollen Frühlingskonzert zugleich das Trauergeläut zu Vögleins Begräbniß zu hören. Sang und Klang an seinem Grabe darf nur heiter sein, wie sein ganzes Leben, von dem der Dichter uns zuruft:
»Nichts Fröhlich'res als Finkenschlag
Im grünen Buchenwald,
Der schmetternd hell am Frühlingstag
Von hundert Zweigen schallt.
Und wer die schöne Welt durchzieht,
Mit Sorgen nicht bepackt,
Dem schlägt ein flottes Finkenlied
Zum Marsch den rechten Takt.«