Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Kernbeißer ( Coccothraustinae).

Wiederum nur in einer Art kommen die Kernbeißer bei uns in Deutschland vor, während sie, wenngleich auch bloß in verhältnißmäßig wenigen Arten, doch eine weite Verbreitung über alle Welttheile haben und am zahlreichsten in Asien und Amerika heimisch sind. An folgenden besonderen Merkmalen sind sie von anderen Vögeln zu unterscheiden.

Ihre Gestalt ist kräftig und gedrungen mit großem dickem Kopf und vollem, dichtem und weichem Gefieder. Der Schnabel ist außerordentlich stark und dick, kreiselförmig, mit etwas eingebogenen scharfen Schneiden, einer Querleiste und zwei großen Ballen im Unterkiefer. Die kleinen rundlichen Nasenlöcher sind von den Stirnfederchen größtentheils verdeckt. Die verhältnißmäßig kurzen Flügel, deren dritte Schwinge am längsten ist, zeigen eine absonderliche Bildung, indem einige Schwingen verkürzt und hakenförmig gestaltet sind. Der Schwanz ist sehr kurz und flach ausgeschnitten. Die Füße sind kurz, kräftig und mit mittellangen, stark gekrümmten und scharfspitzigen Krallen.

Ihre Lebensweise und alles Übrige werde ich bei der einheimischen Art schildern.


Der Kirschkernbeißer ( Coccothraustes vulgaris, L.).

Tafel XXV, Vogel a.

Tafel XXV. An der alten Seeburg:
a. Kirschkernbeißer (Coccothraustes vulgaris, L.),
b. Steinkauz (Strix noctua, L.),
c. Wachtelkönig (Crex pratensis, Bechst.)

Auch aus der Jugendzeit her knüpft sich eine Erinnerung für mich an den dickköpfigen Kernbeißer. Unter den Obstbäumen des Hausgartens stand eine Anzahl Kirschstämmchen, deren Früchte uns umsomehr willkommen waren, weil sie ja eigentlich den Beginn des reichen Obstsegens bildeten; aber wir hatten hier mit einem räuberischen Vogel zu rechnen, und die Unverschämtheit des Kernbeißers erregte immer umsomehr allgemeinen Verdruß, da er das süße wohlschmeckende Kirschenfleisch verschmähte und zu Boden fallen ließ, nur den Stein knackte und den Kern fraß. Voll Ingrimm wurde die Flinte von der Wand gerissen und ein-, auch wol zweimal konnte die freche Räuberei mit wohlangebrachten Schüssen bestraft werden. Dann aber war die ergiebige Jagd beendet, denn von nun an ließ sich kein Kernbeißer so leicht mehr ankommen; ungemein scheu, vorsichtig und listig zogen sie bereits davon, sobald ich auf weite Entfernungen nahte. Nur wenn ich regunglos stundenlang im Dickicht versteckt auf der Lauer saß, konnte ich beobachten, wie sie im gewandten hurtigen Fluge, ruckweise und von weit her in Bogenlinien herbeieilend, trotz ihres plumpen Aussehens gewandt im Gebüsch umherkletterten, um von den Kirschen zu schmausen. Während solcher Räuberei verhielten sich alle Angehörigen der Schar durchaus lautlos; wenn ich dann aber wieder eine Ladung Vogeldunst in ihre Reihe schmetterte, flüchteten sie mit schrillem zih, zih von dannen und noch weithin warnten sie einander mit scharfem zicks, zicks.

Der Kernbeißer ist an Stirn, Oberkopf und Wangen gelbbraun; ein schmaler Stirnstreif, die Zügel und ein breiter Kehlfleck sind tiefschwarz; Hinterkopf, Nacken und Hals sind aschgrau, Oberrücken und Schultern kastanienbraun, der Unterrücken ist hellerbraun, der Bürzel gelbbraun: die Schwingen sind schwarzbraun mit blauem Metallglanz; die großen Flügeldecken sind dunkelbraun, die mittleren weiß, die kleinen gelbbraun; die Schwanzfedern sind schwarz, die mittleren aschgrau und die äußeren gelbbraun gesäumt, alle mit breitem weißem Ende; Brust und Bauch sind düsterröthlichgrau, die Seiten weißgrau; der Hinterleib und die unteren Schwanzdecken sind reinweiß; der Schnabel ist blaugrau, an der Spitze schwärzlich (im Herbst wird er röthlichgelb), die Augen sind gelblichroth und die Füße düsterbräunlich. Von etwas mehr als Finkengröße hat er folgende Maße: Länge 18 cm; Flügelbreite 32 cm; Schwanz 6 cm. Das Weibchen ist am Oberkopf düstergelblich grau, der Streif um den Schnabel und die Kehle ist bräunlichschwarz, der Rücken ist fahlbraun und der Bürzel gelbgrau; die Unterseite ist matterröthlichgrau. Im übrigen ist es in allen Farben fahler.

Über ganz Europa erstreckt sich die Verbreitung des Kirschkernbeißers und auch im Norden und Westen von Afrika und Asien ist er heimisch; er lebt im Süden als Strich- und in nördlichen Gegenden als Zugvogel. Allenthalben in den Ebenen, seltner in den Vorbergen und im Hochgebirg garnicht, kann man ihn im lichten Laubgehölz, am Waldrand, in Feldhölzern und Baumgärten finden, doch ist er wenig zu bemerken, da er sich meistens in den Kronen hoher dichtbelaubter Bäume versteckt hält. Allerlei Sämereien, vornehmlich aber die Kerne von Kirschen, Wachholder-, Vogel-, Flieder- u. a. Beren, sowie auch Bucheln, Erlen-, Tannen- und andere Baum-, Hanf-, Salat-, Hirse- u. drgl. Samen bilden seine Nahrung, während er, gleichsam nur als Leckerei auch Baumknospen, junge, süße Erbsen und zarte Schößlinge von Gemüse schmaust, wo er sie nur erlangen kann. Sein Nest steht etwa mannshoch und darüber im jungen Stangenholz, im Wipfel eines Obstbäumchens oder im hohen Gebüsch und ist aus Reisern, Wurzeln, Fasern und Mos geflochten, mit Thier- und Pflanzenwolle ausgepolstert. Vier bis sechs Eier, welche auf blaßgrünlichem Grund aschgrau gefleckt und geadert und braun gepunktet sind, bilden das Gelege. Sie werden vom Weibchen, welches nur in der Mittagsstunde das Männchen ablöst, in 14 Tagen erbrütet. Meistens macht das Pärchen nur eine Brut zu Ende des Monats Mai und unter sehr günstigen Umständen eine zweite im Juli. Das Jugendkleid ist an Kopf und Hals hellgelb, Hinterkopf und Wangen dunklergelbgrau, Nacken graugelb, Rücken und Schultern graubraun und am Bürzel fahl gelbbraun; die Kehle und Halsseiten sind graugelb, die erstre ist zart dunkelbraun gefleckt; die ganze Unterseite ist rothgelblich-düsterweiß mit dunkelbraunen Querflecken. Während der Nistzeit hat jedes Par seinen bestimmten, ziemlich weiten Bezirk, aus welchem das Männchen jeden andern Vogel seiner Art unter schrillem Geschrei vertreibt. Dann setzt sich das Männchen auf die höchste Spitze eines kleinen Baums und zirpt hier eifrig unter wunderlichen Geberden seine heiseren Töne, welche man weniger als Gesang, denn als ein Geschwätz bezeichnen kann. Nach beendeter Nistzeit treibt sich die Familie in Gemüsegärten, Feld- und Vorhölzern, wo irgendwelche Beren zu finden sind, umher, bis sie, allmälig sich zu größeren Scharen ansammelnd, erst spät im Oktober hochfliegend südwärts wandern. Nur beiläufig wird der Kernbeißer mit Schlingen und Leimruten gefangen, doch ist er nicht leicht zu überlisten. Obwol er sich unschwer eingewöhnen läßt und auch recht zahm wird, so hat er doch als Stubenvogel nur geringen Werth, denn er ist unverträglich gegen alle Genossen und im übrigen auch wenig angenehm. Wer mit dem Kernbeißer in Berührung kommt, einen solchen für den Käfig kauft oder einen krankgeschoßnen vom Boden aufheben will, hüte sich vor seinen nur zu empfindlichen Bissen. Er heißt auch Dickkopf, und -Schnabel, Elfko, Finkenkönig, brauner Kernbeißer, Kernknacker, Kirschkernbeißer, Kirsch-Fink, -Hacker, -Knacker, -Schneller, -Vogel, Klepper, Leske, Nuß- und Steinbeißer.


 << zurück weiter >>