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Die Schlüpfer ( Troglodytidae)

In Europa sind sie nur in einer Art vertreten, welche in ihrer Kleinheit, aber auch in ihrem absonderlichen, kecken, drollig-würdevollen Wesen sprichwörtlich ist. Das Geschlecht Zaunkönig ( Troglodytes) hat folgende allgemeine Kennzeichen:

Die Gestalt ist kurz und stämmig, fast kugelrund, mit langer, weicher und lockrer Befiederung. Der Kopf ist spitz mit ziemlich langem, schwach gebognem, dünnem, pfriemenförmigem, an der First kantigem und gegen die Spitze hin zusammengedrücktem Schnabel. Die Flügel sind kurz und gerundet, und die vierte Schwinge ist am längsten. Der Schwanz ist sehr kurz, zugerundet und im Gegensatz zu dem aller verwandten Vögel aufrechtstehend. Die mittellangen Füße sind verhältnißmäßig kräftig und haben ziemlich große, sehr gekrümmte Nägel. Die Geschlechter sind nicht zu unterscheiden, das Jugendkleid ist aber abweichend gefärbt.

Über ganz Europa, auch Mittel- und Nordwestasien, dehnt sich die Verbreitung aus und nach dem Norden hin kommt der Zaunkönig häufiger vor als in südlicheren Gegenden; in Deutschland ist er überall zu finden, doch nirgends zahlreich. Da wie erwähnt nur die eine Art vorhanden, so werde ich dieselbe im Folgenden nach allen ihren Eigenthümlichkeiten schildern.


Der Zaunkönig ( Troglodytes parvulus, Koch)

Tafel XXXIV, Vogel a.

Tafel XXXIV. Die letzten Sanger:
a.Zaunkönig (Troglodytesparvulus, Koch),
b. Grünfink (Fringilla chloris, L.),
c. Haubenlerche (Alauda cristata, L.)

Gemischtes Laubholz, selten der reine Nadelholzwald, vorzugsweise Waldränder mit dichtem, dornigem Gebüsch, von Ranken und Gras durchwachsen, am liebsten in der Nähe von Gewässern, auch dichte Hecken in Gärten und auf Feldern, aber niemals hohe Bäume, dagegen auch große Strauchhaufen, namentlich aber mit Gestrüpp und Gras umgebene Zäune bilden seinen Aufenthalt. Hier lebt er als Standvogel und zeigt sich das ganze Jahr hindurch ungemein lebendig, indem er hurtig und gewandt das Dickicht durchschlüpft und durch seinen zirpenden und scharfen Lockton zet, zet, sein warnendes zeck, zeck und sein entrüstetes zerr sich bemerkbar macht. Im schnurrenden Fluge geradeaus und etwas schwerfällig, immer nur auf kurze Entfernungen von einer Hecke zur andern, erscheint er auch dicht vor uns.

Er ist an der ganzen Oberseite bräunlichrostroth, fein schwärzlich quergestreift, am Kopf dunkler als am Rücken, mit einem braunen Strich durch's Auge, schmalem, bräunlichweißem Augenbrauenstreif und röthlichbraunen Wangen; die Flügel sind bräunlichrostroth, schwarz gefleckt, der Schwanz ist heller röthlich und dunkelbraun in Wellenlinien quergestreift; Kehle und Oberbrust sind weißlichrohtbraun; die ganze übrige Unterseite ist blaßrothbraun, mit dunkelbraunen Wellenlinien gezeichnet; der Oberschnabel ist dunkelbraun, der Unterschnabel gelblich; die Augen sind dunkelbraun, die Füße röthlichbraun. Das Weibchen ist kaum zu unterscheiden, nur unmerklich kleiner und fahler gezeichnet. Zaunkönigsgröße ist bekannt (Länge 10 cm, Flügelbreite 16 cm, Schwanz 3,5 cm).

Allerlei kriechende Kerbthiere nebst deren Bruten, kleines weiches Gewürm und zur Zeit der Reife Hollunderberen dienen ihm zur Nahrung. Zwischen Baumwurzeln, im dichten Gebüsch, selbst in geschorenen Hecken, am liebsten in alten von Strauch durchwachsenen Zäunen, aber auch in allerlei anderen, meistens vorsichtig gewählten Gelegenheiten, sogar in der dichten Krone eines einzelnen Bäumchens, in irgend einem Astloch, einer flachen Erdhöhlung, in einer Felsen- oder Mauerspalte, in Reisighaufen, unter einer Brücke, im Schuppendach, steht in der Regel niedrig, doch auch bis zu sieben Meter Höhe, das Nest bereits zu Ende des Monats März, gewöhnlich aber erst im April. Es ist außerordentlich kunstvoll aus Mos, Baumflechten, Fasern, Grasrispen und Halmen gefilzt, kugel- oder eiförmig, mit Federn und Haren ausgepolstert und mit einem engen, zierlich gerundeten Schlupfloch an der einen obern Seite. Einzelne unbeweibte Männchen bauen auch für sich zuweilen Nester, welche indessen gewöhnlich von außen und innen nur aus Mos bestehen, viel weniger künstlich sind und als Schlafstätten benutzt werden. Wenn das eigentliche Brutnest zerstört wird, so richtet das Weibchen eines von jenen für eine zweite Brut her, indem es dasselbe mit Federn auspolstert. Fünf bis acht weiße, sehr fein rothgepunktete Eier bilden das Gelege, welches von beiden Gatten des Pärchens gemeinsam in dreizehn Tagen erbrütet wird. Im Jugendkleide erscheint der Zaunkönig rostroth, an der Oberseite weniger, an der Unterseite mehr gelblichweiß und schwärzlich gefleckt. Nach der Brut streicht die Familie anfangs allein, dann jedoch, etwa vom Oktober an, in Gesellschaft mit Meisen und anderen Vögeln umher, bis sich im März die Pärchen wieder an ihren Brutplätzen einfinden. Den lautpfeifenden, mit anmuthigem Triller endenden Gesang läßt das Männchen fast das ganze Jahr hindurch, selbst im Winter, hören. Und wenn der Zaunkönig am eisigen Winter- oder auch nur am trüben Spätherbsttag in der Mittagsstunde vom Hausgiebel oder Zaunpfahl herab sein munter und froh klingendes Lied erschallen läßt, so schenken wir ihm als einem der letzten Sänger unsre volle Zuneigung und wundern uns gar nicht über die vielen Namen, welche der Volksmund ihm beigelegt hat: Dorn-, Nessel-, Meisen-, Schupf-, Schnee-, Vogel- und Winterkönig, Großjochen, Konikerl, Thomas im Zaun, Zaunsänger, Zaunschlüpfer, Zaunschnerz und Zaunschnurz.

Als Stubenvogel ist er beliebt, weil er sich unschwer in einem mit Gebüsch, Gräsern und Blattpflanzen ausgestatteten Käfig, dessen hintre Wand mit Rinde bedeckt ist und der mit Mos umgebene Höhlungen mit engen Schlupflöchern enthält, eingewöhnen läßt; noch wohler fühlt er sich, wenn er in einem Gewächshause freifließen kann. Man fängt ihn im Meisenkasten, Schlaggarn, weniger auf Leimruten oder in Sprenkeln, weil er in den beiden letzteren Fangvorrichtungen leicht zugrunde geht. Mit frischen Ameisenpuppen, kleinen Mehlwürmern, Fliegen, Spinnen und allerlei ähnlichen Kerbthieren, auch frischen Hollunderberen bringt man ihn an die bei den Laubvögeln angegebne Fütterung und bei sorgsamer Pflege singt er nicht nur, wie im Freien, fast das ganze Jahr hindurch, sondern erhält sich auch einige Jahre recht gut in der Gefangenschaft. Gezüchtet ist er bis jetzt noch nicht, obwol dies hier und da behauptet worden.


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