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LXXXV

Im letzten Augenblick, als es schon schien, das schadhafte Argonautenschiff ihrer Freundschaft müsse untergehen, rettete es Elinor noch einmal. Ann hatte in einem Zustand mürrischer Wut erklärt, sie führe in der nächsten Woche nach Amerika zurück. Eugen hatte erklärt, er ginge nach Südfrankreich, um dort, wie er es behaglich ausdrückte, ein stilles, kleines Nest zu finden, wo er sich hinsetzen und schreiben könne. Was Starwick anlangt, nun, er blieb kalt, gemüdet und kummervoll unempfindlich, er nahm die bittre Vereitlung der schönen Pläne mit einer Schicksalsergebenheit hin, die gleichviel traurig und gleichgültig war, und hüllte seine eignen Absichten nun mehr als je in einen Mantel mysteriös-tragischer Verschwiegenheit. Elinor sah, wie verzweifelt es um die gemeinsame Sache stand und erkannte, daß sie auf keine Hilfe von diesen drei düstern Sezessionisten rechnen konnte. Sie nahm die Führung in die Hand und verwandelte sich in jene Frau, die einst im Krieg ein Sanitätsauto gefahren hatte.

»Hört mich mal an, meine Lieblinge«, sprach sie mit einer süß-spröden Frivolität, die so fein, so freundlich, so trostreich und so ohne weiteres gebieterisch war, wie es die Worte sind, die eine tüchtige Mutter zu ihren widerspenstigen Kindern spricht, »niemand geht weg, niemand reist heim, niemand geht irgendwohin, es sei denn auf diese wunderbare Reise, die wir von allem Anfang an geplant hatten. Nächste Woche fahren wir los. Ann und ich werden das Auto steuern, und Ihr beiden Jungen könnt bummeln und nach Herzenslust Euren müßigen und musischen Gedanken nachhängen, und wenn wir dann in so ein Nest kommen, das Euch zu einem guten, arbeitsamen Verweilen einlädt, dann werden wir Rast machen und wohnen, bis Ihr des Arbeitens wieder müde seid. Und dann werden wir weiterfahren.«

»Wohin denn?« fragte Starwick mit tonlos toter Stimme.

»Ei, mein liebes Kind!« rief Elinor ergötzt. »Irgendwohin! Wohin's Dir Spaß macht! Das ist ja das Schöne dran! Wir binden uns an kein Programm oder Schema, wir fahren ins Blaue, bleiben, wo es uns gefällt, und gehen überallhin, wo uns unsre süßen, selbstsüchtigen Wünsche hinlocken.« Dann, ein wenig sachlicher, fuhr sie fort:

»Also: ich denke, wir fahren zunächst mal nach Chartres, dann weiter in die Touraine, machen halt in Orléans oder Blois oder Tours, ganz wie es uns zusagt und bleiben dort so lange, wie's uns gefällt. Dann könnten wir nach den Pyrenäen 'nunterfahren und uns diese Gegend Frankreichs angucken. Wir können ein paar Tage in Biarritz bleiben und dann 'rüber ins Baskische Land fahren. Dort kenne ich unglaubliche Nester, wo wir bleiben können.«

»Könnten wir 'nüber nach Spanien fahren?« fragte Starwick. Zum erstenmal war eine Spur von Interesse in seiner Stimme.

»Aber freilich!!« rief Elinor. »Mein liebes Kind, wir können überall hingehn, überall, wo Dich das Herz hinzieht. Das ist ja das Schöne dran! Wenn Du zum Schreiben aufgelegt bist und 'nunter nach Spanien rutschen möchtest, um 'n bißchen zu schriftstellern, – hei! Presto! Chango! Alacazam!« rief sie lustig und schnippste mit den Fingern. »Die Sache ist schon gemacht! Was Einfacheres gibt's ja nicht!«

Eine Weile sprach niemand. Die drei Abspenstigen saßen einfach da und waren, ob sie nun wollten oder nicht, in den Bann der Verwundrung und des Entzückens geraten. Elinor, der es gegeben war, allen Dingen den Anschein des köstlich Leichten, des zaubrisch Einfachen und etwas ungemein Erregendes zu verleihen, hatte den phantastischen Plan ganz und gar in natürliche, vernünftige Gewänder gesteckt. Alles schien nun nicht nur möglich, sondern auch aufs schönste und lockendste ausführbar, – selbst so ein possierliches Projekt wie »'nunter nach Spanien zu rutschen, um 'n bißchen zu schriftstellern«, selbst so ein hoffnungsloses Wähnchen, wie »irgendwo, wo es einem zusagt, haltzumachen und zu arbeiten, bis man wieder zum Weiterfahren bereit ist«, selbst diese Dinge waren sofort ins Verwirklichungsbereich gerückt. Elinor stellte das ganze unmögliche Abenteuer nicht nur mit einer aufregenden und verzückten Glücksalsbuntheit dar, sondern sie unterbaute es auch mit einem von vornherein überzeugenden ernsthaften Zweck, einer praktisch vernünftigen Anlage.

Starwick riß sich nach einer Weile aus seiner geistesabwesenden, faszinierten Träumerei auf, wandte sich zu Eugen, und die alten Lachbläschen des innerlichen Ergötztseins gluckerten in seiner seltsam timbrierten Stimme, als er schlichthin bemerkte:

»Klingt tollschön, nicht?«

Und Ann, deren mürrischer, enttäuschter Gesichtsausdruck zusehends einer Miene unwillig gezollten Interesses Platz gemacht hatte, lachte nun ihr kurzes, zürnendes Lachen und sprach:

»Tollschön wär's schon, falls sich jeder mal zur Abwechslung wie 'n anständiger Mensch aufführen wollte.«

Trotz dieser ärgerlichen Äußerung hatte ihr Gesicht plötzlich beim Sprechen ein zärtlich strahlendes, ein freudig glückliches Aussehen angenommen, und anscheinend waren Glaube und Hoffnung zu ihr zurückgekehrt.

»Aber natürlich!« rief Elinor sofort vollkommen überzeugt. »Genau so wird sich jeder benehmen! Sobald wir aus Paris draußen sind, wird Eugen in Ordnung sein!« rief sie »Du wirst schon sehen! Wir haben diese letzten sechs oder sieben Wochen geradezu mörderisch drauflosgelebt! So was hält kein Gaul aus! Eugen ist den ewigen Betrieb müde, unsre Nerven sind überreizt, wir haben uns einfach zuviel zugemutet ... sind die ganze Nacht aufgeblieben, haben gezecht, sind von einem Lokal ins andre geflitzt ... aber gebt mal acht, ein oder zwei Tage Ruhe werden Wunder an uns wirken ... Und das, meine Kinder, ist's auch, was wir uns antun werden, und zwar nun, und zwar gleich.« Sie sprach bestimmt, gütig, gebietend: »Wir fahren heut noch aus Paris weg und ruhn uns aus!«

»Wohin denn?« fragte Starwick.

»Wir fahren alle zusammen 'naus nach St. Germain-en-Laye auf einen oder zwei Rasttage, eh wir die Reise antreten. Wir steigen in Deiner Pension ab, Francis, und da kannst Du Deine Siebensachen packen, weil Du ohnehin dann nicht mehr dorthin zurückkehrst. Alsdann fahren wir auf eine Nacht nach Paris zurück, allerlängstens auf einen Tag und eine Nacht. Dann räumen Ann und ich im Atelier auf, und Eugen packt sein Zeug im Hotel zusammen, das würde also, wartet mal ...« Mit gedankenvollen Fingern tippte sie sich leicht die Lippen. »Allerspätestens Montag früh sollten wir gepackt und alles geordnet haben und abfahrtfertig sein.«

»Wär's nicht besser, ich bliebe gleich in der Stadt und packte meinen Kram?« schlug Eugen vor.

»Liebling«, sagte Elinor weich mit einer zärtlich humorigen Verführerischkeit und legte ihm die Hand auf den Arm. »Du wirst bitte nichts dergleichen tun! Du wirst heut nachmittag mit uns dorthinaus fahren! Wir alle lieben Dich viel zu sehr, als daß wir's drauf ankommen ließen, Dich in letzter Minute zu verlieren.«

Sie lächelte, und dieses Lächeln löste auf einen Augenblick die merkwürdige, fast adlige Verhaltenheit ihres Antlitzes. Es war ein leises, angenehmes, zärtlich strahlendes Lächeln, und es verwandelte Elinors Gesicht in ein Wahrbild jener ungemein weiblichen, liebenswerten Anmut, die in einem scheinbar grotesken Gegensatz zu dem großen, schweren Körper ihr Wesen beseelte.

 

Nachdem somit unter der wohlwollenden und tröstlichen Diktatur dieser fähigen Frau den drei andern die Hoffnung zurückgegeben war, fuhren sie alle am Nachmittag lachend, singend, schreiend und in bester Laune, hoch- und heitergestimmt und unglaublich beglückt von dem Gedanken an das bevorstehende wunderbare Abenteuer hinaus nach St. Germain-en-Laye. Die Sonne ging schon zur Rüste, als sie ankamen; sie ließen ihren Wagen vor einem alten Café in der Nähe des Bahnhofs stehn und gingen alle eine Stunde im Wald spazieren, – auf den überwölbten, breiten Schneisen des stattlich düstern, herrlich angelegten großen Pflanzforsts, der so ganz anders war wie die amerikanischen Wälder, der so verschieden war von dem rüden, wildhingebreiteten, ungebändigten Lyrismus der furchterregenden amerikanischen Erde, der so heimgesucht war vom bannenden Zauber der Zeit. Es war der Forst, den Heinrich der Vierte so gut gekannt hatte, ein Gehege, dessen edle Baumkolonnaden einem wie eine wachstümliche Kathedralenarchitektur vorkamen, ein Wald, wie er an eine Zeit gemahnte, die altertümlich, stattlich, klassisch, voller Verdüsterung und tragischen Frohmuts war, eine Welt, in der ewig die Gestalten adliger Männer und Frauen von einst umgehn.

Als sie aus dem Wald herauskamen, war es gerade an der Zeit, denn in diesem Land, an diesem alten, adligen Ort war, wie sie nun sahen, sogar der Aufenthalt im Forst behördlicher Aufsicht unterstellt, und dieser Wald wurde nach den meßbaren Spannen der sterblichen Zeit für Besucher aufgemacht und wieder geschlossen. Die alte, rote Sonne des schwindenden Tags prunkte gerade hinunter.

Sie standen dann eine Zeitlang am Rand der steilabschüssigen Butte de St. Germain und blickten über die Gegend hin nach Paris. Drunten im Tal schlängelte sich die Seine in silberstillen Bogen, und hinter Feldern, Gehölzen und Dörfern, die schon schnell in die Dämmerschatten der Nacht versanken, sahen sie das ungeheure rauchige Gebilde, das Paris war, ein Gebilde mit Elfentürmen, alten Bauten und unmenschlich weiten Entfernungen, ein Steingefüge der Bezauberung, rauchig hold wie im Traum und scheinbar hochgehoben, emporgetragen und in der Schwebe gehalten in einem weiten, opalig schimmernden Dunst wie eine Vision von unmöglicher, unerreichbarer Lieblichkeit. Es war dies ein fernes Land Kockagna, ein Schlaraffenland, durchzogen ewiglich von seinem silberstillen Fluß; es war dies eine sagenhafte Zitadelle, von Wällen umgürtet wie Carcassonne, eine Stadt, die keiner erreichen und kennenlernen kann.

Und als sie dort standen und schauten, da war ihnen, als hörten sie das ungeheure, lockende, schläfrige Raunen der magischen, ewigen Stadt, – ein Raunen, in das die Kümmernisse, Freuden, Sorgen, Hoffnungen, Ehrgeizpläne, Verzweiflungen, Niederlagen und Liebeswallungen der Menschheit alle eingegangen waren. Und obschon das ganze Leben in diesem fernen, schläfernden Laut vermischt und vermengt war, so war doch der Laut selber ganz abgelöst, enthoben, ewig und unsterblich wie die Stimme der Zeit. Und dieses Raunen hing in den zeitlosen Himmeln über der elfischen Stadt und war auf immerdar dasselbe Raunen, gleichviel, was für Menschen lebten oder stürben.

Die vier schritten dann weiter und gingen in das alte Café am Bahnhof, um vor dem Nachtmahl einen Apéritif zu nehmen. Es war eins von diesen alten, angenehm abgeblaßten Cafés, die man oft in französischen Kleinstädten findet. In dem Lokal fühlte man sich so behaglich wohl wie in einem alten Schuh, und alles dort sah auch so wohlbehaglich aus: – die alten, abgeschabten Lederpolster der Sitzbänke, die Tische und Stühle, die Spiegel mit ihren alten Goldrahmen, das altpolierte und -gebeizte Holz, das alles war so benutzt, gebraucht, eingewohnt, vom Dasein mitgenommen und schön beschlagen, das alles atmete den Frieden und die schäbige Bequemlichkeit eines Zuhause, hatte etwas innig Selbstverständliches, das an Geschlechterfolgen ruhiger, ordentlicher Leute gemahnte, die hier im Lauf eines fahrplanmäßig pünktlich eingeteilten Tags hergekommen waren, ein Wesen, das sich gründlich unterschied vom fiebrigen Pulsschlag, vom sinnbetörenden Glitzern und Funkeln der Pariser Cafés. In den Gemütern der vier Freunde stand noch immer der große Wald mit seiner adligen Würde und seinem Frieden, stand noch die Vision der zeitverzauberten Stadt über den silberblinkenden Schleifen des ewigen Flusses, und ihre Herzen waren mit Verwunderung und stiller Freude erfüllt. Und das alte, anheimelnde, bequeme Café schien sie zu besitzen, schien sie sich anzueignen; es war eben so ein Lokal, in dem man sofort das Zugehörigkeitsgefühl hat, so eine Gaststätte, wo man gleich deutlich (ohne aber sagen zu können, warum) spürt, daß man dort »gut« aufgehoben ist. Als sie eintraten, kam der Besitzer, lächelte, begrüßte sie auf eine so stille, beiläufige, freundliche Art, als hätte er sie von jeher gekannt, und dann, einen Augenblick später, als sie auf den behaglichen, ledergepolsterten Wandsitzen Platz genommen hatten, kam der Kellner und wartete lächelnd auf die Bestellung. Er war einer von diesen Kellnern, wie man sie in Europa oft sieht, ein alter Mann mit einem scharfzügigen, vom Leben mitgenommenen Gesicht, einem verständigen, stillhumorvollen Gesicht, mit einer alten, schmalen Gestalt, der man zwar die Jahre des Dienstes anmerkte, die aber noch rüstig und behend war, ein anständiger Familienvater, wie er Frau und Kinder hat, ein Mensch von wohlbestellter Menschlichkeit, wie er Tausende von Leuten bedient hat, dem der Dienst einen Charakter verliehen hat, der weise, gut, ehrlich, sanft, aber dabei ein wenig unbestimmt ist. Die vier Leute bestellten ihre Apéritifs; Ann und Elinor nahmen je einen Cassis-Vermouth, Frank und Eugen je einen Pernod. Sie tranken und saßen freudig bewegt beisammen und unterhielten sich ruhig und mit jenem gelassenen, freundschaftlichen Einverständnis, wie es Leute für einander haben, deren Leidenschaften und Wünsche, deren Kümmernisse und Zwiste abgetan und beigelegt sind. Die Welt, in der sie in den letzten zwei Monaten gelebt hatten, die Welt des Pariser Nachtlebens und der Liederlichkeit, erschien ihnen wie ein böser Traum, und vor sich sahen sie schlicht und klar einen Weg.

Als sie aus dem Café heraustraten, war es vollends dunkel geworden. Sie stiegen ins Auto und fuhren nach der Pension, die am andern Ende des Städtchens lag. Elinor hatte dort bereits Zimmer für sie alle bestellt. Es kam nun heraus, daß Elinor vor drei Monaten, damals, als Starwick in Paris eintraf, ihm dort zwei Zimmer gemietet hatte, aber nach den ersten zwei Wochen hatte Starwick diese Zimmer nicht mehr bewohnt, obschon seine Kleider, Bücher und anderen Sachen zum größeren Teil noch dort waren. Dies war so einer seiner kostspieligen, verkehrten und tragisch vergeblichen Versuche, einen Ort zu finden, jenen undenkbar schönen, schicksalsgünstigen, aber niemals auffindbaren Ort, wo er sich niederlassen und seine Sachen schreiben könne.

Als die vier Freunde in die Pension kamen, wurde bereits zu Nacht gespeist. Man hatte einen Tisch für sie freigehalten. Als sie ins Speisezimmer eintraten, hörte dort sofort jedermann zu essen auf. Zwei Dutzend alte, tote Augenpaare richteten sich mißtrauisch auf die jungen Leute, und im nächsten Augenblick wurden an jedem Tisch alte Köpfe beflissen und verschwörerisch heimlich zusammengesteckt, und das leise, heißhungrige Gewisper ging los.

Starwick und Elinor waren offenbar den alten Pensionsgästen bereits bekannt, man schien sich ihrer zwar gut, aber nicht günstig zu erinnern. Sobald sie eintraten, lief das mit Zischlauten wispernde Staunen von Tisch zu Tisch. Eugen konnte ein paar giftig-spritzig gelispelte Bemerkungen auffangen:

»Ah, c'est lui! ... Et la dame aussi! ... Ils sont revenus ensemble ... Mais oui, oui!«

Sie nahmen Platz. Am Nebentisch saß eine alte Hexe mit einem Turmbau rotgefärbten Haars, einem altmodischen Kleid, das vorn mit tausend kleinen Zieratschächtelchen bedeckt war, sie lugte mit gehässig-heißhungrigen Neugieraugen herüber, dann lehnte sie sich halb über den Tisch, und ihren Tischgenossen zugewandt – einem Greis mit apoplektisch geschwollnem Gesicht und einem dicken weißen Schnurrbart und einer kleinen weißlichen, alten Runzelhexe mit glasperlenhaften Reptilienaugen, die vermutlich die Gattin des Greises war – zischte sie:

»Mais oui! ... Oui! ... C'est lui, le jeune Américain! ... Personne ne l'a vu depuis trois mois.«

Der Greis murmelte etwas mit schleimstickiger Stimme, und die Hexe mit dem gefärbten Haar und der alten Papageienvisage lehnte sich wieder zurück, schlug mit ihrer rappeldürren Knochenhand scharf auf den Tisch und rief mit voller, komisch dröhnender Stimme aus:

»Mais justement! ... Justement! ... C'est comme vous voyez!« Dann sank ihre Stimme wieder zum Flüsterton herab, sie linste listig Elinor und Frank an, die sich beide vor Lachen schüttelten, und tuschelte heiser:

»Il n'est pas son mari! ... Il est beaucoup plus jeune ... Mais non, mais non, mais non, mais non!« schnellte sie heftig ungeduldig los, als der Greis ihr eine Frage ins heißhungrige Lauscheohr murmelte. »Elle est déjà mariée! ... Oui! Oui!« Die beiden letzten Worte kamen wieder volltönig dröhnend im Ton des positiven Bescheidwissens und wurden von einem indignierten Seitenblick auf Elinor begleitet. »Mais justement! Mais justement ... C'est comme vous voyez!«

An diesem Abend war Elinor wie das Blitzlicht. Nichts entging ihr, und es gab auch einfach nichts, das sie nicht auf der Stelle verstand und augenblicklich zu deuten wußte. Alles, was sich ringsum ereignete, begriff sie, ehe es noch ausgesprochen war, und sie übersetzte das alles in eine quecksilberschnelle Heiterkeit, die ihre Freunde mitriß und augenblicklich in dieselbe wild-behende Lustigkeit versetzte, obschon es doch eigentlich unmöglich war zu sagen, warum sie alle plötzlich so toll vergnügt waren.

Die Suppe wurde gebracht, eine braune, etwas beunruhigende Brühe, in der Stückchen von einer geradezu störenden, unbekannten Masse schwammen, – ein weißliches Gewebe von einer obszön porösen Textur. Vermutlich waren es Kuttelflecke. Eugen stierte diese Suppeneinlage mit mürrisch argwöhnischer Miene an, und als er aufsah, da schaukelte Elinor schon von einem wilden, stoßhaften Lachschwall gepackt auf ihrem Stuhl; sie legte sich die Hand vor den Mund und lachte jäh und überschwenglich auf. Und dann, bevor er noch etwas sagen konnte, legte sie ihm hurtig die Hand auf den Arm, ganz leicht, und erklärte schnell, gewichtig ernst, im Ton teilnahmsvoller Zustimmung:

»Ja, Lieberchen, ich weiß! Ich bin ganz einer Meinung mit Dir!«

»Was ist es denn?« fragte er dumm und betreten. »Sieht genau aus wie –«

»Genau so! Genau so!« rief Elinor sofort, ehe er noch das Wort ausgesprochen hatte, und wieder schüttelte sie der wilde, helle Sturmwind der leichtmütigen Ergötztheit. »Genau so sieht's aus! Und daß Du ja kein Wort weiter drüber sagst! Wir sind alle einer Meinung mit Dir.« Sie blickte drollig auf die unbehagliche Brühe im Suppenteller und erklärte fest und bestimmt: »Nein, ich denke nicht! ... Wenn es Dir nichts ausmacht, würde ich sagen: ›Lieber nicht‹« Und dann, als sie Eugen wieder ins Gesicht blickte, schüttelte das rüde, jähe Lachen sie abermals. »Gott!« rief sie aus. »Ist das nicht wunderbar! Nun schaut Euch mal das Gesicht an, das der arme Junge macht!« Und wieder legte sie hurtig die leichten Finger gewichtig ernst und zärtlich auf Eugens Arm.

Die ansteckende Heiterkeit trug sie alle hoch wie eine mächtige Woge, und die Mahlzeit verlief in wundervoller Stimmung. Starwicks vergnügtes, überaus humoriges und anregendes Gluckern war wieder zu hören, Ann lachte ihr kurzes, plötzliches Lachen, wobei ihr Gesicht strahlender, glücklicher, lieblicher wurde als je, und alles erschien den vier Leuten fabelhaft gut und angenehm. Elinor winkte der Kellnerin, und die beunruhigende Suppe wurde abgetragen. Von nun an war das Essen ausgezeichnet, und mit zwei Flaschen von dem besten Sauterne, der im Hause zu haben war, machten die vier Leute ein Bankett aus der Mahlzeit. Ihre Frohlaune hatte einen leichten Einschlag von jenem gönnerhaft-spöttischen Übermut, mit dem sich helle junge Menschen in einer Umgebung von lauter altmodischen und betagten Leuten zu benehmen pflegen, aber die vier hatten nicht die geringste Absicht, ungütig gegen diese komischen Alten zu sein; es war vielmehr einfach so, daß ihnen dieser ganze Speisesaal wie ein Museum mit grotesken Schaustücken vorkam, die hier zur Belustigung für die Fremden versammelt wären, und einen solchen Anlaß konnte man doch nicht ungenützt vorübergehen lassen, und so lachten sie recht herzhaft über die verdächtelnden Blicke, über dieses gefräßig-neugierige Getuschel, über diese verschwörerisch zusammengesteckten Greisenköpfe, und Elinor, die sich gerade schnell umgeblickt hatte und lautschallend herausgeplatzt war, legte sich die Hand auf den Mund, um den Lachschwall zu unterdrücken, und sagte:

»Ist das nicht toll!? ... Gott! Ist das nicht einfach fabelhaft!? ... Schlechthin unvorstellbar! ... Also Frank! Frank!« sagte sie halblaut und mühsam beherrscht mit einem erstickten Lachen in der Stimme. »Bitte, sieh Dich mal um ... Bitte sei so gut und gönne dem ollen Mädchen mit dem gefärbten Haar und dem ganzen Dingelingding auf der Büste einen einzigen Blick! ... Gleich am Nebentisch! ... Und faß mir auch den Major ins Auge! ... Oh! Wenn Blicke töten könnten! Und was für Dinge diese Leute sich über uns erzählen! ... Ich bin überzeugt, sie behaupten, daß wir alle zusammen in Sünde miteinander leben! ... Nein, solche Sachen!« rief sie mit heiter gemimtem Abscheu aus. »Solche Sachen! Offen und dreist vor den Augen hochanständiger Leute, meine Freunde! ... Ich frage Sie, Monsieur, ob das nicht geradezu furchtbar ist! ... Darling«, sagte sie drollig vorwurfsvoll zu Starwick, »verspürst Du denn kein Gefühl von Scham und Schuld? ... Gedenkst Du nicht zu tun, was ein Ehrenmann tun muß, wenn er ein ehrliches Mädchen in Schande gebracht hat? ... Willst Du eine anständige Frau aus mir machen oder nicht? ... Nun sag' es schon, Lieber«, flötete sie schmeichelnd und neigte sich ihm ein wenig zu, »und beschwichtige bitte mein gequältes Herz! Gelt, Du beabsichtigst allen Ernstes, mir gegenüber das Rechte zu tun?«

»Durchaus!« sagte Starwick. Sein rötliches Gesicht wurde beim Sprechen röter vor Lachen ... »Aber wie – –?« Die maliziös muntern Lachbläschen barsten in seiner Kehle. »Was ist denn das Rechte? ... Meinst Du etwa –« Ein lautloses Gluckern schüttelte ihn leicht, und er fuhr mit gewichtig ernster, aber ungewisser Stimme fort: »Meinst Du etwa, Du möchtest leben?« Er rückte vielsagend die Augenbrauen hoch und erklärte im Ton einer drolligen, unmöglich vulgären Anspielung: »Du weißt schon, was ich meine, – wirklich leben, weißt Du?«

»Frank!« kreischte sie auf, ließ sich lachend auf die Stuhllehne zurückfallen und legte sich die Hand auf den Mund. Und dann sagte sie ironisch ernst: »Aber keineswegs, mein Lieber! Sie sprechen hier mit einer unschuldigen Maid aus Boston, Massachusetts, die überhaupt nicht weiß, wovon Sie reden! Sie Schändlicher!« rief sie aus. »Weißt Du etwa nicht, daß wir Mädchen aus Boston erst richtig zu leben anfangen dürfen, wenn der Mann zuvor eine anständige Frau aus uns gemacht hat?«

»In diesem Fall«, erklärte Starwick ruhig, und wieder wurde sein Gesicht rot vor Lachen, »würde ich also annehmen, daß wir sofort zu leben anfangen können, denn mir scheint, ein anderer Mann hat bereits eine anständige Frau aus Dir gemacht.«

»Gott!« kreischte Elinor. Sie fiel von einem schallenden Gelächter geschüttelt in ihren Stuhl zurück. »Der arme Harold! ... Ihn hatte ich ja völlig vergessen! ... Er könnte diese Szene hier auf die Höhe bringen ... Dazu brauchte er nun bloß 'reinzukommen und uns über den Rand seiner Hornbrille hinweg anzugrellen –«

»Ja«, sagte Starwick, »und Deine Eltern müßten im Hintergrund stehn und mich mit sehr erbitterten Augen betrachten. Weißt Du«, sagte er zu Eugen, »sie sind nämlich bitter geladen auf mich. Ganz offensichtlich«, erklärte er, »halten sie mich für einen Menschen ohne Prinzipien, einen Feind der Tugend, den schändlichen Verführer ihrer einzigen Tochter!« Das letzte Wort sprach er drolligerweise wie darter aus, saftig genäselt, so, wie die feinen Leute in Boston sprechen, und die drei andern brüllten vor Lachen darüber.

»Aber wirklich«, meinte er nun zu Elinor und fuhr sich mit dem Taschentuch über das von Heiterkeit tief errötete Gesicht, »sie empfinden ganz sicher so. Als Deine Eltern neulich ins Atelier kamen und mich dort antrafen« – Elinors Eltern waren in jenen Tagen gerade auf der Durchreise in Paris gewesen –, »da grellte mich Dein Vater mit einem Blick an, wie ihn Cotton Mather oder sonst so'n alter Puritanerprediger dem Casanova zugeworfen hätte. Durchaus so! Wirklich, weißt Du, das tat er. Ganz sicher nimmt er an, Du wärst meine Konkubine geworden.«

»Aber Liebling!« flötete Elinor schmeichelnd. »Kann ich denn nicht Deine Konkubine werden?« schwatzte sie verspielt. »Oh, wie gemein Du gegen mich bist!« tändelte sie vorwurfsvoll. »Ich möchte so gern jemandes Konkubine werden.« Sie wandte sich protestierend an Eugen: »Ich frage Dich: Ist das nun gemein oder nicht?! Hier bin ich, ein vollkommen gutwilliges, wohlmeinendes Weibswesen von dreißig Jahren, in Boston, nur in Boston, erzogen und unter den vorteilhaftesten Verhältnissen aufgewachsen. Ich bin mein Lebtag ein braves Mädchen gewesen und hab' mich stets bemüht, meinen Mitmenschen das denkbar Beste anzutun, aber«, sie seufzte, »ich kann mich anstrengen, so sehr ich will, niemand verhilft mir zur Erfüllung meines lebenslänglichen Lieblingswunsches, jemandes Konkubine zu sein. Nun frag ich: Ist das gerecht oder nicht?«

»Du vergißt dabei eins!« meinte Starwick ermahnend. »Ehe Du einen so ehrgeizigen Wunsch überhaupt erfüllt kriegen kannst, mußt Du Dir erst einen schlechten Ruf zulegen! ... Allerdings«, fügte er hinzu, nachdem er schnellen Blicks die wispernden Alten, die immer noch die Köpfe zusammensteckten, überflogen hatte, »ich muß gestehn, daß Du es hier sehr schnell so weit bringst.«

Nach Tisch gingen sie sofort auf die Zimmer, die Elinor für sie bestellt hatte. Starwick hatte zwei große, behaglich eingerichtete Zimmer in einem Flügel des Hauses; in seinem Wohnzimmer brannte mit munterem Geknatter ein Holzfeuer im offenen Kamin. Für Eugen hatte Elinor ein kleines Schlafzimmer und für sich selber und für Ann je ein größeres Zimmer genommen. Auch in Anns Zimmer brannte ein lustiges Holzfeuer. Elinor und Starwick wollten offenbar alleingelassen werden, um sich auszusprechen. Sie pflegten das mittels einer gewissen, mysteriösen Stille, die ein: »Da ist mehr dahinter, als das Auge sieht« zu sagen schien, anzuzeigen, und nun erklärten sie, sie wollten einen Spaziergang machen.


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