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XII

Eugen nahm nun an Professor Hatchers berühmtem Dramatikerkursus teil. Obschon er zufällig hineingeraten war, und obschon er schließlich entdecken sollte, daß sein Herz und sein Interesse nicht hingehörten, so stellte dieser Kurs nun doch gewissermaßen den Fels dar, an dem sein Schicksalsschiff vor Anker lag. Dieses Studium hielt er nun für den einen und einzigen Grund seines Aufenthalts in Harvard, und ihm war, als gäbe es für ihn im Leben keine andre Möglichkeit, als Stücke zu schreiben. Das Stückeschreiben dünkte ihn seine allereigenste Lebensaufgabe; jedes andre Leben als das eines Bühnenautors schien ihm unerträglich und sinnlos; er dachte, ihm wäre besser tot zu sein, als auf diesem Gebiet nichts zu leisten.

Dementsprechend verhielt er sich; er ging mit leidenschaftlicher Besessenheit seiner Arbeit nach und dachte, fühlte, atmete, aß, trank, schlief und lebte vollkommen als Schauspieldichter. Er erlernte den kultisch-bräuchlichen Berufsjargon, las alle Bücher, sah alle Aufführungen, redete alles Gerede und verwandelte sich selbst in einen »großen Lauscher«. Er schlich durch die Straßen, die Ohren gespannt nach den Worten und Sätzen der Vorübergehenden, um womöglich eine Köstlichkeit aufzuschnappen, die sich für ein Stück für Professor Hatchers berühmten Dramatikerkursus eigne.

Professor James Graves Hatcher war ein Mann, dessen Berufsleben durch zwei Umstände erschwert wurde. Professoren hielten ihn für einen Mimen, und Mimen hielten ihn für einen Professor. Tatsächlich war er keins von beiden ganz, besaß aber einige Eigenschaften beider Spielarten.

Seine Erscheinung war achtunggebietend: ein stämmig-kräftiger, stattlich-breiter, etwas übermittelgroßer Mann von fünfundfünfzig Jahren, dessen lebhaft eindringliche Energie sich stets wertwürdig und zielbewußt äußerte und nicht mit dem billig-lauten Getue fachmännischer Betriebigkeit zu tun hatte. Seine Stimme, ganz wie sein Gehaben, war ruhig, vornehm beherrscht und machte einem auf feine Weise den Eindruck von großen verfügbaren Rückhalten der Leidenschaft, der Redegewalt und der widerhallenden Volltönigkeit.

Sein Kopf war wirklich glänzend. Er hatte ein gutmütiges Gesicht von einem wachen, stillverhaltenen Humor; seine Augen lugten hell, beobachtend und humorig hinter den Gläsern. Sein Mund war breit und humorvoll, wenngleich ein wenig zu dünn, zu gespannt und zu altjüngferlich für einen Mann. Die Nase saß groß und kräftig unter der wohlgeformten Stirn. An den Schläfen hatte er dünnes Flügelhaar, das er artig kurz gestutzt und glatt an den Schädel gebürstet trug.

Er benutzte Augengläser. Elegant an einer Seidenkordel baumelte der Zwicker. Vergnüglicher noch als ein Theaterbesuch war's, ihn dies Pincenez aufsetzen zu sehen, so urban, kasual und distinguiert tat er's. Ehe er lachte, nahm er stets den Zwicker ab. Sein Humor, obschon durchsüßt und verfeint, entbehrte der Frische und Schnelligkeit nie, er verlieh seiner Person die Wärme und die Menschlichkeit, deren sie zuweilen bedurfte. Die Schaustellungen dieses ungeheuer gefälligen Humors geschahen stets auf eine urban-distinguierte Weise, und der Professor erinnerte dann ein wenig an einen Mimen.

Er war einer jener seltenen Leute, die wirklich »gluckern« können. Obschon freilich Spontaneität und Natürlichkeit seines Gluckerns außer Zweifel standen, so war es doch verwunderlich wahr, daß sich Professor Hatcher für einen ausgemachten »Gluckerer« hielt.

Das hatcherianische Gluckern stellte genau das dar, was das Wort bezeichnete: ein dunkles, schuckerig-schaukelndes, breites, in manchem dem Kichern verwandtes In-sich-hinein-Lachen. Wenn Hatcher gluckerte, hatte ihn ein plötzliches Belustigtsein ergriffen, seine breiten Schultern und sein stattlicher Rumpf ruckelten in einer herzhaften Erhebung. Obschon er dann jene üppig-klangvollen Kehllaute, die dem Umweltton das innige Belustigtsein beim Gluckervorgang anzeigen, sehr wohl hervorzubringen imstand war, so gab es bei ihm doch noch eine, für ihn charakteristischere Art: das lautlose Gluckern. Da waren die gespannten Lippen fest aufeinandergepreßt, die Mundwinkel zuckten vor Lachlust, das feine, vornehme Haupt war zurückgeworfen, und durch Kehle, Schultern, Brust, Bauch, Arme, kurz durch den ganzen Mann gluckerte die stumme Erbebung.

Glücklicherweise wahr wäre auch, von Professor Hatcher zu behaupten, daß er zu jenen seltenen Leuten gehörte, die wirklich zwinkern konnten, und als gleicherweise darf dazu gelten, daß er sich vermutlich für einen ausgemachten Zwinkerer hielt.

Vielleicht aber war es etwas Allgemeineres, was ihn Professoren verdächtig machte; nämlich sein Auftreten von vornehmer, reifer, welthafter Urbanität. Selbst im Hörsaal gehabte er sich nie wie ein Gelehrter, sondern durchaus wie ein Mann von Welt, der geistige Dinge pflegt, wie ein Weltmann, der fähig, kenntnisreich und erfahren sich stets seines Wertes bewußt bleibt und ihn selbstsicher, mit feinem Anstand und leisem Humor zur Geltung bringt. Einer der vielen Gründe, vielleicht sogar der Hauptgrund dafür, daß er seine Studenten so sehr beeindruckte, war vermutlich diese gelassene Art von Autorität; sie war so wundervoll, daß sie ihnen die schwierigsten Aufgaben ganz köstlich leicht erscheinen ließ.

Ein Beispiel: hätte der »Französische Klub« auf der Universität ein französisches Stück auf französisch aufgeführt, dann hätte Professor Hatcher seine Hörerschaft mit folgenden Worten aufmerksam gemacht:

»Ich höre da, daß der Cercle Français am Donnerstagabend Musset's ›Il faut qu'une porte soit ouverte ou fermée‹ aufführt. Wenn Sie nichts anderes zu tun haben, dürfte es für Sie recht wohl der Mühe wert sein, Ihr Französisch ein wenig aufzubürsten und sich die Sache anzusehn. Es handelt sich freilich um eine Lappalie, und das Stück ist kaum von Belang für die Entwicklung des modernen Theaters, aber es ist immerhin Musset in ziemlich guter Form, und Musset in guter Form ist scharmant. So lohnt es sich wohl für Sie, sich die Sache mal anzuschauen.«

Läßt sich alles aufzählen, was an diesen einfachen Worten dann diese jungen Leute so beeindruckt und gefangengenommen hätte? Nun, zunächst einmal der ruhig-angenehme Ton, in dem die Äußerung geschehen wäre. Dann: die Annehmlichkeit, daß Hatcher, ganz beiläufig erwähnt, ein fertiges und somit gebrauchsfertiges Urteil über Mussets Stück abgegeben hätte, ein Urteil, das bei einer solchen Autorität gar nicht nachgeprüft zu werden brauchte. Dann der für diese jungen Gemütsmenschen natürlich schmeichelhafte, gefällig-leichthändig angebrachte Vorschlag, sie möchten ihr Französisch »ein wenig aufbürsten«, eine wirklich reizvolle Zumutung, denn die meisten von ihnen besaßen gar kein »Französisch«, das sie hätten »aufbürsten« können. Dann, die überhaupt zauberhaft-beredte Art des Anratens, sie möchten doch »wenn sie nichts anderes zu tun hätten, sich Mussets scharmante Lappalie mal anschauen«. Schließlieh auch diese als selbstverständlich vorausgesetzte Bekannntschaft mit Musset, diese so verbindlich unter Kennern gemachte Feststellung, das Stück wäre »Musset in ziemlich guter Form«.

Junge Leute, die sich nach sophistischem Schliff sehnten, die nach Urbanität gierten, hätten hier unmöglich unbeeindruckt bleiben können. Bei Hatchers Worten hätten auch sie sich lebensleicht und selbstsicher gehabt: nun ja, ihr Französisch würden sie ein wenig aufbürsten, es ließe sich wohl in ein bis zwei Stunden lässig-elegant bewerkstelligen. Und bei der Bezeichnung »Musset in ziemlich guter Form« hätten sie verständnisinnig gelächelt – nun ja, über Mussets verschiedene Ausdrucksformen ist man doch längst im Bild.

Welche Wirkung also hatten ähnliche Reden auf die ruhmesdurstigen, herrlichkeitshungrigen Jünglinge, die in der Kunst- und Theaterwelt der großen Metropolen zu glänzen begehrten? Nun, vor allem wurde ihnen hier eine Art des Bescheidwissens vermittelt, eine Art des Sich-Auskennens-unter-Prominenten, eine Art fachmännischer Vertrautheit mit selbst den geheimsten Vorgängen des Bühnenlebens, eine Art von Gereiftsein, des Gesehen-und-Beurteilthabens, der überlegenen Selbstsicherheit. Und was für eine wunderbare überlegene Selbstsicherheit! Beispielsweise hätte Professor Hatchers beiläufiger Rat, vor einer französischen Aufführung im »French Club« das Französisch ein wenig aufzubürsten, diese Jünglinge sofort in Kosmopoliten verwandelt, die in allen Weltstädten zu Hause waren. Schon wahr, ihr Französisch war »ein bißchen angestaubt«; immerhin einige Zeit her, seit sie zuletzt in Paris waren; kein Zweifel, ein Mitglied der Académie Française hätte wohl ein paar Fehlerchen an ihrer Aussprache entdeckt, na, das ließe sich ja leicht und gefällig beheben, »tout s'arrange, hein?« wie wir auf den Boulevards sagen.

Dieser Selbstsicherheit dienten auch Professor Hatchers leichthändig eingeflochtene Bemerkungen – es waren oft entzückend witzige Anekdoten – über die berühmten Leute, die er kannte und mit denen er glänzend stand. So etwas freilich wurde nur beiläufig in den Diskussionen erwähnt, nie aber an den Haaren herbeigezogen oder groß aufgemacht: »Als ich bei meinem letzten Aufenthalt in London mal mit Pinero im Savoy lunchte ...« – »Ich verbrachte da ein Wochenend mit Henry Arthur Jones ...« – »Merkwürdig, daß Sie darauf kommen. Wissen Sie, Barrie sagte genau dasselbe bei unsrer letzten Begegnung.« – »A propos dieser Diskussion, ich habe da einen Brief von Eugene O'Neill dabei, in dem er gerade zu diesem strittigen Punkt etwas vorbringt. Vielleicht interessiert's Sie, was er sagt.« Dies alles hieß nun freilich junge Leute mit Schampus und Austern bewirten; sie schlossen schwelgerische Bekanntschaften mit jenen gefeierten Größen, sie gingen aus und ein durch die Türen der herrlichen, begehrenswerten Kunst- und Theaterwelt.

So lernten sie auch bereits mit belustigter Herablassung von den reißerischen und reklamelauten »Geldmachern« sprechen, von den Shuberts, den Belascos und ähnlichen Konzerngrößen im amerikanischen Theaterbetrieb. So erzählte Professor Hatcher einmal, der jüdische Manager der Russian Players habe ihm aus New York in Anerkennung gewisser, für diese Truppe geleisteter Pionierdienste ein Telegramm geschickt, das lautete: »Sie sind der wahre Wunderknabe«, und da waren die jungen Leute freilich augenblicklich imstand, das plötzlich hatcherianische Gluckern mit einem artigen Lachen ihrerseits zu erwidern.

Ein andermal kam er von New York zurück mit einem lustigen Bericht über einen Besuch, den er dort dem berühmten Theaterunternehmer David Belasco abgestattet hatte. Er beschrieb aufs drolligste, wie er da – einer barfüßigen, in ein langes gebatiktes Gewand gehüllten Schlangendame durch sieben mystische, weihrauchduftende und glockenspieldurchklungene gotische Gemächer folgend – schließlich vors Angesicht des großen »Ekklesiasten« geleitet ward, der ganz am Ende eines kathedralenartigen Raums neben einem Buntglaskirchenfenster saß. Auch hier war die Schlangendame vorangegangen und hatte mit tiefem Knicks gebotschaftet: »Jemand, Meister, Sie zu sehen!« und war dann in hohem Ton und mit christushafter Handgebärde entlassen worden mit dem Befehl: »Erhebe Dich, Rose, verlasse uns denn!« Professor Hatcher erzählte das mit einer Ruhe und Schnurrigkeit, die unwiderstehlich war, und das Lachen und Lächeln seiner Hörerschaft, ihre hochgerückten Augenbrauen bei den Staunensausrufen: »Schier nicht zu glauben!« und »Fabelhaft!« belohnten ihn.

Schließlich gab es noch etwas, was dieser Selbstsicherheit diente. Wenn Professor Hatcher sich vernehmen ließ darüber, wie zum Beispiel eine russische Schauspielerin »ihre Hände gebrauchte«, wenn er vom Rhythmus, vom Tempo, von den Pausen und Einsätzen bei der Regie sprach, oder wenn er auf Beleuchtungskünste, bühnenbildnerische Aufgaben und Ausstattungsdinge kam, dann schenkte er seinen Hörern einen Wortschatz, der sachkundig und fachmännisch verwendbar war, auch wo Sachkunde und Facherfahrung fehlten. Es war ein gefährlicher und oft recht billiger Wortschatz, ein Kunstjargon, der in gewissen Kreisen damals gang und gäbe wurde, genauso wie damals auch allerhand Hohlköpfe mit dem Psychologie-Jargon von »Komplexen«, »Inhibitionen«, »Fixierungen« eine Art von »Wissenschaft« trieben. Nun mag zwar so ein Modejargon im Munde unverständiger Schwatzlust letzthin harmlos sein, aber er war sehr gefährlich, wenn er allen Ernstes dort diente, wo Menschen nach dem besten, seltensten und höchsten Leben auf Erden strebten, jenem Leben, das nur mit Mühsal, Kenntnis und Zucht darzuleisten ist, – dem Leben des Künstlers.

Die Gefahr dieses Kunstjargons war, daß er für die wirkliche Kenntnis – das heißt für das Erfahrungswissen, das von harter Arbeit und vom geduldigen Leben kommt – eine Formel setzte, daß er einen fachkundig-sachverständig-lebenssicher klingenden Schwafel dort möglich machte, wo Fachkunde, Sachverständnis und Lebenssicherheit nicht zu Hause waren. Leuten, die weder begabt, noch innerlich ehrlich, noch zielbewußt bemüht waren – Leuten, die bestenfalls ein schwächliches Unvermögen, des Daseins Härte zu ertragen, ihr eigen nennen konnten und sich deshalb in Spiegelwelten flüchten wollten – Leuten, die das Zeug nicht hatten, etwas Verdienstliches oder Schönes zu schaffen – Leuten von einer Art, die letzten Endes den wahren Spießer, den eigentlichen Feind des Künstlers und des Schöpfergeistes ausmacht – solchen Leuten also lieferte dieser Jargon von der »Kunst« Rechtfertigungen für ihre erbärmliche und lumpige Existenz. Er gab ihnen die Sprache, vielwissend von Dingen zu reden, von denen sie nichts wußten, ermöglichte es ihnen, von »innerem Szenentempo« und »regielichem Rhythmus« zu plappern, von den »kühnstilisierten Konventionen der Bühnenbilder« und von der Art, wie eine Tragödin »ihre Hände gebrauchte«. Und so führte diese Methode in Schein- und Schemenwelten, in reine Schwindelbezirke, in die bare, gespenstische Glaubenslosigkeit. Sie bildete Kunstfatzken heran.

»Sie sollten wirklich hingehn«, rät da einer.

»Ja ...«, meint Nummer Zwei im Ton des verfeinerten, rätselraterisch-betrachtsamen, stirnhochziehenden Einwands. »Ich höre, das Stück sei schlecht. Ist in allen Revuen verrissen worden.«

»Na, das Stück!« bemerkt der erste leicht überrascht, so als wäre ihm nie beigefallen, daß sich jemand für das Stück interessieren könne. »Das Stück ist wirklich unausstehlich!« Seine verachtungsvolle Gebärde schiebt das Stück beiseite. »Die Bühnenbilder! Das ist's!« ruft er. »Die sind einfach fabelhaft! Ganz groß! Wirklich nicht schlecht! Die müssen Sie sehen!«

»Hm, höchstinteressant«, sagt der zweite, offensichtlich beeindruckt, und streicht sich das Kinn. »Dann muß ich freilich hin.«

Die Bühnenbilder! Die Bühnenbilder! Nein, auf das Stück kommt es nicht an. Das einzige, worauf es ankommt, sind die Bühnenbilder! Und dabei handelt es sich ums Theater, um zaubrische Wahrmachung und die Welt der Träume! Und diesen äffisch-albernen Schwatz reden Leute, die fürs Theater schaffen wollen! Hat man seit Beginn der Zeit je so ein verdammtes Zeug gehört?

Falsch, flau, glattzüngig, unaufrichtig, leer, gehaltlos, glaubensbar – wen nimmt's wunder, daß von Hatchers Brut so wenig Vögel sangen?


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