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L

Robert Weaver erschien plötzlich eines Abends gegen sieben, als Eugen gerade in der Hotelhalle saß. Die beiden hatten einander seit ihrer Verhaftung nicht wiedergesehn. Robert kam von einem augenblicklichen Impuls gespornt, denn unmittelbar, ohne Grußwort oder sonstigen Umschweif, wollte er alles mögliche über das ›Leopold‹ wissen: – wie lange Eugen schon hier wohne, ob er ein gutes Zimmer habe, ob das Zimmer groß sei, ob er das Leben in diesem Hotel erträglich finde. Robert bestand drauf, das Zimmer zu sehn. Eugen ließ sich seinen Schlüssel geben, und die beiden fuhren im Fahrstuhl nach oben. Als Robert das kleine Gelaß sah, die aufgeschichteten Bücherhaufen und die Stöße von Aufsatzheften, lachte er laut auf. Dann wurde er wieder ernst und fragte weiter: – wo das Badezimmer sei – Eugen zeigte es ihm – ob er genug Handtücher kriege – Eugen gab Auskunft – was er zahle – Eugen sagte, er zahle zwölf Dollars die Woche.

Dies alles schien Robert höchlich zu erstaunen und noch mehr zu erregen. Er rief in einem fort aus: »Das meinst du wirklich!« und »Ei, verdammtnocheinmal!« und »Das behauptest Du doch nicht im Ernst!« ganz so, als würden ihm hier die unglaublichsten Offenbarungen gemacht. Eugen sah ihn mit bangen Vorahnungen an, denn Robert war offenbar ganz im Banne einer Getriebenheit. Und richtig: ganz plötzlich erklärte dieser festentschlossen: »Also, verdammt will ich sein, wenn ich das nicht tu! Das ist die Wohnung, nach der ich schon die ganze Zeit suche. Also schau mal, was Du hier alles für Dein Geld kriegst! Verdammt günstigster Preis, von dem ich je gehört habe! Ich hab' ja da droben mein Geld weggeschmissen.« – Er hatte in der oberen Stadt im Klubhaus seiner Universität, dem Yale Club, gewohnt. – »Verdammt, wenn ich mir nicht hier ein Zimmer nehme und gleich einziehe!«

Die Aussicht, Robert zum Nachbar zu bekommen, war nicht verlockend, denn Eugen dachte nicht daran, zum Kumpan und Wärter von Roberts Trunksucht und zum Beichtiger von Roberts fiebrig-irrer Unrast zu werden. Nicht nur, daß er ein bereits begonnenes Stück zu Ende zu schreiben vorhatte, er hatte vor allen Dingen schwer für die Universität zu arbeiten. Und so lockte ihn die Aussicht, Robert zum Nachbar zu haben, nicht.

Er behauptete, diesem würde das ›Leopold‹ sicher nicht zusagen; die Leute hier im Haus wären alt und ungenießbar, und auf Schicklichkeit würde hier strengstens gesehn. Alsdann beging er einen Fehler und sagte, es wäre sehr schwer, hier ein Zimmer zu kriegen, obwohl das wirklich gar nicht schwer war. Er erklärte, das ›Leopold‹ wäre ein ruhiges Familienhotel, die Leitung des Unternehmens bevorzuge Dauergäste, Leute mit regelmäßigen, ruhigen Lebensgewohnheiten, besonders Ehepaare in den mittleren Jahren, und es gäbe hier im Haus fast nie Vakanzen, denn für jedes Zimmer, das frei würde, stände schon eine ganze Reihe von Bewerbern vorgemerkt. Dies alles verschärfte Roberts Begier ungemein. Er behauptete, daß er alle Ansprüche erfülle bis auf das Verheiratetsein, und dieser Schaden würde bald behoben werden. Er sagte, ein ruhigerer, steterer, nüchternerer, fleißigerer Mensch als er existiere nicht, er habe seine alten Lebensgewohnheiten aufgegeben und sich völlig gewandelt. Er sagte, er sei fest entschlossen, in dieses Hotel zu ziehen, und bestand darauf, daß Eugen unverzüglich mit ihm zum Manager ginge und ihn ihm empfähle.

Als Eugen einsah, daß Robert festentschlossen war, willigte er ein. Sie gingen zusammen hinunter ins Büro. Der Manager kam heraus, die gewohnheitsmäßige, vorsichtig-argwöhnische Abwehrmiene auf dem sauertöpfischen, mägerlichen Gesicht. Eugen pries nun den Robert über alles, sagte, er kenne ihn von Kindesbeinen an, sagte, Robert sei der Sproß einer alten, vornehmen Familie aus den Südstaaten, sagte, Robert sei ein glänzender junger Anwalt und arbeite nun in einer großen New Yorker Firma von Rechtsberatern, Robert sei einer der vertrauenswürdigsten und wohlerzogensten jungen Männer auf Erden. Auch Robert legte sich dann und wann mit seiner tiefen Stimme und seinen eindrucksvollen Manieren ins Zeug. Der Manager, Mr. Gibbs, der die ganze Zeit sein Petersiliengesicht abgewandt und unter sich gesehen hatte, schüttelte nun zweifelnd den Kopf, sagte, er könne es ja nicht wissen, sagte, wie schwer es wäre, im ›Leopold‹ zugelassen zu werden, und als Eugen ihm fast ins Gesicht gelacht hätte, sagte er gerade, daß in einem solchen Falle und auf eine solche Empfehlung von einem solchen Mann wie Eugen die Sache wohl in Ordnung wäre, und er wolle sehn, was sich da tun ließe. Er blätterte in einem belanglosen Kontobuch, blinzelte dabei, fuhr mit dem pergamentnen Finger über die Seiten, schielte scharf aus einem zusammengekniffenen Auge, murmelte etwas vor sich hin wie ein schwatzhafter Affe. Schließlich richtete er sich wieder auf, nahm vier oder fünf Zimmerschlüssel aus den Gefächern und gab sie dem ›Captain‹, einem Neger, mit dem Auftrag, diesem Gentleman diese Zimmer zu zeigen. Robert, Eugen und der Schwarze stiegen in den Aufzug und fuhren nach oben. Sie sahen sich mehrere Zimmer an, und schließlich nach mancherlei Unschlüssigkeit, mehrfachen Bitten um Rat und Beistand und unzähligen Fragen entschied sich Robert für ein Zimmer im alten Annex, eine Wahl, für die Eugen dankbar war, denn sein Zimmer lag im neuen Annex.

 

Prompt am nächsten Tag zog Robert ein. Die beiden aßen zusammen zu Nacht. Robert war in Jubelstimmung. Dann ließ er sich eine Woche lang nicht sehen und auch nichts von sich hören. Und dann kam eine unliebsame Benachrichtigung. Eines Morgens, als sich Eugen gerade ankleidete, läutete das Telephon in seinem Zimmer. Eine Stimme aus dem Hotelbüro forderte ihn kurzangebunden auf, er möchte bei Mr. Gibbs vorsprechen, wenn er herunterkäme. Eugen ging mit Unheilahnungen hinunter. Mr. Gibbs kam ihm mit einem vor Empörung zusammengeschrumpften Gesicht entgegen und legte sofort los: »Um Gottes willen! Wer ist denn dieser Mann, dieser Mister Weaver, den Sie hier reingebracht haben? Was ist mit dem Menschen los? Sie haben ihn reingebracht, Sie haben ihn empfohlen! Wir dachten also, das wäre in Ordnung. Wir haben uns auf Ihr Wort verlassen! Aber bei dem Mann kann doch etwas nicht stimmen, wie? Ist er verrückt? Ist er nicht bei Trost?«

Der Manager machte eine Miene, als hätte er versehentlich eine Flasche Essig ausgetrunken, das kleine Männchen zitterte an allen Gliedern vor Erregung und Entrüstung, er sah Eugen mit einem vorwurfsvoll-entsetzten Blick an, und sein verschrumpftes Gesicht verzog sich in lauter kleine Fältchen wie die Haut an einer Persimone. Mr. Gibbs bot in der Tat einen .komischen Anblick, aber Eugen war nun leider gar nicht in der Laune, das Humorige dieser Erscheinung zu würdigen.

»Was ist denn los, Mr. Gibbs? Worum handelt es sich? Was hat er angestellt?«

»Ei!« Das Männchen bebte vor Zorn, als es wieder daran dachte. »Er wollte uns heute nacht das Haus überm Kopf abbrennen! Kam um drei Uhr morgens heim, führte sich auf wie ein Tobsüchtiger und ging dann 'nauf und steckte sein Zimmer in Brand.«

»Steckte sein Zimmer in Brand?!«

»Ei ja, er hat es angezündet. Wir mußten die Feuerwehr anrufen zum Löschen! Ei, ein Wunder ist's, daß wir noch am Leben sind. Stellen Sie sich vor: – morgens um fünf, das ganze Hotel schläft, und dieser verrückte Mensch tobt und schreit und kreischt, daß es brennt! Nein, solche Leute können wir nicht hier im Haus haben«, sagte er mit der Miene eines Mannes, der über die Entweihung eines Tempels empört ist. »Ganz ausgeschlossen, solche Leute gehören bestimmt nicht hier 'rein. Er würde uns die Kundschaft vertreiben, die andern Gäste würden ausziehen, es fällt niemand ein, im selben Haus mit einem Verrückten zu wohnen. Es ist ja überhaupt nicht auszudenken, was so ein Mann anstellen kann! Und nun«, erklärte er unvermittelt mit kämpferischer Entschlossenheit, »muß er ausziehen; ich werde ihn nicht länger hier dulden. Einen solchen Menschen kann ich keinen Augenblick länger hier dulden. Einen solchen Menschen kann ich keinen Augenblick länger im Hotel behalten. Und«, er zog den Unterkiefer straff an, das kleine, schrumpflige Gesicht wurde hart und gemein, die Augen wurden ganz schmal, er wandte sich ab, »jemand muß für den entstandenen Schaden aufkommen. Mir ist es gleich, wer dafür bezahlt«, er sah noch weiter weg, »aber wir tragen den Schaden nicht. Nun ... das können Sie ihm sagen!« schnauzte er kurz und drehte sich um.

Eugen fuhr sofort 'nauf auf Roberts Zimmer. Er kochte vor Wut. Er hatte das Gefühl, daß Robert ihn 'reingelegt habe, daß man ihn für Roberts Streiche verantwortlich mache, daß somit sein eigner guter Ruf im Hotel flötengegangen sei und er deswegen wohl oder übel ausziehen müsse aus dieser reizvollen und entzückenden Unterkunft, die er zwar tausendmal verhöhnt und verwünscht hatte, die ihm aber nun wie ein friedlich-trautes Heim vorkam. Er trat ohne anzuklopfen in Roberts Zimmer. Dort sah es schlimm aus. Das Zimmermädchen, eine Negerin mit einem betrübten, mürrischen Gesicht, packte gerade auf dem Fußboden die Überreste von angekohltem Bettzeug zusammen. Der Spiegel war zerbrochen, – Robert sagte später, er habe in der Wut ein Trinkglas auf sein Ebenbild geschleudert. Ein Stuhl lag in Trümmern herum. Die dicke Glasplatte auf dem Schreibtisch hatte Sprünge. An der Wand war ein großer brauner Fleck; offenbar hatte Robert dort eine Whiskyflasche zerschlagen. Das untere Ende der Bettstelle war mit den Füßen in Splitter getreten worden.

Inmitten all der Verwüstung stand Robert und ein reumütiger Ausdruck lag auf seinem nervös-abgespannten Gesicht. Als Eugen eintrat, sah er diesen verlegen an und lachte ein leises, törichtes, unsichres Lachen.

»Verdammtnochmal, Robert, stell Dich doch nicht hin und lach auch noch!« sagte Eugen. »Dir mag das verdammt komisch vorkommen, aber für mich ist das kein Spaß. Zum Teufel, an mir bleibt es natürlich hängen. Ich muß es ausbaden. Ich bin's, der zur Verantwortung gezogen wird. Und ich bin's, der hier aus dem Hotel 'rausgeworfen wird!«

»Du!?« begehrte Robert auf. »Ei, es war doch nicht Deine Schuld. Du hast ja gar nichts mit der Sache zu tun gehabt!«

»Da hast Du verdammt recht, wenn Du sagst, daß ich mit der Sache nichts zu tun hab'. Und Du wirst gefälligst hingehen, und das den Leuten drunten im Büro klarmachen. Du hast mich einmal 'reingelegt, ein zweitesmal kriegst Du mich nicht dran! Ich geh hin und rede mir Fransen ans Maul, daß Du hier 'reingelassen wirst, und Du gehst hin und spielst mir so einen Streich. Und Du wirst auch die Zeche bezahlen.«

»Ich bezahle, ich bezahle«, erklärte Robert schnell. »Ich weiß ja, daß es meine Schuld war. Ich bezahle alles, was verlangt wird. Haben die Leute drunten mit Dir über die Sache gesprochen?« erkundigte er sich nervös. »Was haben sie denn gesagt?«

»Sie haben gesagt, Du müßtest für den Schaden aufkommen und sofort hier ausziehen.«

»Zahlen schon«, sagte Robert ernst, »aber ausziehen möchte ich hier nicht ... Ich werde mich bestimmt nie wieder so aufführen ...« erklärte er mit unglücklicher, verzweifelter Stimme. »Sag mal, will der Gibbs mich sprechen?« fragte er nervös.

»Darauf kannst Du Gift nehmen! Er will dich sofort sprechen.«

»Komm, geh mit«, bat Robert. »Geh mit, Eugen! ... Auf Dich hört er ... Sag ihm, wie es kam ...«

»Ich soll ihm sagen, wie es kam! Verdammtnochmal, das weiß er selber! Du warst halt stur- und stinkbesoffen, und so kam es. Nein, ich denke nicht dran mitzugehn. Ich hab' lang genug den Dummen für Dich gemacht. Nun kannst Du die Suppe selber auslöffeln, die Du Dir eingebrockt hast. Und untersteh Dich nicht, meinen Namen 'reinzubringen, Robert!« schrie Eugen aufgebracht. »Was ist denn in Dich gefahren? So eine Sache anzustellen! Zum Teufel! Bist Du verrückt geworden?«

»Ach, Du weißt doch, was es ist«, sagte Robert düster brütend. »Diese Frau, weißt Du, ... Martha ... sie geht mir ständig im Kopf 'rum, die ganze Zeit, Eugen ... ich werde den Gedanken an sie überhaupt nicht los ... Mein Gott, wenn nicht bald was geschieht, werd' ich sicher verrückt!«

»Geschieht!? Ja was soll denn geschehn?«

Robert schlug sich wie ein Irrer auf die Brust.

»Gott weiß, was es ist! Hier ... hier ... hier! Da muß etwas losbrechen!« In seinen irrsinnig verzweifelten Augen standen Tränen, und aus seiner Gebärde sprach ein echter Schmerz, ein wirkliches Gequältsein. Ganz plötzlich empfand Eugen Mitleid. Er wußte nicht, aus welchem Grund Robert nicht aus diesem schäbigen, schnöden Hotel ausziehen wollte – Scham und Stolz erlaubten es wohl nicht – aber Roberts Seelenqualen bewegten Eugen so tief, daß es ihn drängte, dem Zerknirschten aus der Patsche zu helfen.

»Hör mal, Robert«, sagte er, »wenn Dir wirklich dranliegt hierzubleiben, dann geh doch zu Gibbs und sprich mit ihm. Sag ihm, daß es Dir furchtbar leid tut, und daß Du für den Schaden anständig aufkommen willst. Und im übrigen laß ihn sich austoben. Er ist ein alter Sauertopf und wird Gift und Galle speien, das tut ihm mal gut. Und dann sag ihm, daß Du nie wieder so was anstellen willst. Und wenn ich Dir da beispringen kann, kannst Du auf mich rechnen.«

Robert war sofort einverstanden. Eugen ging auf sein Zimmer, um seine Mappe zu holen, und als er ein paar Minuten später auf dem Weg zur Universität hinunter in die Hotelhalle kam, stand Robert aufmerksam und bekümmert am Schalter bei Mr. Gibbs, der ihm eine Gardinenpredigt hielt. Das Männchen zitterte vor bezichtigendem Zorn, der gezückte Zeigefinger zappelte vor Empörung, die erbosten Augen waren ganz klein geworden und blinzelten und lugten scharf in Roberts Gesicht. Und während die gerissene, saure, durch die Nase gezwängte Stimme eindringlich loszeterte, hörte Robert mit tiefbetrübter Reumutsmiene zu und brachte dann und wann mit einer tiefen, respektvoll sich entschuldigenden Stimme ein beipflichtendes Wort an:

»Bin durchaus Ihrer Meinung ... Da haben Sie ganz recht, Herr ... Es war freilich eine furchtbare Sache ... Ich werde es im Leben nicht wieder tun ... Freilich werde ich für den Schaden aufkommen ...«

Robert zog sein Scheckbuch, schlug es auf und legte es auf den Schalter. Eugen ging hinüber zu den beiden. Der überkochende Zorn des Alten sank allmählich zur Temperatur der bloßen Siedehitze herab, und wie bei einem Hurrikan, wenn der Anprall vorüber ist, blies es nur noch in gelegentlichen, heulenden Windstößen. Robert begann zu reden. Er tat es besänftigend, verbindlich und reizend, er gelobte vollständige und tiefe Reue, er sprach tiefbewegend und geheimnisvoll von großen Stürmen und Tragödien, die sein Leben kürzlich heimgesucht und ihn zu dieser Verrücktheit getrieben hätten, er schwor einen feierlichen Eid, sich nie wieder schlimm aufzuführen, wenn er bloß weiter im Hotel wohnen dürfe. Eugen legte ab und zu, wenn es ihm geraten schien, ein gutes Wort für ihn ein, und das Ende vom Liede war, daß Gibbs schließlich in einem Ton von fast väterlicher Zuneigung zu Robert sprach. Seine mägerliche Seele glänzte ein wenig, er beugte sich vertraulich zu Robert, er lachte sogar, und als die beiden jungen Leute gingen, entließ er zu ihrer Überraschung den reumütigen Sünder mit einem warmen Händedruck und gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter.

 

In drei wütigen Monaten reiste Robert neunmal nach Colorado. Er bestieg Züge und fuhr dreitausend Kilometer über den Kontinent mit dem Gleichmut eines Mannes, der in der Untergrundbahn vom Times Square nach Brooklyn Heights fährt. Manchmal fuhr er Freitagabend ab und war vier oder fünf Tage später wieder zurück, nachdem er am Ziel der Reise zehn Stunden in Gesellschaft von Martha Upshaw verbracht hatte. Ein paarmal blieb er eine Woche fort, und einmal kam er erst nach drei Wochen wieder. Bei dieser Gelegenheit drahtete Robert nach fünf Tagen an Eugen, dieser möge ihm bis auf weiteres alle Post an ein Hotel in Colorado Springs nachschicken, Robert würde bei seiner Rückkehr erklären weshalb.

Zwei Wochen drauf saß Eugen eines Abends in der Hotelhalle, als Robert eintrat. Robert hinkte, sein Gesicht schien merkwürdig aus dem Gerück gezerrt. Er kam auf Eugen zu mit einem gleichsam gefrorenen Grinsen auf der Miene, und als er sprach, mummelte er in unverständlichen Lauten. Nach ein paar Augenblicken verstand Eugen dieses Gemummel. Er hörte, daß Robert die Nase und die Kiefer gebrochen hatte, daß ihm die meisten Zähne gezogen worden waren, damit die Kieferknochen mit Drähten zusammengeflickt werden konnten, und daß er wegen dieser Drahtbindungen den Mund weder zum Sprechen noch zum Essen aufzutun vermochte. Roberts Nase, die zuvor grad und kräftig gewesen war, war am Joch gebrochen und stand nun schief.

Robert war erschreckend dünn und abgezehrt. Er sagte, er hätte sehr viel Blut verloren, und seit seinem Unfall hätte er keine feste Nahrung zu sich nehmen können. Er war augenscheinlich an den Grenzen seiner Kräfte, die Umrisse seines Schädels zeichneten sich deutlich ab, die Augen waren tief eingefallen und brannten in den Höhlen mit einer wütigeren und verhängnisvolleren Glut als je.

Aber er lachte in Eugens ernstlich bestürztes Gesicht, und dann lachte er abermals, verdrießlich und gleichgültig, als er von seinem Unfall berichtete. Am Abend seiner Ankunft in Colorado Springs, erzählte er, fuhr er mit Martha Upshaw spazieren, sie kehrten in einem Haus an der Landstraße ein, und dann waren sie betrunken, und ihnen beiden war, wie er sich ausdrückte, ›alles schnuppe‹. Martha fuhr den Wagen, es war spät, sie fuhr sehr schnell, an einer Kurve geriet sie von der Straße ab, der Wagen stürzte eine Steilböschung hinunter, überschlug sich dreimal und rannte gegen einen Baum. Martha trug im Gesicht von Glassplittern böse Schnittwunden davon, die genäht werden mußten, aber Knochen hatte sie keine gebrochen. Robert wurde sieben Meter aus dem Wagen geschleudert, er lag bewußtlos und blutete entsetzlich; man hielt zunächst seine Verletzungen für tödlich.

Aber hier war er wieder, wenigstens ein wesentliches Stück von ihm, das, wenn auch zerschmettert und zerbrochen, noch jähheftig am Leben war. Es war jedoch offenbar, daß diese endgültige Katastrophe ihn geistig in den Zustand der hartnäckigen Verzweiflung versetzt hatte. Der selbstmörderische Fatalismus – jener Todeshunger, den alle Menschen in sich haben, und der vielleicht eine ebenso mächtige Triebkraft ist wie der Lebenshunger – war zuvor nur dann stark zum Ausdruck gekommen, wenn Robert betrunken war; nun aber war ihm dieser Fatalismus zur eigentlichen seelischen Haltung geworden. Robert fragte nicht länger darnach, ob er lebe oder stürbe; zuinnerst im Herzen liebte er nun den Tod, und ganz offenbar war es ausgeschlossen, daß sein Körper noch lange den grausamen Raubbau, den er mit seinen Kräften trieb, ertragen konnte. Und diese Tatsache, diese bestürzende, leibhaft-sichtbare Tatsache, besiegelte seine verhängnisvolle Verzweiflung, bestärkte ihn im Glauben, daß alles verloren war.


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