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LXXVI

An Silvester des Jahres 1924 wollte Eugen gegen vier Uhr nachmittags noch auf einen Sprung in den Louvre, als er – gerade am Hauptportal – seinen Freund Starwick erblickte. Frank war wie immer schön angezogen in lässig eleganten, gutgeschnittnen braunen Tweedsachen; er hatte auch noch das Spazierstöckchen, das er nun, die Treppe herunterkommend, träge schwang und bot überhaupt den gleichen Anblick der gelangweilten, sehnsüchtigen, beinah weiblichen Anmut. Neu war nur, daß er eine Russenbluse trug, eine blaue, weichwollene, am Kragen mit einer karminroten Rautenborte bestickte Russenbluse, die sich in wollüstigen Falten um seinen Hals schmiegte.

Halbwegs auf der Freitreppe, deren graue Steinstufen wie viele Steinstufen im alten Europa von der sanften, unaufhörlichen Ewigkeit der Füße zu Mulden ausgetreten sind, blieb Starwick stehn, ließ andere Leute weitereilen und hob sein angenehmes, rötliches Gesicht mit dem gekliebten Kinn auf einen Blick ins Ungefähr des winterlichen Zwielichts, das an den weichen Himmeln der Zeit hing.

Und wie immer sah Frank großartig aus, und mit dem Gesichtsausdruck eines unerforschlichen Kummers und mit der Russenbluse wirkte er mysteriöser und romantischer als je. Selbst in diesem fremdländischen Bild schien er mit lordhaftem Gehaben von seiner Umgebung Besitz zu ergreifen, und, weit davon entfernt, wie ein Ausländer, ein Ortsfremder, ein gewöhnlicher Reisender auszusehen, schien er mehr als irgend sonst ein Anwesender in diese Umwelt zu gehören. Es war, als sei ein überfeinerter, erlesener und erlauchter Weltmüdling – Alfred de Musset oder George Moore oder der junge Wilde oder Paul Verlaine – gerade aus dem Louvre gekommen, und die ganze Welt gehöre ihm.

Der große Mittelhof des Louvre, die Flügel des mächtigen, anmutvoll schwebenden Baus, dazu die klargeplanten, sich nun in weichgraues Licht und leichte Nebelschleier hüllenden Anlagen des Tuileriengartens, – dieses ganze ungeheure Bild mit seiner Weiträumigkeit und Kraft, mit seiner heimsucherisch luftigen Zierlichkeit, dieses Bild, stark wie eine Veste der alten Zeit und gleichzeitig zart und zaubrisch wie Musik auf einem Spinett – dieses Bild schwang zusammen in eine harmonische Bewegtheit aus Raum, Majestät und Grazie, um einen Hintergrund für die hinreißende Persönlichkeit Francis Starwicks zu erstellen.

Gerade als er so dastand, ward die seltene und einzigartige Vornehmheit seiner Erscheinung wie nie zuvor offenbar, denn die Leute, die nun kurz vor Torschluß aus dem Museum drängten, sahen – mit ihm verglichen – gewöhnlich, schäbig und trübselig prosaisch aus. Da kam, von seiner Frau, seiner Tochter und seinem Sohn begleitet, ein Franzose die Treppe herunter, ein molliger Mann in mittleren Jahren mit roten Pausbacken, in jenen schlechtgeschnittenen Kleidern aus häßlichem, steifem, schwarzem Tuch, wie sie Frankreichs bürgerlicher Mittelstand trägt. Was diesen Mann trieb, war die Zuckerhitze jener unablässigen Energie, die seine ganze Rasse treibt, und die sich hauptsächlich äußert in der unwandelbaren Wiederholung bei den allernichtigsten Anlässen minütlich vorgebrachter Ausrufe und Verwünschungen, Bejahungs- und Verneinungsformeln und Verbindlichkeitsfloskeln, einem Gehaben, das ärger zu verdrießen vermag als das banalste Monoton. Verglichen mit Starwick wirkte dieser Mann dick, stumpf, gewöhnlich, plump und formlos, und seine Frau machte den nämlichen stumpfen, schmuddeligen Eindruck. Ein Amerikaner und seine Gattin kamen die Treppe herunter; sie waren beide anständig angezogen, er in jenem häßlichen Hellgrau, das so viele Amerikaner tragen, sie nach der langweiligen, metallkantigen Schnittigkeit der amerikanischen Damenmode, und beide sahen wie Touristen aus, wie Fremdlinge, die sich hier nackt und untauglich und unbehaglich fühlten, und nichts an ihnen schien ins Bild, schien zur Luft und zum Wetter zu passen. Unten an der Treppe angelangt, blieben sie mit verlegenen, besorgten, unschlüssigen Mienen einen Augenblick stehn, der Mann zog seine Uhr, linste aufs Zifferblatt, der vorgeschobne Unterkiefer in dem mageren Gesicht rückte noch ein klein wenig weiter vor, und der Mann näselte: »Na ja, auf vier Uhr dreißig sind wir verabredet, und daran fehlt nicht mehr viel.«

Alle diese Leute, junge und alte, Franzosen, Amerikaner und andre Ausländer, sie sahen mit Starwick verglichen trübselig aus, dumpf und gewöhnlich, unbehaglich und fehl am Platze.

Eugen war im ersten Augenblick wie gelähmt vor Überraschung, dann wallte trunken eine unmögliche Freude in ihm auf, er lief auf Starwick zu und rief: »Frank!«

Mit überraschter Miene wandte Starwick sich um, und einen Augenblick später schüttelten sich die jungen Männer wie verrückt die Hände; sie hätten einander vor Aufregung fast umarmt, und jeder redete so heftig auf den andern ein, daß keiner ein Wort des andern verstand. Als sie sich schließlich ein wenig beruhigt hatten, merkte Eugen, daß er soeben gefragt habe:

»Aber wo zum Teufel hast Du die ganze Zeit gesteckt, Frank? Ich hab' Dir zweimal geschrieben. Hast Du meine Post nicht bekommen? Was ist mit Dir losgewesen? Wo warst Du denn? Du wolltest doch nach Südfrankreich zu Egan, bist Du nicht hingegangen?«

»Ace«, sagte Starwick. Seine Stimme war so seltsam manieriert und unwirsch wie stets, aber sie klang nun geheimnisvoller und verhangener denn je. »Ace, ich bin dort gewesen.«

»Aber warum«, begann Eugen, »warum bist Du denn –« Er hielt inne, sah Starwick überrascht an. »Was vorgefallen, Frank?« fragte er kurz.

Frank nämlich hatte es fertiggebracht, in seine wenigen, nichts aussagenden, ruhig vorgebrachten Worte die Gefühlsnote einer tragischen Kümmernis zu legen; es war, als gräme ihn ein Gram so groß, daß er ihn nicht aussagen, als litte er an einer Verletzung so tief, daß er nicht von ihr reden könne. Franks ganzes Wesen war nun geheimnisvoll verhängt von diesem Air der stillen, wortlosen, unmittelbaren Trübsal; er sah Eugen mit den Augen des aus der Gruft entstiegnen Lazarus an, und dieser Blick sagte deutlicher, als es Worte vermocht hätten, daß er, Frank, nun um Dinge wisse und Dinge verstünde, die kein zweiter Sterblicher je wissen und verstehn könne.

»Ich möchte lieber nicht davon sprechen«, sagte er sehr leis, und nun verstand Eugen freilich sofort, daß etwas unsäglich Tragisches Starwick und Egan unversöhnlich entzweit habe, obgleich es ihm, Eugen, nicht vergönnt sei zu erfahren, wie sich dieses unsäglich Tragische ereignet hatte.

Starwick verfiel augenblicklich wieder in seine alte, beiläufige, gewinnende Art. »Hör mal!« sagte er, die Lippen beim Sprechen kaum bewegend, »was machst Du denn jetzt? Hast Du was Bestimmtes vor?«

»Nein. Ich wollte grad auf 'nen Sprung da 'reingehn, aber dazu ist's wohl ohnehin jetzt zu spät.«

Richtig, in diesem Augenblick hörten sie drinnen im Museum die Schellen scheppern und die Stimmen der Aufseher, die ungeduldig riefen: »On ferme! On ferme, messieurs!« Ein Strom von Besuchern ergoß sich durch die Pforten.

»Ace«, sagte Starwick. »Es wird zugemacht. Außerdem«, meinte er gemüdet, »ich nehme nicht an, daß Du da viel verlierst. Jedenfalls ... Mein Gott!« rief er plötzlich in einem hohen, beinah weibischen Ton leidenschaftlicher Überzeugtheit. »Was für ein Plunder! Ganze Berge und Meere von Plunder! Und so schlecht!« versicherte er leidenschaftlich in seinem seltsamen, unirdischen Ton. »So unglaublich und unmöglich schlecht! In dem ganzen Bau gibt's nur drei Sachen, die des Ansehns wert sind, aber die!« Seine Stimme wurde fast schrill vor Erregtheit. »... die, Eugen, sind unsäglich schön. Mein Gott, wie schön die sind! Wie letzthin und unvorstellbar schön!« Er fand aus dem Ton der hohen, leidenschaftlichen Erregtheit zurück in den Ton ruhiger Sachlichkeit. »Du mußt mal mit mir hingehn, da werde ich sie Dir zeigen ... Hör mal«, meinte er alsdann wieder beiläufig, »willst Du jetzt mit mir in die Régence gehn und was trinken?«

Die ganze Erde schien wieder lebendig geworden. Nachdem nun Starwick hier war, wurde die unvertraute Welt, in deren fremdartigem Leben Eugen sich abgekämpft hatte wie ein Ertrinkender, mit einem Schlage wunderbar und gut. Das Gefühl der Benommenheit, des namenlosen Schrecks, des Entwurzeltseins, der Vereinsamung, die unausstehliche krankhafte Angst der Heimatlosigkeit, der Selbstunsicherheit und des Heimwehs, die ganze aus Scham und Bangigkeit uneingestandene Macht des Unbehagens, gegen die er sich seit seiner Ankunft in Paris gewehrt hatte, war im Augenblick verbannt. Selbst die fremden, dunklen Franzosengesichter der Vorübergehenden schienen nun nicht länger fremd, sondern freundlich und vertraut, und die dunstige, sehnsüchtige Luft und das weiche, schwere Grau des Himmels, die zuvor auf ihm gelastet und seine hauslose Seele mit einer tauben, gleichsam stofflichen Verzweiflung bedrängt hatten, schienen nun mit erregenden Lebenskräften geladen und mit dem Rausch einer unsagbaren, namenlosen, unendlich eigenartigen und vielfachen Freude. Als die beiden über den weiten Hof des Louvre nach der großen, bogenüberspannten Einfahrt gingen, auf all den glitzernden Fahrverkehr der Straßen zu, konnte Eugen das ungeheure, dynamische Gedröhn der geheimnisvollen Stadt hören; es erregte ihn mit Sinnesahnungen von unbekannten, zaubrischen, verführerischen Gelüsten. Auch die kleinen Taxis, die wespenhaft geschwind über den großen Platz vorm Louvre und unter den widerhallenden Bogen hindurchsausten, trugen zu dieser Stimmung aus Erregtheit, Luxus und Freude bei. Der Ton der schrillen, irritierenden Hupen, der unaufhörlich durch die dunstige Luft hallte, erfüllte Eugens Herz mit Neujahrsgedanken; scheinbar war die ganze Stadt schon rege und lebendig vom großen Freudentrubel der Neujahrsnacht.

In der Régence, dem alten Café, wo Napoleon einst Domino gespielt hatte, fanden die beiden einen Tisch auf der Terrasse mitten unter dem heiteren Geplapper der spätnachmittäglichen Menge; sie tranken Brandy, redeten leidenschaftlich und mit einer an Trunkenheit grenzenden Beglücktheit, tranken nochmals Brandy und beobachteten das schöne, schwärmende Leben auf dem Bürgersteig und an den vollbesetzten Tischen ringsum.

Der Fahrverkehr, der die ganze Avenue de l'Opéra hinauf und hinunter und über die Place de la Comédie Française ging, die feine, schlichte, schöne Fassade der Comédie gerade über den Platz hinweg, das Standbild des zarten Musset, der da in halber Ohnmacht rückwärts in die Arme seiner ihn wiederaufrichtenden Muse sinkt, – das alles erschien Eugen wie etwas, das ihm zugehöre, ja, es erschien ihm, nun, nachdem Starwick da war, nicht nur wie ein Teil seines eignen Ichs, sondern es hatte auch einen ungeheuren zaubrischen Glanz gewonnen, der es umfing wie der Dufthauch eines unglaublich guten, lieblichen, lockenden Lebens, dessen ganzes Wesen bis in die letzte Verzweigung ihm, Eugen, wie ein seltener Likör ins Blut destilliert und ihm, Eugen, anzugehören schien. Und so saßen sie und tranken und redeten und tranken, bis es ganz Nacht geworden war, bis ihnen Tränen in den Augen standen und je acht Brandy-Untertassen aufeinandergestellt wie zwei Säulenbauten auf dem Tisch standen.

Dann, glorreich traurig und glücklich, sieghaft frohlockend und von namenloser Freude und schlimmer Ausgelassenheit erfüllt, nahmen sie eines von diesen schrillhupenden, erregenden kleinen Taxis und sausten schnell durchs Gedräng des Fahrverkehrs die edle Straße hinauf, bis die großen, schwebenden Baumassen der Opéra vor ihnen aufragten und auf einer Seite das Café de la Paix lag.

Und jung waren sie, voll Übermut und gewillt, alles zu erobern, und das ganze magische Leben der fremden, millionenfüßigen Stadt Paris gehörte ihnen, und das fremde und schlimme Wesen dieser Stadt brannte heftig und heimlich in ihren Adern, und sie wußten, sie wären jung und könnten nie sterben, es wäre Silvesterabend in Paris und diese magische Stadt wäre eigens für sie geschaffen. Zu dieser Stunde besaßen sie zusammen etwa vierhundert Francs.

Dann kam das ungeheure Kaleidoskop der Nacht. Gegen ein Uhr verließen die beiden ein Café, stiegen in ein Taxi und verlangten von dem rotbäckigen Chauffeur in lautem Französisch, zu dem ihnen der Alkohol und die Freude Mut gemacht hatten, jener solle sie zu Kneipen fahren, wo »nos frères – vous comprenez – les honnêttes hommes – les ouvriers« verkehrten.

Der Fahrer war's lächelnd einverstanden, und von nun an bis zum Morgengrauen machten sie eine verrückte Runde durch zahllose, kleine, üble Cafés, die so labyrinthisch eingewirrt waren in die weitläufige Unterweltdschungel der Pariser Nacht, daß Eugen und Starwick später nie wieder einen Leitfaden fanden, an dem sie sich durch dieses irre, wirre, betrunkene Geschiebe krummer Gassen hätten durchgängeln können. Die beiden nahmen später an, der Chauffeur habe sie wohl in jenes alte, faulige, verworrene Viertel gebracht, das zwischen dem Boulevard de Sébastopol und Les Halles liegt. Und die ganze Nacht, von ein Uhr früh bis zum Morgengrauen, trieben sie sich in stinkenden Gassen herum, an den geschlossenen Fensterläden alter, übler, hexenhaft aussehender Häuser vorbei, und wo dort ein grelles Licht brannte, hielten sie und traten ein. Sie kamen in dreckige kleine Kneipen, wo mürrische Männer mit üblen Visagen sie finster über Bistrobars hinweg musterten und ihnen mit pappigen Händen in fettigen kleinen Gläschen einen gemeinen, billigen Cognac ausschenkten. Überall in diesen Spelunken konnte man eine böse, schwallhafte, ölig-fette, verführerische Ziehharmonikamusik und die heiseren Bravorufe der Beifallspender hören. Hier konnte man sich auch Metallmünzen kaufen, das Dutzend zu fünf Francs, und für je eine dieser Münzen konnte man tanzen, und zwar mit schlampigen Sirenen, denen gewöhnlich die Zähne im Oberkiefer fehlten. Hier gab es auch viele Soldaten, unter denen die ebenholzschwarzen Kolonialneger sich der größten Gunst erfreuten. Hier saßen auch Männer mit Kappen und Narben im Gesicht und bösen, verstohlenen Augen, die Eugen und Starwick scharf beobachteten.

Die beiden soffen sich wüst durch, von Kneipe zu Kneipe, von Spelunke zu Spelunke, überall in dem ungeheuren, verrufenen Nachtlabyrinth. Alsbald bemerkten sie, daß ihnen überall zwei Schutzleute folgten, die ruhig an der Bar standen und sich höflich und wohlgelaunt mit Schnäpsen freihalten ließen. Im nächsten Ausschank standen diese Schutzleute immer bereits da, wenn Eugen und Starwick hereinkamen und mit ihnen der rotbäckige, gutmütige Taxifahrer, der stets mitging, mittrank und jedesmal mit robuster Befriedigung sagte: »Mais oui! Parbleu! A votre santé, messieurs!«

Das graue, hagere Frühlicht schien aufs kaltgraue Wasser der Seine, die da von alters her und zwischen hohe Steindämme eingeengt dahinfloß, es schien auf die hageren, steilen Fassaden alter Häuser mit geschlossenen Fensterläden im Quartier Latin, es schien auf die kantige Enge der stummen Straßen. Auf dem Montparnasse, an einer Ecke des Boulevard Edgar Quinet, stiegen Starwick und Eugen aus und verlangten die Rechnung. Sie besaßen noch fünfzig Francs, und diese Barschaft setzte sich zusammen aus schmutzigen, versehrten Fünffrancsscheinen, Kupfersous, Zweifrancsstücken und Stücken zu zehn, fünfundzwanzig und fünfzig Centimes. Sie nahmen das Geld und leerten es dem Chauffeur in die Hände und standen schuldbeladen, stumm und beschämt vor dem erstaunten, vorwurfsvollen Gesicht dieses Mannes, denn dieser hatte ihnen treu und wacker beigestanden, als sie blindlings durchs Kaleidoskop der Nacht taumelten, und es war Neujahr gewesen, und sie hatten gesoffen und viel Spaß gehabt, und der Mann hatte sie für reiche Amerikaner gehalten, konnte mehr verlangen, hatte mehr verdient, erwartete mehr.

»Alles was wir haben«, sagten sie.

Und da tat dieser robuste Mann mit dem roten Gesicht etwas, was vielleicht in den Annalen der französischen Taxifahrerei selten ist, etwas, was Eugen und Starwick nie vergaßen. Nachdem er eine Weile die zusammengefalteten kleinen Scheine und die Geldstücke, die da auf seinem großen Handteller lagen, erstaunt angeblickt hatte, lachte er plötzlich laut und vergnügt auf, warf das Papiergeld in die Luft, fing es im Fall wieder auf, klaubte eine Fünffrancsnote ab, gab, während er den Rest einsteckte, Starwick den Schein und sagte fröhlich:

»Ist schon recht! Ihr zwei Jungs nehmt das da und geht frühstücken! Das macht nüchtern! Ein gutes Neujahr!« Zum Lebwohl winkte er freundlich mit der Hand und fuhr davon.

Sie gingen frühstücken. Sie tranken dicke, seimige Schokolade und aßen köstliche, frischbackne, knusprige Hörnchen dazu. Die kleine Bäckerei lag am Boulevard Edgar Quinet, ganz in der Nähe von Starwicks Unterkunft. Er wohnte in einem Atelier, das ihm, so sagte er, »two friends« zur Verfügung gestellt hatten; die Namen dieser Freunde oder Freundinnen nannte er nicht, er sagte bloß, diese Leute seien »über die Feiertage weggefahren«.

Das Atelier lag in einer Reihe von Häusern, die alle eines wie das andre aussahen und auf einen abgeschlossenen, sackgassenartigen Hinterhof hinausgingen. Von der Straße her trat man ein durch ein in eine Mauer gesetztes Tor; man drückte auf eine Schelle, und alsbald drückte die Concierge drinnen auf einen Knopf, der den Riegel im Schloß auslöste. Drinnen dann war es sehr still und grau vom grauen Morgenlicht des Neujahrstags. Und die Stadt war ausgesperrt. Die beiden gingen in Starwicks Atelier; im grauen Licht sah Eugen einen großen Raum mit einem abgeschrägten Dach aus grauem Blindglas; an den Wänden hingen Bilder, und gegen die Wände gerückt standen Bildhauerblöcke mit Modelliergerüsten und unvollendeten Skulpturen, außerdem ein paar Tische, ein paar Stühle und ein kautschartiges Bett. Im hinteren Teil des hohen Raums war ein Balkon, zu dem eine Treppe hinaufführte. Dort stand ein Feldbett, und Starwick sagte Eugen, er könne dort oben schlafen.

Die jungen Männer konnten nicht mehr recht fest auf den Beinen stehn vor Müdigkeit, und die durchsoffne Nacht hatte sie sehr mitgenommen; nun waren sie erschöpft und schämten sich, und im kalten, grauen Frühlicht kam ihnen das Leben finster und häßlich vor. Starwick legte sich auf die Kautsch und schlief. Eugen stieg auf den Atelierbalkon, zog sich aus, warf seine Kleider auf einen Haufen, streckte sich hin und sank in den tiefen, betäubten Schlaf des Berauschten und Erschöpften.

Er schlief bis zum Mittag. Er wachte auf, als die Tür ging und er Schritte hörte und plötzlich eine Frauenstimme, die hell und fröhlich klang und etwas autoritativ Schneidendes hatte.

»Darling, da sind wir wieder«, rief die helle, fröhliche Stimme. »Willkommen in unsrer Stadt! Frohes Neujahr!« Und dann leiser, mit einer Note zärtlicher Intimität: »Wie ist's Dir ergangen?«

Eugen hörte die ruhige Stimme Starwicks antworten, und alsdann ganz kurz die dunkle, beinah mürrisch klingende Stimme einer andern Frau. Starwick rief verschlafen herauf, Eugen möge sich gleich anziehn und herunterkommen. Als Eugen herunterkam, warteten Starwick und die beiden Frauen auf ihn.

Die Frau mit der hellen, fröhlichen, schneidenden Stimme begrüßte ihn so warm und herzlich, daß er sich augenblicklich wie zu Hause fühlte. Sie war anscheinend die ältere, aber ein großer Altersunterschied bestand kaum zwischen den beiden. Die andre Frau war groß und dunkelhaarig; man sah ihr die Neu-Engländerin an. Sie trug dunkle Kleider von einem verschossen aussehenden Mausgrau; ihr Gesicht hatte mürrische, beinah schwere Züge. Während Starwick sich mit der andern Frau, die Elinor hieß, vergnügt unterhielt, saß die dunkle, mädchenhafte Person mürrisch und unbeholfen in ihrem Stuhl und schwieg, und nur als jene sie ein- oder zweimal anredeten, antwortete sie. Sie antwortete auf eine kurzangebundene Art mit ein paar mürrischen Worten und einem kurzen, zürnenden Lachen, und dieses Lachen verschwand so plötzlich, wie es gekommen war, und das Gesicht war dann wieder so mürrisch wie zuvor. Aber im Augenblick des Lachens bemerkte Eugen, daß der Mund dieser Frau rot und süß war, daß sie schöne weiße Zähne hatte und vor allem, daß in diesem Augenblick das dumpfe Gesicht in einer zärtlich leuchtenden Lieblichkeit erstrahlte. Eugen hörte, daß Frank die Frau Ann nannte, Starwick, schien es, wollte sie ein wenig aufziehen, denn stets wenn er zu ihr sprach, kamen kleine, maliziöse Lachbläschen in seine Stimme. Die wurlenden Lachbläschen barsten in Franks Kehle, und Franks angenehmes Gesicht wurde rot, als dieser sich an Eugen wandte und sagte:

»Sie ist sehr schön. Man sollte es nicht annehmen, aber, weißt Du, sie ist es wirklich

Ann murmelte kurz etwas Erzürntes, ihr Gesicht wurde über und über rot, sie lachte ihr kurzes, plötzliches Lachen, ein Lachen des Zorns und der Gereiztheit. Und als sie lachte, wurde ihr Gesicht auf einmal lebendig, es erstrahlte vor Lieblichkeit, und Eugen sah, daß Starwicks Behauptung wahr war.


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