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LXXII

Die Coulsons waren vier in der Familie: der Vater, ein Mann von fünfzig Jahren, die Mutter, ungefähr Mitte vierzig, ein Sohn und die zweiundzwanzigjährige Tochter Edith, die bei ihren Eltern im Hause lebte. Eugen lernte den Sohn nicht kennen; er hatte im Vorjahre seine Studien in Oxford abgeschlossen und war dann nach London gegangen, wo er eine Anstellung hatte; er kam nicht heim während der Zeit, in der Eugen im Hause wohnte.

Die Coulsons waren eine ruinierte Familie. Wie dieser Ruin sie befallen hatte, was da eigentlich geschehen war, erfuhr Eugen nie, denn niemand sagte es ihm. Aber das Gewicht einer Schande, eines schimpflichen, unauslöschlichen Entehrtseins, einer Schuld, für die es kein Verzeihen, keine Wiedergutmachung gab, lag überwältigend in der Luft. Eugen fand das auf die erstaunlichste Weise sofort heraus, aber was die Coulsons getan hatten, das wußte er nicht, und niemand sagte in seiner Gegenwart ein Wort gegen sie.

Wurde der Name erwähnt, dann entstand eine Stille, und in dieser Stille lag etwas Erbarmungsloses und Endgültiges, etwas, das zum englischen Nationalcharakter gehört, etwas, das bei weitem furchtbarer war, als es offene Worte des Hohns, der Verachtung oder des bittren Verurteilens hätten sein können, das bei weitem wilder war, als es eine Million schriller, tuschelnder oder lästernder Zungen hätten sein können, denn dieses Stillschweigen ließ keinen Einwand und keinen Widerruf zu, es war abschlüssig, so, als wäre ein großes Tor auf alle Zeiten gegen die Coulsons zugeschlagen worden.

Wo auch Eugen in der Stadt hinkam, stets wußten die Leute Bescheid und sagten – alles sagend – nichts, wenn er den Namen nannte. Überall begegnete er diesem endgültigen, verschlossenen, unnachgiebigen Stillschweigen, in Tabak-, Wein- und Schneidergeschäften, bei den Buchhändlern, in den Lebensmittel- und Krawattenläden, ganz gleich, er mochte eingekauft haben, wo er wollte, wenn er etwas heimschicken ließ und seine Wohnung nannte, begegnete er augenblicklich diesem jäh-endgültigen Schweigen; die Leute schrieben beflissen-ernst Eugens Namen auf, und dann, wenn er die Adresse nannte, sagten manche ganz kurz: »Oh, Coulson's!«, die meisten aber nichts.

Aber ob sie nun »Oh, Coulson's!« sagten oder die Adresse wortlos aufschrieben, immer geschah es mit diesem augenblicklichen Erkennen und Bescheidwissen, mit diesem hartnäckigen, verächtlichen, endgültigen Erstummen, ganz so, als wäre da eine Tür zugeschlagen worden, die nie wieder aufgetan werden konnte. Eugen mißfiel diese Art mehr, als wenn die Leute den Coulsons Übles nachgeredet hätten, denn in diesem vorsätzlichen Nicht-davon-Sprechen lag etwas Häßliches und Kennerisches, lag ein triumphierend überlegenes Sich-fühlen, das schlimmer war, als es verschmitzt und vertraulich getuschelte Verleumdungen, als es offne, schimpfliche Lästerungen hätten sein können. Dies Gehaben erinnerte irgendwie an widerliche und unzählbare kleine Erdwürmchen, an die vorsichtige, kleine Gehässigkeit einer Million namenloser Wesen, die zwar als Einzelwesen betrachtet winzig, fahl und nichtig sind, aber schreckerregend werden, wenn man sich vorstellt, daß jedes kleine Würmchen mit seinem winzigen Kotbällchen zur berghohen Kotanhäufung seiner zahllosen Artgenossen beiträgt.

Diese Leute waren Angestellte mit stillen, ernsten Gesichtern, Leute, die nie ein Wort sprachen, einem nie einen Wink gaben, ja, nicht einmal die Miene verzogen. Und unheimlich war nun, wie die Gesichter dieser Leute, wenn Eugen seine Wohnung nannte, lebendig werden konnten von etwas Hinterhältigem, Schlimmem und Schlauem, wie sie verschlossener und verschwiegener werden konnten als eine Tür, und wie sie doch dabei die bare, schändliche Dreckigkeit einer inneren Sittenverderbnis zur Schau stellten, wie da gleichsam eine trübe Schmutzflut aus einer seichten Quelle aufwallte. Eugen wußte keinen Ausdruck, kannte keinen Namen für das, was er in den Gesichtern dieser Leute spürte, er konnte es ebensowenig an äußeren Zeichen erkennen, wie man ein Gekräusel zerlösten Rauchs mit Händen greifen kann, aber er spürte immer, daß es da war, und immer, wenn er es gewahrte, wurde ihm das Herz hart und kalt gegen diese schmutzig-verschwiegenen Leute, während er der Coulsons mit warmer und starker Zuneigung gedachte.

Unter diesen ernsten Angestelltengesichtern war eines, das Eugen später nie vergessen konnte, ein Gesicht, in dessen Glätte und Schläue ihm die ganze unnennbare und unfaßliche Scheußlichkeit des Weltübels eingegangen schien, das Gemeine und Widerliche, für das er keine Worte hatte, das ortlos ist und keine Ecken und Kanten und überhaupt nichts hat, an dem man es packen kann, und das ihm phantomisch, ölig, rauchig entglitt, sobald er die Hand nach ihm ausstreckte. Dieses Gesicht suchte ihn jahrelang in Träumen heim, er haßte es, es machte ihn rasend und trieb ihn zur Verzweiflung, denn er fand keinen Wall gegen die Bedrängnis dieser Träume, kein Wort für ihre Schmählichkeit, keine Tür, die er in seinem Haß hätte einrennen können, – da war nichts außer einer Welt von Phantomen, Formen und Gewisper, eine Welt, die dennoch so wirklich war wie der Tod, so ständig gegenwärtig wie des Menschen Verrat, eine Welt, in der ihm alles entschlüpfte, sobald er es niederzuringen, zu verfluchen oder zu erwürgen versuchte.

Dieses Gesicht gehörte einem Zuschneider in einem Tailor Shop, und Eugen hätte dieses verfaulte Gesicht zu Blutbrei schlagen können und wäre dann noch imstand gewesen, den letzten dreckigen Rest dieses scheußlichen Lebens in den Fettwülsten des Nackens mit Mörderfingern totzuquetschen, hätte sich dazu nur ein Grund, ein logischer Anlaß, eine Provokation ergeben. Dabei sah er jenen Mann überhaupt nur zweimal, und auch dann nur kurz, und an den sanftmütig glatten, schlau verbindlichen Reden des Mannes war nichts Beleidigendes.

Edith Coulson hatte Eugen in den Tailor Shop geschickt. Er brauchte einen Anzug, und als er sie gefragt hatte, ob sie ihm einen Maßschneider empfehlen könne, hatte sie ihm dieses Geschäft genannt; ihr Bruder hatte dort arbeiten lassen und war zufrieden gewesen. Der Zuschneider war ein schwerfälliger, schlotternder Mann von beinah Vierzig. Er trug das Haar glatt zurückgebürstet zu einem dicken Bürzelschopf, aber am Stirnansatz war es ihm ausgefallen. Er hatte etwas herausgetriebne Augen, und das Weiß der Augäpfel spielte ins Gelbe. Das Gesicht war grob, plump, schwer, rot, sinnlich, mit schlaffen Zügen, einem fliehenden, fleischigen Kinn und großen, verfärbten Muckerzähnen, die man unangenehmerweise immer sah, weil der Mund stets halb offen war. Der Mund war es, der dem Gesicht den zotigen, schlauen, häßlichen Ausdruck gab, denn ein loses, vulgäres Lächeln schien ständig um die dicken, groben Mundränder zu hängen, ein absichtlich und schlau zurückgehaltenes Lächeln, das sich jeden Augenblick in ein offnes, gemeines, zotiges Lachen verwandeln konnte. Um diesen Mund hing ständig die widerliche Anspielung einer losen, verderbten, schadenfrohen Heiterkeit, und doch: der Mann lachte oder lächelte nie.

Seine Rede war ebenfalls sanftmütig-glatt und höflich, aber selbst in den verbindlichsten Versicherungen war da etwas Hehlerisches, Hämisches, Heimtückisches, etwas, das einem entschlüpfte, das nie greifbar und dingfest war, etwas Treuloses, Trügerisches, Schädigendes. Als Eugen zur Anprobe kam, stellte sich alsbald heraus, daß der Mann ungemein schlecht und schludrig gearbeitet hatte. Der Anzug war übel verpfuscht und nicht völlig genug, der Mann hatte am Stoff gespart, und nun war's zu spät, den Schaden zu beheben.

Der Zuschneider jedoch zog ernst die Weste herunter, bis sie auf dem Hosenbund saß, zupfte am Rock und brachte den Anzug so zusammen, daß er sich wie ein Ganzes ansah, bis Eugen Atem holte oder einen Muskel bewegte, und dann war es wieder das alte Bild, der Rockkragen schlug Falten, die Rockschöße waren zu kurz, der Rock rutschte hoch, und die Weste rollte nach oben vom Hosenbund, und da entstand ein Hiatus aus hemdbekleidetem Bauch, eine Lücke, die sich mit keinerlei Mitteln mehr auffüllen ließ.

Der Zuschneider zog und zupfte mit ernster Miene das Ding wieder zusammen und bemerkte auf seine verbindlich glatte, aber ölige, schlau, phrasenhaft nichtssagende Art:

»Hm! Scheint Ihnen gut zu passen.«

Eugen war am Ersticken vor Gereiztheit. Er wußte, daß er geneppt worden war, weil er törichterweise die Hälfte der Rechnung im voraus bezahlt hatte, so daß ihm nun nichts übrigblieb, als entweder die angezahlte Summe schwimmen zu lassen, ohne etwas dafür zu kriegen, oder aber den verkrotzten Anzug zu nehmen und die andre Hälfte des Preises zu entrichten. Er war in der Falle gefangen, aber selbst nun, als er wortlos sich den Anzug selber zurechtzuzupfen versuchte und, sein Hemd mit der einen Hand festhaltend, die klaffende Falte, die der Rockkragen schlug, dem Zuschneider geradezu ins Gesicht stieß, sagte der Mann ganz glatt:

»Hm. Ja! Der Kragen. Ich denk', das läßt sich machen, daß er sitzt. Bloß 'ne Kleinigkeit zu ändern.« Er zog ein paar Kreidestriche um Eugens Schultern herum. »Ich würde sagen, daß der Rock dann sehr gut sitzen wird, wenn der Schneider das geändert hat. Sie werden es selbst finden ...«

»Bis wann wird der Anzug fertig?«

»Hm. Bis nächsten Dienstag, denk' ich. Ja, ziemlich sicher bis nächsten Dienstag. Da wird er bestimmt fertig sein.«

Die Worte kamen dem Mann von den Lippen wie Öl; da war nichts, worauf man ihn festnageln, womit man ihn packen konnte. Die gelben Augen waren ganz beiläufig weggerichtet und blickten Eugen nicht an; auf dem zotigen Gesicht lag ein verbindlich glatter Ernst, die verfärbten Muckerzähne standen unzüchtig in dem groben, losen Mund, und das verfaulte, lockere Lächeln schien nun so deutlich um den Mund zu spielen, daß Eugen glaubte, der Mann müsse sich nun jeden Augenblick mit schweren, bebenden Schultern abwenden, um sein aufwallendes, übles, schadenfrohes Lachen zu unterdrücken. Aber der Mann blieb verbindlich ernst und völlig gleichmütig, und als Eugen fragte, ob er nochmals zur Anprobe kommen solle, sagte der Zuschneider im selben öligen Ton und ohne Eugen anzusehen:

»Hm. Ich glaube nicht, daß es notwendig sein wird. Ich kann Ihnen den Anzug schicken, wenn er fertig ist. Wollen Sie mir Ihre Adresse geben?«

»The Far End Farm – an der Ventnor Road.«

»Oh! Coulson's!« Am Gesichtsausdruck änderte sich nichts. Aber das unanständige Lächeln spielte nun so deutlich an, daß Eugen dachte, es müsse nun wirklich erscheinen, der Mann müsse herausplatzen. Statt dessen aber sagte der Mann bloß:

»Hm. Ja. Ich denk', wir können Ihnen den Anzug am Dienstag dorthin schicken. Wollen Sie bitte einen Augenblick warten, ich will noch mal in der Werkstatt fragen.«

Ernst verbindlich nahm er Eugen den Rock ab, legte ihn sich über den Arm und ging nach hinten, nach der Werkstatt. Und von dort hörte Eugen einen Augenblick später schlaues Gewisper, verstohlenes Lachen und dann die Stimme eines Schneiders, der fragte:

»Wo wohnt er denn?«

»Coulson's!« antwortete der Zuschneider mit fast erstickter Stimme, und nun kam das erwartete, unzüchtige Lachen – ein hohes, schleimiges, prustendes Lachen kam aus jenem losen Mund, ward erstickt, tuschelte lautlos weiter, ward wieder erstickt, vermischte sich dann mit der Stimme des Schneiders in einer schlauen, keuchenden, wispernden Vertraulichkeit und verstummte schließlich. Als der Zuschneider wieder aus der Werkstatt kam, war sein Gesicht noch rot und geschwollen von der heimlichen, unzüchtigen Ergötztheit, und seine schweren Schultern bebten noch leicht. Er zog sein Taschentuch heraus und fuhr sich damit einmal über den losen, halboffnen Mund, und mit dieser Gebärde war der Schleim des Gelächters von den Lippen weggewischt. Der Mann war wieder verbindlich, ernst, höflich, verhalten gesammelt, er kam auf Eugen zu und sagte sanftmütig glatt:

»Nächsten Dienstag werden wir Ihnen den Anzug ziemlich sicher schicken können, denk' ich, Sir.«

»Kann der Schneider ihn passend machen?«

»Hm. Sie werden finden, denk' ich, daß dann alles in Ordnung sein wird. Sie werden den Anzug wohl Dienstag nachmittag zugeschickt kriegen.«

Er sah Eugen nicht an. Die gelblichen Stilaugen blickten beiläufig und unbestimmt weg, und auch die Worte hatten wieder die schlüpfrige, entschlüpfende Öligkeit. Das Wesen dieses Mannes war nicht dingfest zu machen, man konnte es nicht antasten, nicht greifen, nicht packen; da war nichts, woran man sich halten konnte, der Mann war so unprägsam wie Rauch oder wie eine Quecksilberkugel.

Als Eugen wegging, hörte er, gerade in der Tür, wie der Zuschneider mit jemandem in der Werkstatt ein Gespräch begann. Eugen hörte ein paar leise Worte, Wisperstimmen und dann keuchend das Wort: »Coulson's« und dann, als er die Tür hinter sich schloß, das schleimige, erstickte, unterdrückte Lachen. Er sah den Mann nie wieder. Er vergaß das Gesicht nie.

 

Ein feines Haus war das; die Leute, die drin wohnten, waren Verbannte, Verlorne und Ruinierte, und Eugen mochte sie alle gern. Später verstand er nie, warum sie seinem Empfinden so nahe standen, warum er ihrer mit solcher Wärme, mit einer so starken Zuneigung gedachte.

Er sah die Coulson's nicht oft und sprach nur selten mit ihnen, aber er empfand ihnen gegenüber eine Vertrautheit und Freundlichkeit, als hätte er sie sein Lebtag gekannt. So wunderbar wie dieses war noch kein Haus gewesen, in dem Eugen gewohnt hatte, und das kam daher, daß die Leute hier mit diesem eigenartigen, wortlosen Wissen, dieser Wärme und Vertrautheit zusammen lebten, und daß dabei doch jeder in seinem eignen Zimmer für sich, insgeheim und so sicher behaust war, als bewohne er das Haus ganz allein.

Den Mr. Coulson sah Eugen am allerseltensten; sie begegneten einander ein paarmal in der Haustür oder in der Diele. Coulson pflegte dann kurzangebunden und barsch sein »Morgen!« oder sein »Guten Tag!« zu grollen und weiterzugehn, und dennoch beließ er dann Eugen stets mit einem seltsam warmen und freundschaftlichen Gefühl. Er war ein stämmig untersetzter Mann mit eisengrauem Haar, buschigen Augenbrauen und einem roten, wetterfesten Gesicht; aber unter der frischen, herben Röte, die für Landluft zeugte, saß das satte, stumpfe Blaurot, das man auf den Gesichtern schwerer Gewohnheitssäufer findet.

Eugen sah Coulson nie betrunken, aber nüchtern war der Mann auch nie. Er gehörte vielmehr zu jenen Trinkern, die sich so weit durchgetrunken haben, daß die Hoffnung auf einen richtigen Rausch nicht mehr für sie besteht, die mit Haut und Haar und bis in die Knochen so alkoholisiert sind, daß sich der Alkohol wohl kaum wieder aus dem durchtränkten Gewebe, aus dem saturierten Blut herausdestillieren ließe. Trotzdem, man spürte, wie der Mann sich beherrschte; es war dies die Beherrschung derer, die der Macht, die sie beherrscht, vollkommen verfallen sind, die Herrschaft des Opiumessers, der zwar nicht vom Gift lassen kann, sich aber die Dosis mit kalter Berechnung zumißt, die Beherrschung des Mannes, der genau weiß, wieviel er vertragen kann und sich Tag für Tag scharf an der Grenze Einhalt gebietet.

Da nun der Alkohol in Coulson wie dumpfes Feuer gloste, da Coulson auf die barsche, kernig rauhe Art des Landedelmanns, die überhaupt sein ganzes Gebaren auszeichnete, die Haltung bewahrte, war es irgendwie gerade diese Selbstbeherrschung, die den Ruin seiner Existenz, das Desperate in seiner furchtbaren Trunksucht ständig offenbar machte. Es machte den Eindruck, als ob er, nachdem alles verloren war, sich noch immer grimmig an die äußeren Formen seines Standes halte, an einen verfallenen, im inneren Bestand zerstörten Rang.

Genau denselben Eindruck machten auch die beiden Frauen, Mrs. Coulson sowohl wie das Mädchen Edith. Sprachen sie mit einem, dann glitten sie nie aus einer spröden, bündigen, klipp-und-klaren Freundlichkeit ins Vertrauliche ab, und da war kein Zug, der einem auch nur aufs allerleiseste angedeutet hätte, daß man ins Intime und Private zugelassen werden könne. Auf das wetterfeste Gesicht der Mrs. Coulson kam beim Sprechen dasselbe feine, starre Grinsen, das auf Captain Nicholls Gesicht war, und wie die seinen waren auch ihre Augen – hell, hart, ein wenig wahnsinnig, undurchdringlich. Auch das Mädchen, das doch so jung und sehr schön war, hatte manchmal diesen Blick im Gesicht, wenn es einen grüßte oder stehenblieb und ein paar Worte mit einem sprach. In diesem Blick war nichts Grausames, Bittres oder Trotziges, er war einfach der Blick von drei Menschen, die zusammen untergegangen waren, die aufeinander weder erbittert waren, noch einander haßten, sondern eben jenes seltsame Kameradschaftsgefühl gemeinsamer Schande füreinander empfanden, ein Kameradschaftsgefühl, das nichts mehr mit Liebe zu tun hatte, das aber verschwiegener und stiller war als Liebe und eine Schicksalseinheit stiftete, die mit einer empfindungslosen Resignation hingenommen ward.

Und dieser harte, helle Blick sagte der Welt klar und deutlich: »Wir verlangen nichts mehr von Dir; wir wollen nichts von dem haben, was Du zu bieten hast. Was unser ist, ist unser; was wir sind, sind wir; Du wirst nicht eindringen und näher an uns herankommen, als wir es zulassen.«

Es mochte so sein, daß die Frau und die Tochter die Ächtung über Coulson gebracht hatten, so, daß Coulson ein Mann war, der es stillschweigend und stumpfsinnig hinnahm, vom Morgen bis Abend trank und gegen das Unheil keine andern Mittel hatte außer dem Trunk, der Schweigsamkeit und dem Sichdreinschicken. Eugen jedoch wußte nie bestimmt, daß dem so wäre; es war nur eine Annahme, zu der man scheinbar unausweichlich gedrängt ward, eine irgendwie erkennbare Lesart des unbekannten Tatbestands, auf die man verfiel, wenn man das träge, glosende Feuer sah, das in dem zackigen, wetterfesten Gesicht des Mannes brannte, und dazu den harten, hellen, geharnischten Blick in den Augen der Frauen und auch das starre, stete Grinsen, das beim Sprechen um ihre Münder erschien, ein Grinsen, das ebenfalls geharnischt war. Und Morison, der Coulson gluckernd bezeichnet hatte als »wirklich, 'n Mann, der Tag für Tag seine Flasche trinkt«, fügte ruhig, beiläufig, auf seine kurzangebundne, herausgeblökte, unbestimmbar suggestive Art hinzu:

»Vermute, das olle Mädchen hat's seinerzeit 'n bißchen toll getrieben ... Mit Männern, mein' ich ... Weiß es freilich nich', ... aber die Frau sieht so aus, nich' wah'?« Einen Augenblick später erkundigte er sich ruhig: »Hab'n Sie mal mit der Tochter gesprochen?«

»Ein- oder zweimal. Nicht lang.«

»Traf da neulich 'nen Studenten vom Magdalen College. Der Kerl kennt sie«, erzählte er beiläufig. »Pflegte wegen ihr hier ins Haus zu kommen.« Er blickte schnell, schlau zu Eugen herüber, sein Gesicht wurde ein wenig röter vor Lachen. »Ziemlich scharf, das Mädchen, schließe ich.« Er sagte das ruhig, er lächelte und sah weg. Es war Nacht, ein fröhliches Feuer brannte im Rost des offnen Kamins, von Zeit zu Zeit zischten die heißen Kohlen mit gasartigen Flackerflammen auf. Das Haus ringsum war ganz still. In den Alleebäumen draußen brauste der Sturmwind. Morison warf seinen Zigarettenstummel ins Feuer, goß sich Whisky in sein Glas und sagte dazu: »Nich' wah', alter Junge, darf mir doch 'nen Schluck nehmen, eh ich mich ins Bett trolle.« Er goß Selterswasser ins Glas und trank. Und Eugen saß da und sagte kein Wort und starrte dumpf ins Feuer und ward sich dumpf bewußt, wie ihn eine Welle von Schmerz und Entsetzen und Übelkeit überlief bei der unanständigen Vermutung, die Morison gerade vorgebracht hatte, und versuchte nun hartnäckig, vor sich selbst zu leugnen, daß er die ganze Zeit an das Mädchen dachte.


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