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LXXX

Die Beziehungen zwischen diesen vier Menschen waren nun fast bis zum Bersten gespannt, denn das liederliche Leben, das sie einen ganzen Monat geführt hatten, hatte seinen strengen Tribut gefordert. Die erschöpften Leiber und die überreizten Nerven verlangten nach Ruhe, nach einer Zeit heilsamer Rast, so daß sich die Quellgefäße der Energie wieder auffüllen könnten. Aber ganz wie jene hoffnungslosen Geschöpfe, die einem Rauschgift verfallen sind, waren die vier Leute außerstande, die Fesseln der tyrannischen Vergnügungssucht zu sprengen. Starwick war anscheinend vollkommen dieser sinnlosen, wütigen Sucht hörig geworden, diesem besessenen Fahnden und Forschen nach neuen Sensationen, dieser aussichtslosen Jagd nach einem Glück und nach Erfüllungen, die keines von den vier gefunden hatte. Anscheinend war er weder fähig noch willens, den schlimmen Bann zu brechen; statt dessen war es so, als fräße ihm ein Gifthunger in den Geweiden, – ein Hunger, der dauernd mit der Speise wuchs und mit keinerlei Zehr zu stillen war –, und die üble Lähmung seines Willens und die gräßliche Gleichgültigkeit seiner Resignation wurden täglich ausgesprochener.

Von den vier Leuten war er der einzige, der den Anschein der Ruhe bewahrte. Und diese kalte, gleichmütige Ruhe machte die andern rasend. Zornesausbrüche und empörte Zurechtweisungen, Vorhaltungen und gute Zureden, dies alles nahm er mit betrübter Demutsmiene, mit einer gewissen, tiefbekümmerten Ergebenheit hin, mit einem Gehaben, das stillschweigend jedem Vorwurf und jedem Urteil beizupflichten schien, mit der großartigen Gebärde einer süßen, leidvollen Zerknirschung, die einen ärger aufbrachte, als es absichtliche Kränkungen vermocht hätten, denn hinter diesem undurchdringlichen Panzer, diesem geheimnistuerischen Fatalismus spürte man eine hassenswerte Anmaßung, die einem zu verstehen gab, Worte wären zwecklos, weil es keine Worte gäbe, die das Schicksalswissen von Starwicks Seele auszudrücken vermöchten, – eben jene hartnäckige, abscheulich verkehrte Anmaßung eines Menschen, der bewußt zu seinem Untergang entschlossen scheint.

Starwicks Führung wurde täglich abgeschmackter, ausgefallener, lächerlicher. Er benahm sich wie ein melodramatischer Narr, aber es war unmöglich, über seine Narrheit zu lachen, weil sie sich so verzweifelt, so verhängnishaft äußerte. Er tat unfaßliche Dinge, geriet in unglaubliche Lagen, wie sie – eigentlich nur in einer komischen Oper angängig – sich beschämend unwirklich und unnötig in der Welt der Wirklichkeit erwiesen. Was seine Führung tatsächlich beschämend und unwürdig machte, war dies, daß sein Fatalismus keiner Sache diente, keinen Einsatz darstellte, daß sein verwegenes, absichtliches Fahnden nach Gefahren überhaupt zu nichts nütze war, es sei denn dazu, der melodramatischen Unwirklichkeit einer Operettensituation die Wirklichkeit von Fleisch und Blut zu verleihen.

In solche lächerlichen, aber nicht immer ungefährlichen Situationen geriet Starwick ständig durch seine vorsätzliche Fahrlässigkeit, und dauernd wurden die andern durch ihn hineinverstrickt. Eines Nachts in einer der Vergnügungszufluchten auf dem Montmartre kriegte Starwick Krach mit einem Mann. Der Vorfall war durchaus possenhaft und wäre es auch geblieben, hätte er nicht häßliche Folgen gezeitigt und später peinliche, beschämende Erinnerungen mit sich gebracht. Der Mann, mit dem Starwick Krach bekam, ein unangenehmer, verschrumpft aussehender kleiner Franzose, ein Nachtgeschöpf mit obszönen Augen, vergilbter Haut und einem seine Nagetierzüge nur halb verdeckenden Spitzbart, hatte seine gräßlichen Augen nicht von Ann lassen können, hatte anzüglich schmunzelnd und blinzelnd die edlen Proportionen ihrer Schönheit abgeschätzt mit Blicken, die schon fast die handgreifliche Sinnlichkeit nackter Berührung hatten. Als das Orchester mit einem Schlager einsetzte, kam der Mann an den Tisch, verbeugte sich und bat Ann – so höflich, wie es die Sitte heischt – um einen Tanz.

Ann wurde vor Wut rot im Gesicht, blickte mürrisch vor sich hin auf das Tischtuch, und ehe sie sich noch auf eine Antwort besinnen konnte, sagte Starwick:

»Mademoiselle möchte nicht tanzen. Bitte, gehn Sie weg!«

Starwicks kalt-arroganter Ton und die bündige Abfertigung brachten den Franzosen in Hitze. Als er erwiderte, entblößte er seine Lippen in einem häßlichen Lächeln, das auch seine unangenehmen Fangzähne zur Schau stellte. Er sagte:

»Ist's der Lady nicht verstattet, für sich selbst zu sprechen? Sind Monsieur ihr Vormund?«

Mit kalter, gemüdeter Gleichgültigkeit forderte Starwick den Mann nochmals auf: »Wollen Sie nun bitte weggehn?! Sie langweilen hier.«

»Wunderbar!« Der kleine Franzose warf den Kopf zurück; er lachte, die Fangzähne entblößend, ein Lachen geifernden Hohns. »Da ist ja Monsieur d'Artagnan von den Toten auferstanden und dazu eine Lady so scheu und bescheiden, daß sie nicht für sich selbst sprechen kann! Ganz süperb so 'was!« rief er aus. Er machte eine ironische Verbeugung und schloß: »Monsieur, von ganzem Herzen dank' ich Ihnen für diese köstliche Zerstreuung! Monsieur sind sehr drollig!«

Statt einer Erwiderung griff Starwick nach dem Syphon auf dem Tisch, und ohne seine gleichmütig kalte Miene auch nur zu verziehen, spritzte er den Seltersstrahl stracks dem kleinen Franzosen ins angegilbte Gesicht.

Im nächsten Augenblick war das Lokal ein siedender Mahlstrom der Erregtheit. Leute sprangen von ihren Tischen auf, die Tänzer hielten inne, das Orchester brach mit Getöse ab, der Gaststättenbesitzer und der Kellner kamen herbeigeeilt.

Und im nächsten Augenblick dann war der Tisch umringt von einer Gruppe erregt gestikulierender, gleichzeitig durcheinanderredender Leute. Starwick, der aufgestanden war und den kleinen Franzosen ansah, blieb kalt und gleichgültig, nur sein rötliches Gesicht war von der Erregung ein wenig röter geworden. Der Ausdruck mörderischen Hasses auf dem Gesicht des kleinen Franzosen war gräßlich. Ohne sich das tropfnasse Gesicht mit der Serviette, die ihm ein aufgeregter Kellner gut zuredend hinhielt, abzutrocknen, schob er den Manager, der ihn zurückhalten wollte, zur Seite, trat dicht vor Starwick hin und fauchte:

»Ihren Namen, Monsieur? Ich verlange, daß Sie mir Ihren Namen geben! Meine Vertreter werden morgen früh bei Ihnen vorsprechen.«

»Gut«, sagte Starwick kalt. »Ich werde die Herren erwarten. Monsieur wird jede gewünschte Satisfaktion zuteil werden.«

Er zog seine Karte aus seiner Brieftasche, schrieb die Atelieradresse unter seinen Namen, reichte dem Franzosen die Karte.

»Ah, bon!« schnarrte der Franzose, die Karte schnell ansehend. »Bis morgen denn!«

Er verlangte seine Rechnung, überging alle Entschuldigungen und Beschwichtigungen des Gaststättenbesitzers mit Stillschweigen und brach auf.

»Aber Frank! Darling!« rief Elinor aus, als sie alle vier wieder saßen. »Was hast Du vor? Du wirst doch nicht dran denken –« Sie sprach den Satz nicht zu Ende, sondern starrte Starwick mit besorgtem, staunendem Gesicht an.

»Ja«, sagte Starwick kalt und ruhig. »Er hat mich zum Zweikampf gefordert, und wenn er's haben will, werde ich mich ihm stellen.«

»Aber das ist doch absurd!« rief Elinor ungeduldig lachend. »Was auf der Welt verstehst Du schon vom Duellieren! Mein armes Jungchen, wie kannst Du Dich nur so lächerlich machen! Wir leben im zwanzigsten Jahrhundert, Darling, – weißt Du etwa nicht, daß sich Männer heutzutag nicht mehr so aufführen?«

»Durchaus!« sagte Starwick mit steinerner Ruhe. »Nichtsdestoweniger, ich werde mich dem Mann stellen, wenn er's haben will.« Er sah ihr eine Sekunde ruhig ins Auge, dann sagte er ernst: »Das muß ich doch wohl. Wirklich, weißt Du.«

»Mußt Du doch wohl!« rief Elinor ungeduldig. »Ei, das Kind ist ja verrückt!« Sofort veränderte sich ihr Ton. Sie sprach frisch, klar, maßgeblich, sie ermahnte ihn ruhig und gütig, ganz wie man ein Kind ermahnt: »Hör' mich mal an, Francis!« sagte sie. »Sei so kein Blödel! Was scherst Du Dich noch um dieses elende Männchen! Die Sache ist erledigt! Ein Zweikampf! Guter Himmel! Sei nicht kindisch! Wer hat denn je so 'nen Unsinn gehört?«

Er errötete ein wenig über ihren Spott, antwortete aber kalt und gleichgültig:

»Durchaus! Nichtsdestoweniger, wenn er's haben will, werde ich mich ihm stellen.«

»Dich ihm stellen!« rief Elinor aus. »Oh, Francis, wie kannst Du nur so dumm sein! Worauf willst Du Dich ihm denn stellen?«

»Auf welche Waffe er mich fordert«, erwiderte Starwick. »Pistolen oder Klingen, mir ist es gleich.«

»Pistolen oder Klingen!« schrie Elinor leise auf und fing an zu lachen. »Ei, Du Blödel, was verstehst Du von Pistolen oder Klingen? Du hast im Leben keinen Säbel oder Degen in der Hand gehabt, – und Pistolen – ei, Du weißt ja nicht mal wie man zielt und abdrückt.«

»Das macht nichts«, sagt er sehr ruhig auf seine fatalistische Art. »Dann schieß ich eben in die Luft.«

Obschon diese Worte melodramatisch, töricht und lachhaft waren, lachte niemand. Die drei andern verstanden plötzlich, was für verhängnisvolle Folgen diese Farce nach sich ziehen könne, und da sie die Verzweiflung in Starwicks Seele spülten – die furchtbare Verzweiflung, die ihn anscheinend trieb, überall sein Verderben zu suchen – wußten sie, daß er bei gegebener Gelegenheit genau nach seinen Worten handeln würde.

Elinor schickte sich zum Aufbruch an. Sie winkte dem Kellner und verlangte die Rechnung. Sie redete Starwick gut zu:

»Komm! Gehn wir hier weg!« sagte sie. »Du hast zuviel getrunken. Ich glaub', Du bist nicht mehr ganz klar im Kopf. Ein bißchen frische Luft wird Dir guttun. Morgen wirst Du ganz anders über diesen Vorfall denken.«

»Aber ganz und gar nicht«, sagte er geduldig. Und dann, als sie aufstehn wollte: »Willst Du nicht bitte sitzen bleiben? Wir gehn noch nicht.«

»Aber warum denn, Darling? Bist Du nicht bereit? Hast Du nicht genug Radau gemacht für heut abend, oder möchtest Du gar von noch jemand zum Duell gefordert werden? Außerdem, ich bin der Meinung, Du könntest ein wenig Rücksicht nehmen auf Ann. Wie ich weiß, möchte sie schon lange gehn.«

»Warum denn?« sagte Starwick und wandte sich fein-überrascht an Ann. »Gefällt's Dir hier nicht? Das ist doch ein sehr gutes Lokal, und die Musik ist ausgezeichnet. Wirklich, weißt Du.«

»O reizend, reizend«, murmelte sie sarkastisch. Seit der Krach begonnen hatte, war sie unbeweglich dagesessen, mit feuerrotem Gesicht, und hatte mürrisch aufs Tischtuch gestarrt. Nun blickte sie plötzlich auf mit einem kurzen, zürnenden Lachen und sagte:

»Gott! Ich weiß nicht, ob ich aus dem Lokal 'raus gehen kann oder ob ich 'rauskriechen muß. Ich komme mir wie ... ausgezogen vor.« Sie wurde dunkelrot bei diesen Worten.

Starwick sah sie eine Weile an. Dann, scharf, eine Note strengen Tadels in der Stimme, sprach er ärgerlich:

»Ann! Das ist sehr schlecht und sehr unrecht und – und – sehr gemein von Dir, so zu reden.«

»So komm ich mir eben vor«, murmelte sie.

»Dann bin ich's«, sagte er ruhig, während zwei hochrote Zornflecken auf seinen Wangen brannten, »der sich gründlich Deiner schämt. So etwas ist Deiner durchaus unwürdig, denn ein Mensch von Deiner Qualität hat in so einem Falle mehr –«, er hielt inne, wählte das Wort mit Bedacht, »– Fiber zu zeigen. Das solltest Du wirklich, weißt Du.«

»Hör mir auf mit Fiber!« Sie flackerte ihn an, das Gesicht von Röte Übergossen, mit ihren lieblichen, zürnenden Augen. »An der Fiber fehlt's einem nicht, wenn man nicht gern als Närrin dasteht! Dein Gerede von der ›Fiber‹, Frank, das bin ich satt. Wo wir nun auch hingehn, immer ist da jemand, der zeigen muß, aus was für einer ›Fiber‹ er gemacht ist, und infolgedessen ist dann allen gründlich der Spaß verdorben. Um Gottes willen, laß uns nicht ständig von der ›Fiber‹ reden, die wir zeigen müssen oder nicht, – laß uns lieber ein bißchen Spaß haben und vergnügt sein und uns zur Abwechslung mal ein wenig wie anständige und natürliche Menschen benehmen. Ich hatte mich so auf diese Reise mit Elinor gefreut und nun –« Tränen des Zorns und der Enttäuschung traten ihr in die Augen, sie blickte mürrisch unter sich, um diese Tränen zu verbergen. »Sich wie ein Narr benehmen und Szenen machen und überall, wo wir nur hingehn mögen, Krach kriegen!« murmelte sie. »Überall in Scherereien geraten, sich so anstellen, daß uns die Leute aufsässig werden, nie seinen Spaß haben! So 'n elendes Männchen mit 'nem Siphon anspritzen –« Sie machte eine plötzliche, impulsive Gebärde des Angewidertseins. »Mein Gott! Es wird mir übel, wenn ich dran denk!«

»Tut mir leid, daß Du es so nimmst«, sagte Starwick ruhig. »Ich werd mir Müh geben, daß so was nicht wieder vorkommt, ... aber letzten Endes, Ann ... der Grund, weshalb diese Sache vorgefallen ist, liegt darin, daß ich Dich so gern mag und eine so große Hochachtung vor Dir habe, daß ich's nicht ertragen kann, wenn jemand Dich beleidigt.«

»Ah-h! Mich beleidigt!« zürnte sie. »Guter Himmel, Francis, Du glaubst wohl, ich brauchte einen Beschützer gegen so eine elende kleine Kreatur wie dieses Männchen? Nachdem ich Pflegerin gewesen bin und allein in jede verrufene Elendsbaracke in Boston zu gehn hatte und mir Männer vom Leib halten lernte, die zweimal so groß sind wie jenes Männchen! Mich beschützen!« erklärte sie bitter. »Schönen Dank für nichts! Ich bin nicht über See gekommen, um mich hier beschützen zu lassen! Das hab' ich nicht nötig! Ich kann auf mich selber achtgeben. Versuch' lieber mal, Dich wie ein einfacher, anständiger Mensch zu benehmen, – laß uns Freunde sein und ein bißchen Rücksicht aufeinander nehmen, – und sorg' Dich nicht drum, daß Du mich beschützen müßtest.«


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