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XVIII

Eines Tages rief Eugen jenes Mädchen an, von dem sein Onkel Bascom gesprochen hatte. Sie war spröd und vorsichtig, aber doch hoffnungsvoll. Ihre Stimme gefiel ihm. Als er ihr nach einigen feinen Umschweifen erklärte, er möchte sie bald treffen, war sie sofort entgegenkommend und gab ihm für den nächsten Abend ein Stelldichein an der North Station: sie müsse nämlich dann ohnehin in die Stadt, um bei einem Festessen aufzuspielen. Sie war Geigerin. Er verstand sehr wohl, daß sie ihn erst einmal sehen wollte, ehe sie sich traute, ihn in die Sicherheit ihres Vorstadtheims einzuführen. Er badete, puderte sich die Achselhöhlen und zog ein neues, für diese Gelegenheit gekauftes Hemd an.

Naßkalter Novemberabend, ein trübseliger Regen fiel. Er ging in seinen langen Regenmantel eingeknöpft zum Stelldichein. Sie hatte versprochen, als Kennzeichen eine rote Nelke zu tragen. Diese Anregung stammte von ihr und hatte ihn höchlich gekitzelt. Als sich der Eisstrom der rosig-gesichtigten Vorstädter in die warme Wartehalle ergoß, hielt er Ausschau nach ihr. Er erkannte sie alsbald: sie kam sofort auf ihn zu, denn bei seiner Leibeslänge war ja ein Irrtum ausgeschlossen. Sie flüsterten aufgeregt miteinander, bekamen aber allmählich Fühlung.

Sie war ein schlankes, ziemlich hochgewachsenes Mädchen und trug Kleider, die, tadellos erhalten, aus dem Anfang des Jahrhunderts zu stammen schienen. Auf dem Kopf trug sie einen flachen und dennoch hoch wirkenden Hut: er saß da wie eine Glucke auf dem Nest, ganz in der Art, wie die Königin von England ihre Hüte trägt. Sie war eingepellt in einen langen, blauen, auf Taille geschnittenen und an den Hüften gebauschten Überrock, auf den Schrauben- und Lockenornamente aus schwarzer Schnürkordel aufgenäht waren. Sie sah hochanständig und altmodisch aus, und etwas kindlich Dummes in ihrem Sichgeben verlieh ihr eine feine Drolligkeit, die Eugen gefiel. Er brachte sie an die Untergrundbahn. Sie hatten ausgemacht, daß er sie am nächsten Abend in ihrem Heim besuchen solle.

Sie hieß Genevieve Simpson und lebte zusammen mit ihrer Mutter und ihrem Bruder, einem stämmigen Lausebengel von neunzehn Jahren, in einer Zweifamilien-Villa in der Vorstadt Melrose. Die Mutter war eine kleine, volle Frau mit einem weißen, kloßigen Gesicht und Augensäcken. Ihr Gesicht trug gewöhnlich jenen Ausdruck stumpfer Unzufriedenheit, der an so vielen Amerikanerinnen aus dem Mittelstand auffällt: es sind dies Frauen, die eine Art Leben begehrt und eine andre Art Leben gelebt haben und vermutlich dabei herausfanden, daß die unentbehrlichen Vorzüge dieser anderen Art wie Sicherheit, Herdendasein und Schicklichkeit durchaus nicht so allzulänglich sind, wie sie hofften. Auf Mrs. Simpsons Welt lag immer das gemeine Licht innerer Übellaune, der kleinen Krittelei und der ewigen Unausgeglichenheit, und so wirkte ihre mechanisch geäußerte gesellige Herzlichkeit ungeheuer burlesk. Wenn sie lachte, lachte sie stets schrill und immer am falschen Ort, und darüber mußte dann Eugen mit einem dröhnenden Gelächter lachen, und sie antwortete darauf abermals im Glauben, sie lachten gemeinsam über etwas, das nun doch, sei es zugegeben, ziemlich ungewiß wäre.

Sie hielt es in einem ganz kaufmännisch-handelsmäßigen Sinn für ihre Pflicht, das Heimleben ihrer Familie in seiner Schönheit und Behaglichkeit für junge Männer anziehend zu gestalten, und obschon die Unzufriedenheit und Nörgelsucht deutlich auf ihrem und auf ihrer Tochter Gesicht zu lesen waren, gelang es ihnen mit vereinten Kräften, den Besuchern ein hübsches Bild von innig-trauter Daseinsgemeinschaft vorzuspielen. Dieses Bild hatte – so empfand Eugen – etwas von der Schaustellung von Anmut und Kraft, zu der sich Akrobaten am Ende ihres Auftritts zwingen: sie tun dann mit einem leichten gelassenen Lächeln so, als könnten sie bis in alle Ewigkeit an einer Zehe in der Luft aufgehängt bleiben, und doch merkt man, daß eine Sekunde später bereits die schmerzenden Glieder und der verrenkte Leib erschöpft und erlöst hinterm Vorhang zusammenklappen werden.

»Wir wünschen beide, daß Sie sich hier ganz wie zu Hause fühlen«, meinte sie fröhlich-bieder. »Machen Sie unser Heim zu Ihrem Hauptquartier. Sie sind hier bei einfachen, ungezierten Menschen.« Sie überflog mit schnellbefriedigtem Blick ihr Wohnzimmer und ließ das Auge je ein Sekündchen hie und da ruhen – auf den gestreiften Kacheln um die Feuerstelle, – auf dem Kaminsims, auf dem Blumenvasen standen und eine bis auf ein rosaseidnes Schurztuch nackte Puppe, – auf dem Flügelklavier, – und auf den Bildern, die die Wandfläche unterbrachen, nämlich dem ›Pferdemarkt‹, der ›Flucht der Liebenden vor dem Gewitter‹, Maxfield Parrish's ›Morgendämmerung‹ und Lionardos ›Abendmahl‹ ... »O ja«, sagte sie, »wenn Sie ein stilles Familienleben suchen, dann wartet hier immer ein Willkommen auf Sie. Wir drei hier im Haus sind immer füreinander da, und in unsrer Familie hat niemand Geheimnisse vor dem andern.«

Wenn dies wahr wäre, dachte Eugen, müßte es fürchterlich sein. Ein schneller Blick auf Genevieve und Mama jedoch überzeugte ihn, daß diese beiden einander nicht alles sagten. Eine verrückte Heiterkeit begehrte in ihm auf, eine altbekannte, ihn immer wieder anfallende Lust, eine Bombe in ein Lager zu werfen, um einmal zu sehen, wie so etwas auf die Gemüter wirkt ... oder aber die mörderischsten Meinungen mit liebend-sanfter Christenstimme zu verkünden, mit der allerliebenswürdigsten Sachlichkeit, so als spräche er nur das aus, was alle vernünftigen Leute denken ... wüste, lose, anstößige Dinge zu äußern mit einem fein vorgespiegelten, sozusagen herzensaufrichtigen Knabenernst. Und so sagte er denn mit einer von der burlesken Anwandlung schwerbelegten Stimme: »Ich danke Ihnen, Mrs. Simpson, ich danke Ihnen vielmals. Sie können sich wohl kaum vorstellen, was es für mich bedeutet, in so ein Heim wie das Ihre kommen zu dürfen.«

»Ich weiß«, sagte Genevieve mit feiner Teilnahme. »Wenn man tausend Meilen von zu Hause fort ist ...«

»Tausend!« rief er bitter auflachend. »Tausend! Sagen Sie lieber eine Million!« Und nun wartete er quietschvergnügt, ob sie anbeißen würden.

»Aber – – aber Sie sind doch in den Südstaaten zu Haus, nicht wahr?« erkundigte sich Mrs. Simpson nun so, als ob es da vielleicht etwas zu bezweifeln gäbe.

»Zu Haus! Zu Haus!« blökte er rauhlachend. »Ich habe kein Zuhause! Kein Heim.«

»Ach, Sie Armer«, sagte mitfühlend Genevieve.

»Aber – – Ihre Eltern – –? Sind sie beide tot?«

»Nein«, antwortete er, tieftraurig lächelnd. »Sie sind beide am Leben.«

Es entstand eine vielsagende Stille.

»Sie leben nicht zusammen«, fügte er nach einem Augenblick hinzu aus dem Gefühl heraus, daß er sich auf ihre Fähigkeit zu folgern nicht verlassen könne.

»O-o-oh!« machte Mrs. Simpson bedeutungsvoll. Sie ließ den Vokal über die Tonleiter laufen. »O-o-oh!«

»Unausstehliches Wetter, nicht wahr?« bemerkte er nun absichtlich. Er langte sich eine Zigarette aus der Tasche. »Wenn es nur schneien wollte! Ich mag den Winter hier im Norden gern. So, wie ihn nur ein Mensch aus dem Süden gern mögen kann. Wissen Sie, ich mag das so gern, wenn nachts alles verstummt und vermummt und in Schnee eingehüllt ist. Und dann mag ich gern ein warmes, schön abgeschlossenes Haus unter hohen Föhren, die Vorhänge zugezogen und ein gedämpftes Licht, und Bücher um mich herum und eine schöne Frau in der Stube. Das sind so ein paar von den Sachen, die ich gern mag.«

»Herrjeh!« sagte der Sohn des Hauses und lehnte den blonden Dickkopf gespannt nach vorn. »Sagen Sie mal, was war denn da los?«

»Aber Jimmy! Sch-sch!« rief Genevieve. Trotzdem blickten sie nun alle drei den Gast wißbegierig an.

»Was los war?« fragte Eugen, so als verstünde er die Frage nicht. »Ja, was soll denn losgewesen sein?«

»Ei, mit Ihren Eltern?«

»Ach so!« erklärte er gleichgültig. »Er hat sie geschlagen?«

»So-o! Mit der Faust!«

»O nein! Gewöhnlich nahm er seinen dicken Spazierstock aus Walnußholz. Das wurde ihr schließlich zu viel. Meine Mutter war auch damals schon keine junge Frau mehr. Beinah fünfzig. Da konnte sie denn einfach nicht mehr so dagegen aufkommen wie in ihren jungen Tagen. Diese letzte Nacht werd' ich im Leben nicht vergessen«, sagte er gleichsam geistesabwesend und starrte in die Kohlenglut im Kamin. »Ich war damals erst sieben, aber ich erinnere mich noch genau an alles. Mein Vater war betrunken, der Bürgermeister hatte ihn heimgebracht ...«

»Der Bürgermeister?«

»Ja«, sagte Eugen, »die beiden waren gute Freunde. Der Bürgermeister hat ihn, wenn er betrunken war, oft heimgebracht. Aber an jenem Abend war Papa heftig betrunken, und als der Bürgermeister weggegangen war, fing Papa an zu toben. Alles im Haus, was ihm in die Hände kam, schlug er kurz und klein, und er schrie und fluchte und lästerte Gott, so laut er nur konnte. Meine Mutter blieb ruhig in der Küche, und als er dort eintrat, zollte sie ihm überhaupt keine Aufmerksamkeit. Das natürlich machte ihn rasend. Er ergriff einen Schürhaken und ging auf sie los. Und da merkte sie denn, daß er ihr zuleibe wollte, aber schließlich war sie sich wohl längst klar darüber gewesen, daß ein solcher Augenblick einmal für sie kommen würde. Sie war nicht unvorbereitet. Sie zog das Mehlgefach in der Küchenkommode auf und ergriff ihren Revolver ...«

»Sie hatte 'nen Revolver!?«

»Ja freilich«, bestätigte Eugen leichthin. »Ein Weihnachtsgeschenk von meinem Onkel Will. Onkel Will nämlich kannte meinen Vater gut genug, und so schenkte er meiner Mama das Ding und sagte ihr, es könne ihr mal recht gelegen sein, es im Hause zu haben. Tatsächlich mußte dann Mama dreimal auf Papa feuern, bis er Vernunft annahm.«

Es entstand eine Stille.

»Herrjeh!« sagte der Sohn des Hauses schließlich. »Hat sie ihn getroffen?«

»Getroffen nur einmal«, behauptete Eugen und warf seine Zigarette ins Feuer. »Eine Fleischwunde am Bein. Eine Kleinigkeit. In einer Woche schon konnte er aufstehn und wieder 'rumgehn. Aber freilich war Mama dann schon aus dem Haus fortgegangen.«

»Na«, erklärte Mrs. Simpson nach längerem Schweigen. »So etwas habe ich nicht ausstehn müssen.«

»Dem Himmel sei Dank, nein«, sagte Genevieve heftig. Und dann fragte sie neugierig: »Ist Ihre Mutter nicht Mr. Pentlands Schwester?«

»Ja.«

»Und der Onkel, der ihr den Revolver gab, ist dann wohl ein Bruder von Mr. Pentland?«

»Ja, ja«, beeilte sich Eugen zu bestätigen. »Das ist ein und dieselbe Familie, meine Verwandten mütterlicherseits.« Das Grinsen kribbelte ihm in den Eingeweiden, als er an seinen Onkel Bascom dachte.

»Mr. Pentland macht den Eindruck eines hochgebildeten Mannes«, sagte Mrs. Simpson, der sonst nichts zu sagen einfiel.

»Wir lernten ihn kennen, als wir nach einem Haus zum Wohnen suchten«, fügte Genevieve hinzu. »Er war reizend zu uns. Er erzählte, er wäre früher Geistlicher gewesen.«

»Ja«, sagte Eugen. »Er war ein Mann Gottes, war es über zwanzig Jahre. War wirklich einer der beredsamsten, leidenschaftlichsten und begabtesten Seelenretter, die je den Herzen der zahllosen Sünder amerikanischer Nation Angst eingejagt haben. Ich weiß in der Tat niemanden, mit dem ich ihn vergleichen könnte, es sei denn, ich griffe drei Jahrhunderte zurück auf den Puritanerprediger Jonathan Edwards, der mit einer Stimme, die still war wie das eintönige Fallen von Wassertropfen, ein solches Bild vom Höllenfeuer zu malen wußte, daß die phantasiebegabteren unter den religiösen Eiferern auf der vordersten Kirchenbank sichtbare Blasen auf die Haut bekamen. Edwards' Predigten jedoch dauerten nie unter zweieinhalb Stunden, mein Onkel Bascom dagegen mit seiner verrückten und verzückten Zunge hat es fertiggebracht, in genau siebenundzwanzig Minuten nach der Uhr Menschen vor Entsetzen in den Wahnsinn zu treiben. Es gibt jetzt noch in verschiedenen Irrenhäusern Leute, die er dorthin gebracht hat«, versicherte Eugen fromm. »Ich hoffe übrigens«, setzte er schnell hinzu, »daß Sie ihn nicht gefragt haben, warum er den geistlichen Beruf aufgab.«

»O nein«, sagte Genevieve. »Das haben wir nicht gefragt.«

»Warum tat er's denn«, fragte Mrs. Simpson rundheraus. Sie spürte sehr wohl, daß sie jetzt nur noch zu fragen brauchte, um Auskunft zu bekommen. Und hierin wurde sie nicht enttäuscht.

»Es war der jahrhundertealte Konflikt zwischen der organisierten Autorität der Kirchen und dem Individuum«, erklärte Eugen. »Sie haben das ja ganz ohne Zweifel auch in Ihrem eignen Leben gespürt. Mein Onkel Bascom war ein Dichter, ein Denker, ein Mystiker, er hatte die Seele eines Künstlers, das heißt eines Menschen, dem das Wesen der göttlichen Liebe und das ewige Schönheitsideal in der körperlichen Wirklichkeit begegnen. Und ein Mann wie er konnte sich freilich nicht von der kleinlichen Tyrannei kirchlicher Konvention Fesseln anlegen lassen. Ein Künstler muß eben lieben und geliebt werden. Er muß im Fluß der Dinge treiben, er muß ständig bewegten Wesens am rhythmischen Auf und Ab der Lebensurkraft teilhaben. Das empfand nun niemand besser als mein Onkel Bascom, als er zum erstenmal die Altistin aus dem Kirchenchor zu Gesicht kriegte.«

»Altistin«, jappte Genevieve.

»Nun, vielleicht hat sie auch Sopran gesungen«, meinte Eugen. »Das ändert ja nichts an der Tatsache, die kurz gesagt die war, daß sie lebten, liebten und ihre kleine Glücksstunde hatten. Aber dann, als das Kind kam ...«

»Das Kind!« rief Mrs. Simpson.

»Ein strammer Junge. Wog etwas über elf Pfund bei der Geburt. Gegenwärtig ist er Kapitänleutnant in der Kriegsmarine.«

»Und was ist – – aus ihr geworden«, fragte zögernd Genevieve.

»Aus wem, meinen Sie?«

»Aus der – – der Altistin?«

»Sie starb. Bereits im Wochenbett.«

»Aber – – aber Mr. Pentland?« erkundigte sich Mrs. Simpson.

»Hat er sie denn nicht ge – – geheiratet?«

»Wie konnte er denn?« fragte Eugen mit der Gemütsruhe des gebornen Logikers. »Er war doch schon mit jemandem andern verheiratet.« Er warf plötzlich den Kopf zurück und sang ein Stück aus einem beliebten Liedchen: »›Du weißt ja, ich bin in 'ne andre verliebt, so laß mich denn bitte in Ruh!‹«

»Na, aber wirklich nie im Leben ...«, sagte Mrs. Simpson und starrte stumpf ins Feuer.

»Na, aber wirklich kaum je im Leben ...«, sagte Eugen in einem nachgeahmten Operettenstil. »... ja, kaum je hat sie das große, große B gekriegt.« Er quetschte ganz hinten aus der Gurgel singend heraus: »O ja! O-ja-ah! In der Ta-a-t!« Und verfiel dann unmittelbar in eine tiefe, launische Geistesabwesenheit, freilich nicht ohne hochbeglückt zu bemerken, daß Genevieve und ihre Mutter ihn von der Seite mit verstohlenen, ängstlich-bestürzten Blicken ansahen.

»Sagen Sie mal«, begann der Sohn des Hauses nun, nachdem er die letzten zehn Minuten stumpf, die kräftigen Kinnbacken auf die Faust gestützt, dagesessen und sich auf eine Frage besonnen hatte. »Was ist eigentlich aus Ihrem Vater geworden? Er ist doch noch am Leben?«

»Nein«, sagte Eugen, »er ist noch am Sterben!«

So war er nach einer kurzen Pause in die Welt der Tatsachen zurückgekehrt. Er nahm nun die Familie unter das Feuer seiner heftigen, mit Entsetzen erfüllten Blicke.

»Er hat nämlich Krebs«, erklärte er, und dann, einen Augenblick später, fügte er abschließend hinzu: »Mein Vater ist ein sehr großer Mensch.«

Die Simpsons sahen ihn vollkommen fassungslos an.

»Herrjeh«, meinte der Sohn des Hauses nach einem Weilchen. »Der ist ja noch schlimmer als unser Alter.«

»Jimmy! Jimmy!« zischte Genevieve verletzt.

Und nun entstand eine sehr lange und für die Familie Simpson sehr peinliche Gesprächspause.

»Aha! Aha!« machte Eugen. Ihm war der Kopf voll von Ahas.

»Sie müssen es wohl als sonderbar empfunden haben ...«, begann Mrs. Simpson nun und gab einen kleinen, geborstenen Lachlaut von sich, der sorglos-weltläufig klingen sollte. Nun hatte sie sich über die Sache hinweggesetzt und nahm den Faden wieder auf: »... ich meine insofern, als Sie nie Mr. Simpson bei Ihren Besuchen hier angetroffen haben ... nicht wahr?«

»Jawohl«, gestand Eugen bereitwillig ein, durchaus unaufrichtig, denn er hatte nie so etwas empfunden oder gedacht. Im selben Augenblick schoß es ihm durch den Kopf, daß die meisten Mitbürger meistens gerade an solcherlei Dinge denken. Und plötzlich kam er sich vor der geschlossenen Kampffront, die sich zur Verteidigung des guten Rufes der Familie wehrhaft zusammengefunden, ausgesperrt und einsam vor. Er sah sich im Geiste von draußen durch ein Fenster auf diese drei hereinblicken und ihm schien, eine sagbare Beziehung zu dieser Art von umhegtem Gruppendasein bestünde für ihn nicht, könne für ihn nie bestehen.

»Mutter hat vor einigen Monaten beschlossen, nicht länger mit Vater zu leben«, sagte Genevieve trauervoll-würdig.

»Aber sicher!« vermeldete der Sohn des Hauses freiwillig. »Nachdem der Alte doch mit 'ner andern Frau zusammen lebt.«

»Jimmy!« zischte Genevieve heiser.

In Eugen blitzte auf einen Nu ein humoriges Einverständnis mit dem davongegangenen Mr. Simpson auf. Dann sah er der verlaßnen Gattin in das weiße, zanksüchtige Gesicht, und sie tat ihm leid. Diese Frau war mit sich selber schon genug gestraft.


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