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XLIV

Als sie auf die Straße hinauskamen, war es schon Abend. Es war gegen sechs Uhr, die Laternen waren angegangen, und an den Menschen, die vorübergingen, und den Autos, die dann und wann vorbeifuhren, war eine eilige, trauervolle Abschiedlichkeit wie vom Atem des Herbsts, wie von welkem, windgeregtem und davonschnurrendem Laub.

Die Brüder schwiegen und sahen auch einander nicht an. Eugen ging gesenkten Hauptes, er hatte den Hut bis tief in die Augen heruntergezogen. Seine Lippen waren puffig und verschwollen, sein linkes Auge konnte er nicht mehr aufmachen, es war eine blaue, blinde, sackartig gedunsene Beule. Sie kamen unter das hartweiße, grelle Licht einer Laterne, sie blieben eine Minute lang stehn, und wie von einem düstern Instinkt getrieben, wandten sie sich einander zu und sahen einer dem andern mit dem strengen, wehrlosen Blick der Scham und des Kummers ins Gesicht. Lukas betrachtete den Bruder eine Sekunde lang, sein Gesicht war ernst, und er fragte freundlich:

»Wie geht's mit Deinem Auge, Eugen?«

Eugen sagte nichts. Dumpf und stät blickte er mit dem einen guten Auge dem Bruder ins Gesicht. Lukas starrte die gräßliche, dicke, blaurote Beule um das schlimme Auge an, fing plötzlich an zu fluchen, wandte sich zum Gehn.

»Die-die-diese dreckigen Bastarde!« sagte er. »Und ich habe diese verdammte Bande hier in Süd-Karolina immer für z-z-z-ziemlich anständig gehalten!« Er knirschte mit den Zähnen und wandte sich an Eugen:

»W-wa-was haben sie denn dort drin mit Dir angef-f-fangen? Ich muß wissen, was los war.«

»Ich glaub', das war unvermeidlich«, murmelte Eugen. »Wir waren alle schwer besoffen und sind bestimmt viel zu schnell gefahren. Damit Du's weißt, 'rausreden möchte ich mich nicht.«

»Das versteht sich«, sagte Lukas ruhig. »Und das ist nun erledigt, und es ist sinnlos, sich weiter darüber aufzuregen. Du bi-bi-bi-bist gewiß nicht der erste, dem so was passiert ist. Also vergessen wir das!« Er schwieg einen Augenblick und fragte dann streng. »A-a-a-aber wenn diese Bastarde D-dich geschlagen haben sollten, dann m-m-m-möchte ich das genau wissen.«

»Auch deswegen mucke ich nicht auf«, murmelte Eugen, der sich schämte, dem Bruder von seinem Kampf mit den Schutzleuten zu erzählen. »Ich glaub', das war unvermeidlich. Aber da war eine Sache, die sie mir anzutun sicher kein Recht hatten. In den Nordstaaten war das was anders gewesen, aber hier in diesem Staat haben sie, glaub' ich, nicht das Recht, einen Weißen mit einem Nigger in dieselbe Zelle zu sperren.« Ein bitterer Groll war in ihm hochgekommen, als er der Sache gedacht hatte.

»Da-da-das haben sie Dir angetan?« schrie Lukas erregt, blieb stehn und wandte sich halb um.

»Ja, sie haben es versucht«, sagte Eugen und erzählte dann, was vorgefallen war.

Lukas machte stracks kehrt und schob, bitter fluchend, zurück in Richtung auf die Polizeiwache.

»Komm doch!« rief er.

»Wo willst Du denn hin?«

»Dorthin und den Ba-ba-bastarden die Meinung sagen.«

»Nein! Nicht! Hör doch!« Eugen packte den Bruder am Arm. »Sie werden uns nur wieder einsperren! Sie haben uns in der Gewalt, und wir müssen's hinnehmen! Gehn wir nicht hin! Laß uns lieber so schnell wie möglich aus dieser verdammten Stadt wegfahren! Ich will das Nest nie im Leben wiedersehn!«

Lukas hielt inne. Er stand unschlüssig da und fuhr sich wütend durchs Haar.

»Also schon gut«, entschied er schließlich. »Wir fahren weg ... Aber bei Gott!« Seine Stimme wurde plötzlich laut und wild, er hob die Faust und schüttelte sie in Richtung auf die Polizeiwache. »Ich komme zurück. Ich habe seit Jahren hier in der Stadt geschäftlich zu tun gehabt. Ich hab' F-f-freunde hier, die gottverdammt genau den Grund erfahren werden, warum ein Junge hier von den Bullen geschlagen und mit 'nem Nigger z-z-zusammen in 'ne Zelle gesperrt werden sollte. Ich werde mich um diese Sache bekümmern und nicht ablassen. Und wenn's mein ganzes Leben lang dauern sollte!« Dann wandte er sich an Eugen und sagte kurzangebunden: »Schon gut, Eugen. Komm! Fahren wir!«

Ohne weiter ein Wort zu verlieren, gingen sie die Straße entlang bis zu dem Platz, wo Lukasens Wagen geparkt war.

»W-w-wo willst Du hinf-f-fahren, Eugen?« fragte Lukas. »R-r-rüber zu D-d-daisy?«

Eugen schüttelte den Kopf. »Nein«, erklärte er mit dicker Stimme. »Heim. Heim. Nur weg von hier. Ich muß jetzt heim.«

Lukas schwieg einen Augenblick. Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »V-v-vielleicht hast Du recht«, murmelte er schließlich.


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