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Erstes Buch
Orest: Flucht vor der Wut

... vom immerwährenden Wandern und abermals von der Erde ... von der Aussaat, der Blust und dem fallmürben Herbst. Und von Blumen, den großen, den üppigen, den seltsam unbekannten Blumen.

Wo rasten die Wegmüden? Wann kehren die Einsamen heim? Wer von uns findet seinen Vater und kennt ihn am Gesicht? Wann wird das sein, wo und in welchem Land? Wo? Dort, wo die Wegmüden ruhen können, wo die Herzmüden Frieden finden können, wo der Aufruhr und das Fieber und das Getriebe auf immer erstummt sind.

Wer besitzt denn die Erde? Haben wir sie gewollt, um auf ihr zu wandern? Haben wir ihrer bedurft, um nie auf ihr still zu sein? Wer der Erde bedarf, soll sie haben. Er soll still sein auf ihr; in einem Erdfleck soll er ruhn, in einem Erdeckchen auf immer hausen.

Hat er geglaubt, ihm seien tausend Zungen vonnöten, so daß er deshalb auf die Suche ging durch den Lärm und Schreck von tausend tobenden Straßen? Keine Zunge mehr soll er vonnöten haben, denn einer Zunge bedarf er nicht, um still zu sein mit der Erde. Kein Wort mehr soll er sprechen mit wurzelfasrigem Mund; das kalte Aug der Schlange wird auslugen für ihn aus den Höhlen des Schädelbeins; das Herz, dem der Weinstock entquillt, schreit keinen Schrei.

Die Tarantel kraucht durch die verwitterte Eiche; die Natter lispelt gegen die Brust, Trinkschalen fallen ... auf immer aber dauert die Erde. Die Blume der Liebe lebt in der Wildnis; und Ulmwurzeln umklammern die Gebeine begrabener Liebespaare.

Die tote Zunge verwest, es verrottet das tote Herz, blindes Gewürm frißt sich durchs Fleisch der Begrabenen ... auf immer aber dauert die Erde. Das Haar auf der Brust des Begrabenen hat ein Wachstum wie der April, und aus den Höhlen des Schädelbeins kommen die Todesblumen, die unverderblichen, auf.

O Blume der Liebe, deren Lippen uns tranken unterwärts in den Tod, ding-ferne, ding-flüchtige Du, die unsere zwanzigtausend Tage bezaubert! – ins Hirn schießt Wahnsinn und das Herz krampft sich und bricht bei deinem Kuß! – Ruhm aber, Ruhm und abermals Ruhm! Du überdauerst! – Unsterbliche Liebe – allein und gepeinigt in der Wildnis schrien wir nach Dir; abwesend warst Du uns Einsamen nicht.


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