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LXIV

Joel und Eugen fuhren nicht mit Mrs. Pierce und deren Gästen zurück; sie machten statt dessen einen Spaziergang durch die Felder und Wälder auf den Hängen des großen Besitztums. Es war ein heißer Tag, die Fluren brüteten im mächtigen, kleeduftigen Brodem des Nachmittags, die Gehölze waren dicht und geheimnisvoll verworren, ungemein still und grün und unglaublich von Dunkelheiten durchschummert, und ihre Stille war eine geruhsam brütende Stille, durchschallt vom Vogelgetön, durchschwirrt von hurtig-schnellem Flügelgeschwirr, durchgluckert vom kühlen, heimsucherischen Gesang verborgner Bäche.

Es war die wilde, süße, zufällige, unbändige und unfaßlich holde Erde Amerikas und der Wildnis, und sie suchte die beiden heim wie Legenden, sie durchdrang sie wie ein Schwert, sie erfüllte sie mit einer Ahnungsfreudigkeit, die wie Schmerz und Lust zugleich war.

Sie stiegen bergan durch einen wildwüchsigen Wald, dann ging der Pfad bergab in ein grünes, kühles, heimliches, umlaubtes Hangtal, dann stiegen sie abermals bergan durch die wilde stille Musik des Waldes und traten hinaus ins Freie; da lagen prächtig-breit hingefläzt die ungemähten Äcker, lebendig in all ihrer brütigen Fruchtbarkeit, mit der machtvollen, stummen Lebenskraft, die die heiße, starkriechende Erde um drei Uhr nachmittags hat, mit ihrem schläfernden, bebend durchlallten Geraun. Vom Boden stieg die Hitze auf; Gräser und Kräuter rochen stark; auf den Pfaden und Pfädchen, wohin immer die beiden den Fuß setzen mochten, schwirrten Millionen kleiner, singender Wesen auf; heiße, trockne Stauden streiften die Knie, und die Erde unter den Sohlen antwortete bei jedem Tritt mit einem festen, gleichmäßigen, federnden Gegendruck, mit einem schollenklumpigen Widerprall.

Einmal sahen sie vor sich auf einem Acker einen dichtbelaubten Baum im vollen hitzigen Licht stehen; die Sonne schien auf die Blätter, die gleichsam versengt und nackt und nicht mehr grün und durchsichtig waren, und Joel, der den Baum betrachtete, wisperte nachdenklich:

»... Hm ... Sieht gut aus, das – ich meine, wie das Licht auf diesen Baum fällt. – Das wäre sicher nicht leicht zu malen. Ich möcht' mal herkommen und es versuchen.«

Eugen pflichtete bei, jedoch mit dem Gefühl einer gewissen, unnennbaren Verlassenheit im Herzen, die dieses breite, nackte Licht, diese weiße, eisblockartige Undurchsichtigkeit der brutalen Helle in ihm auslöste. Ihn verlangte mehr nach den laubigen Gehegen, dem grüngoldnen Zauber des Grases unter Baum und Gebüsch, dem waldigen Schummer mit seinem Geschwirr und seiner anheimelnden Verworrenheit und der klingenden, singenden Stille verborgner kleiner Bäche.

Diese schwellende, achtlos hingebreitete, edel-üppige Erde war ständig heimgesucht vom schläfernden Bann der Zeit, dem unergründlichen Geheimnis elfischen Zaubers und der erhabnen Traumbeschwörung des geheimnisvollen, unsterblichen Stroms. Diese Erde war so, wie er sie als Kind in Gesichten geschaut hatte, und er beging sie mit den Empfindungen des Sichwunderns und des glorreichen Entdeckens, aber dennoch unüberrascht, nämlich ganz so wie einer, der zum erstenmal in seines Vaters Heimat kommt, und dort alles so findet, wie er es von je gewußt und gekannt und vorhanden geglaubt hat.

Und schließlich: – die ganze Lage und Anlage dieser Erde, dieses zufällige und machtvolle Hingeworfensein der großen Äcker, diese dichten, stillen, von Vogellauten durchschallten Gehölze, die fernen Hügelzüge, die traumhaft in die Zeitlichkeit hinüberschwangen, und beschwörerisch mitten in der Landschaft der blanke Strom, das Zauberband, das durch die Fluren dahinzog, von dem alle Berge anstiegen, dem alle Berge sich zuneigten, – das sprach alles die unaussprechliche Sprache dessen, was er immer von Amerika gedacht, gespürt und gewußt hatte, das entsprach seinem Vorstellungsbild von einer riesenhaften Pflanzung, deren Scholle mit verschwenderisch trächtiger Fülle herrliche Männer nährt und mit ungeheurer, gedrängter Süße blendende Frauen reicher macht, seinem Vorstellungsbild von einem Amerika, das so beiläufig und zufällig hingebreitet war, so reich und grenzenlos und frei, so heimgesucht von dunkler Zeit und Magie, so freudig schmerzerfüllt über die bittre Kürze unsrer Tage, so jung, so alt, so immerdardauernd, ein triumphanter Ort, wo der Mensch die gute Erde haben und seine Erfüllung auf ihr finden solle und das schicksalsschönste, beste und glücklichste Leben, das je und irgend erkannt ward. Und diese Erde verwandelte sich ständig, sie zog vorbei, sie wallte und wogte im Umkreis mit grenzenlosem Schwall und faltete sich auf in ihrer leidenschaftlichen Vielfalt, und sie war seltsamer in ihrer heimsuchenden Holdheit, als es Träume und Magie sein können, und dabei dennoch näher als der Morgen und tatsächlicher als der Mittag.

Es war ein heißer Tag. Die beiden jungen Männer gingen in Hemdsärmeln und hatten ihre Röcke über die Schulter geworfen. Gegen fünf Uhr, als sie sich dem Ausgangspunkt wieder näherten und auf die Waldsenke zukamen, in der Mr. Joels Haus stand, wandte sich Joel, das hagere Gesicht leicht errötet vor Verlegenheit, an Eugen und sagte:

»Hör' mal, – macht Dir's was aus, Deinen Rock anzuziehen, wenn wir vor Großvaters Haus vorbeigehn? Wenn wir außer Sicht sind, kannst Du ihn ja wieder ausziehen.«

Eugen sagte nichts, sondern tat stillschweigend, worum ihn der Freund bat. Und so gingen sie denn korrekt angezogen vorm großen weißen Haus des Alten vorbei, und dann kamen sie über eine kleine Holzbrücke und stiegen bergan aus der Senke auf einem schmalen Waldpfad, der in der Nähe von Miss Telfairs Haus auf die Fahrstraße einmündete, denn Miss Telfair hatte sie zum Tee eingeladen.

Auf eine merkwürdige und unerklärliche Weise konnte sich Eugen später nicht mehr der Gespräche erinnern, die er mit Joel auf diesem Spaziergang geführt hatte. Nur zwei Dinge blieben ihm im Gedächtnis haften: – die Art, wie Joel mit zusammengekniffenen Augen, abschätzend wie ein Maler, jenen vom Goldlicht versengten Baum ansehend gesagt hatte, das sähe gut aus und er möchte es einmal zu malen versuchen, – und dann die verlegne, aber beinah störrisch entschiedene Art, in der Joel ihn gebeten hatte, seinen Rock anzuziehen, während sie vor »Großvaters Haus« vorübergingen. Eugen wußte nicht warum, aber diese einfache Bitte hatte einen schnellen, heißen Groll in ihm wachgerufen, einen Wunsch zu sagen:

»Guter Gott! Was für ein Götzendienst ist denn das? Der Alte ist doch sicher aus derselben Erde gemacht wie wir, so groß und selten und fein wird er doch nicht sein, daß er den Anblick zweier junger Männer in Hemdsärmeln nicht ertragen kann! ... Da ist doch bestimmt etwas falsch, unmenschlich und schnöd an dieser Art Reverenz – keine wirkliche Rücksichtnahme, keine anständige Bewunderung, Verehrung oder Ehrfurcht, sondern etwas Grausames, Leeres, Wertloses und Unaufrichtiges, etwas, was der Liebe, dem Werthalten und der Freundlichkeit gegen einen Menschen widerspricht.«

Solche Worte lagen ihm auf den Lippen, denn er empfand diesen Akt der Reverenz anmaßend und verächtlich und verspürte einen schnürenden Groll, einen blinden Ärger auf den alten Mr. Joel und dessen großartiges, bärbeißiges Gehaben. Es drängte Eugen auch, auf die Unterredung vor Tisch zurückzukommen und Joel zu fragen, was zum Teufel er denn von dem Alten hielte, der so von oben herab Männer als »Gentlemen« anerkennen oder als »nichtige Wichte« verurteilen zu können glaubte, – wer zur Hölle denn dieser verdammte Ehrengreis, dieser putzige Hüter der Geisteshorte wäre, daß er sich anmaße, Leute, die ihm überlegen seien, kurzerhand abzutun und Rousseau einen »Schurken« und Musset und Byron »niedrige Wichte« zu nennen.

Und so kindisch, töricht und unvernünftig dieser blinde Ärger auch war, Eugen erinnerte sich später jener beiden nebensächlichen Vorfälle auf diesem Spaziergang mit einem Gefühl des Bedauerns und des namenlosen Verlusts; – Joels Gehaben, einmal das schnöde, freudlose Interesse in der undurchsichtigen Dichte des Lichts auf einem Baum, das andremal die schnöde, freudlose Reverenz vor dem Alter und einer nicht menschenwürdigen Konvention, schienen Eugen den Beginn seiner allmählichen Trennung von seinem Freund zu bezeichnen, das dumpfe, unerklärliche und beklagenswerte Hinnehmen einer schicksalsgegebenen Verschiedenheit. Hier habe für ihn, dachte Eugen später, jene langsame und irgendwie verzweifelt schmerzliche Erkenntnis angefangen, daß die zaubrische Welt des Wohlstands, der Liebe und der Schönheit, der lebendigen Erfüllung und der trächtigen Macht, die er als Kind in seinen Träumen von den fabulös Reichen am Hudson River geschaut hatte, nicht bestand, und daß er, Eugen, auf seiner Suche nach dem großen Leben fremdere, dunklere, schmerzvollere und wirrsäligere Wege gehn müsse, als er es als Kind geträumt hatte, und daß er wie Moses Wasser aus dem gemeinen Fels des Daseins springen lassen, wie Simson Honig aus dem Löwenrachen der großen Welt holen müsse, und daß ihm geboten sei, die Lebensfreude, nach der ihn gelüstete, im blinden Schwarm und in der brutalen Taubheit der Straßen zu finden, Güte und Wahrheit in den dürftigen Herzen gewöhnlicher Menschen und die Schönheit am einzigen Ort ihrer Auffindbarkeit, nämlich untrünnig versponnen, verspannt und einbezogen in das große Weben aus Entsetzen, Schmerz, Schweiß und bittrer Angst, in das große Webewerk aus blinder Grausamkeit, Haß, Schmutz, Lust, Tyrannei, Ungerechtigkeit, aus Freude, Glaube, Liebe, Mut und Hingabe, das das Leben ausmacht und die Welt zusammenhält.

Es war ein schnöder Verlust, ein grauenhaftes Eingeständnis, eine grausame Entdeckung für Eugen, zu wissen, daß all die heimsucherische Herrlichkeit dieser verwunschenen Welt, die er am Abend zuvor entdeckt zu haben wähnte, das gewesen war, als das sie ihm nun erschien, – Mondmagie –, und zu erkennen, daß diese Welt für ihn auf immer vergangen war. Es war eine bittre Pille, die er zu schlucken hatte mit der Erkenntnis, daß all das, was ihn im Augenblick der Entdeckung so großartig, so stark, so richtig, so unvermeidlich gedünkt hatte, nun für ihn verloren war, – daß irgendein blinder chemischer Vorgang gemüthafter Art, ein Vorgang im Erdstoff, aus dem alle Menschen gemacht sind, ein Vorgang im Lehm, aus dem sein, Eugens, Vater geformt war, ihm, Eugen, genommen hatte, was er zu besitzen schien, – und daß er nun nie wieder imstand sein würde, dieses verwunschene Leben zu seinem eignen zu machen oder je wieder an dessen Wirklichkeit zu glauben. Es war eine verzweifelte und die Seele krankmachende Entdeckung, zu wissen, daß die Menschen nicht allein mit Mondlicht, Magie und den strahlenden Wahrbildern ihrer Herzenswünsche Amerika finden können, sondern daß irgendwo dort viel dunkler und fremdartiger als der Strom das Gesuchte liegt, in der schmutzigen, unaufhörlichen Dschungel der Großstädte begraben, in Wüsten schleichend und halbverrückt vor Hunger in Brachlanden tobend, rostig und rußig und verdreckt in großen Fabriken und Werkstätten, verzerrt, gekrümmt und mit Narben bedeckt, bestürzt und betäubt von der Unzahl seiner Irrtümer und seinem blinden Tasten, aber trotzdem noch heftig lebendig, noch hungerwild und noch im Kampf mit der furchtbaren Erde, der ungebändigten Wildnis, die zerbricht, schlägt und verschlingt, – und daß er, Eugen, noch irgendwie, Gott weiß wie, ein Teil sei dieses Wesens, das ihn bis ins kleinste Teil von Blut und Hirn bedräng, das unzerstörbar auf immerdar dauerte, und das Amerika war.

 

Das Haus der Miss Telfair, wo Joel und Eugen nun anlangten, entsprach genau der Vorstellung, die man sich vom Heim einer Frau wie Miss Telfair machen würde. Überall, wo man auch hinsah, sah man die Persönlichkeit der Hausherrin ausgedrückt, – und die Persönlichkeit der Hausherrin war fragil, exquisit, elegant und elaboriert minuziös. Trotz seiner anmutigen, schlichten Proportionen war dieses Haus kein durchaus bequemer Aufenthaltsort. Es war angefüllt mit zehntausend kleinen Dingen, zehntausend kleinen, zerbrechlichen, kostbaren, schönen und vollkommen nutzlosen Sächelchen, und die Fülle dieser Sächelchen war so groß, und alle diese Sächelchen standen jedes genau an dem ausgesucht richtigen Platz, und diese ausgesuchten Plätze waren alle so unmittelbar und überwältigend nah, daß man sich sofort eingeengt, bedrängt und unbehaglich vorkam und furchtbar Angst hatte, man könne mit einer etwas freien und großzügigen Körperbewegung tausend seltene und maßlos kostspielige Sammelsächelchen mit einem Krach in Scherben zersplittern, und dann wäre dieser von einem lebenslänglichen Eifer zusammengetragene Schatz unwiederbringlich verloren, und somit wären auch Leben, Werk und Zukunft des Missetäters unwiederbringlich in einem blind vernichtenden Augenblick verpfändet, zerschmettert und zum Wrack gemacht. Kurz gesagt, im schönen, erlesenen und mit Spielzeug vollgestellten Heim der Miss Telfair kam man sich vor wie ein delikater, sensitiver, intelligenter und hochorganisierter Bulle in einem unheimlich teuren Porzellanladen, und grausamerweise war diese Vorstellung noch stärker, wenn man dreiundzwanzig Jahre alt und sechseinhalb Fuß hochgewachsen war, die großen Hände und Füße und die langen Arme und Beine hatte, die zu einer solchen Zweimetergestalt gehören, und obendrein noch peinlich verlegenen Wesens war, zu plötzlichen, unberechenbaren Körpergebärdungen neigte und überhaupt auf dieselben Drähte gespannt und gezogen war wie ein Rennpferd.

Es war ein erstaunlicher Ort, und dieses Heim war so exquisit feminin, wie man's sich nur vorstellen kann. Da brauchte man sich bloß einmal umzugucken, und da wußte man, hier habe nie ein Mann gewohnt, und Männer hatten hier nur besuchsweise geweilt; und irgendwie merkte man auch, weshalb Miss Telfair nicht geheiratet hatte, nämlich einfach deshalb, weil sie keinen Mann ›im Haus herum‹ haben wollte, denn so ein unausstehliches, plumpes Mannsgeschöpf wäre in diesen Zimmern herumgeschoben wie ein Bulle, hätte Vasen umgeworfen, hätte so ein kleines, feines Tischchen mit all den köstlichen Nippsächelchen drauf umgestoßen, hätte sich auf den wollüstig-weichen, elegant angeordneten Pfühlen des Sofas herumgeräkelt, hätte bei einem Griff nach der Zündholzschachtel auf dem Kaminsims ein halbes Dutzend Ührchen aus dem achtzehnten Jahrhundert, mehrere Teller und ein paar Porzellanschäfer umgeschmissen, hätte sich gar mal auf so einen zerbrechlichen, schönbemalten Porzellanschemel gesetzt und ihn somit zertrümmert, während Miss Telfair beobachtend, betend und wachsam das Unglück vorausahnend hätte zuseh'n müssen, ja, so ein Mannskerl hätte Hölle bedeutet, Hölle für die Wedgewood-Teller, die Dresdner Vasen und die Delfter Schalen, und die begrabenen Könige der alten Ming-Dynastie hätten sich qualstöhnend in ihren Grüften umgedreht, sooft nur so ein Bulle von einem Mann in die Nähe der teuersten und völlig unbezahlbaren Schätze aus ihrer Epoche gekommen wäre.

Miss Telfair, die selber das zarteste, zerbrechlichste und erlesen unantastbarste Schmuckstück der Sammlung war, empfing ihre beiden Gäste inmitten dieses fabelhaften Wirrwarrs. Sie gab jedem der beiden jungen Männer schnell und kühl die schmale, überzarte Hand mit den hochpolierten Fingernägeln, sie sagte ein paar spröde Grußworte, sie lächelte ein schnelles, helles Lächeln, das spröd, überfein und gemalt war wie eine Porzellansache, ein Lächeln, das in seiner eisigen Starrheit dem Lächeln der Mrs. Pierce glich, aber fragiler, delikater, dünnschaliger war.

Dann wandte sie sich und ging den beiden voran durchs Haus auf die Glasveranda. Die beiden jungen Männer folgten ihr Schritt für Schritt vorsichtig auf dieser Hindernisbahn der tausend Zerbrechlichkeiten, gaben acht, daß sie keins der kostspieligen Sammelsächelchen streiften und gingen behutsam um die großen Vasen und Schalen herum, die überall mit Blumen gefüllt herumstanden, mit riesigen Rosen-, Lilien- und Nelkensträußen, die die Luft mit der klebrigen, schwülen, überwältigenden Süßigkeit ihrer Gedüfte schwer machten.

Die Glasveranda war ein großer, heller Raum, lebendig und golden im prächtigen Sonnenschein, – ein großartiger Aufenthaltsort mit bequem gepolsterten Korbsesseln und Diwanen, aber auch hier war wie überall im Haus die Bewegung erschwert durch die überwältigende Fabelfülle an kleinem, zerbrechlichem, nutzlosem Zierat, und man ging vorsichtig. Auch hier standen überall auf den Tischen und auf dem Boden in großen Schalen Rosen, Lilien und Nelken, auch hier war die Luft duftbeladen und schwer, und durch die Scheiben sah man hinaus auf die samtglatten, von herrlich buntentflammten Beeten klar abgerandeten Rasenstücke, und am Ende des Rasengartens sah man den geometrisch angelegten, mit vielen üppigen und kostbaren Blühgewachsen bestandenen eigentlichen Blumengarten. Es war ganz die Art Blumengarten, es waren genau die Arten von Blumen, die der Vorstellung nach zu einer Frau wie Miss Telfair paßten; die wohlgeordnete, exotische und unnatürliche Fülle des Wachstums gemahnte ein wenig an ein Treibhaus, und selbst die wilde, lyrische Entfaltung der süßen, unordentlichen Natur war in Formen gebändigt, die mit dem elegant-spröden Vorbild von Miss Telfairs Leben übereinstimmten.

Sie ging voran zu einem Balkontisch, auf dem ein großer, lichterloher, duftender Strauß stand. Um den Tisch herum waren behagliche Korbsessel und ein bequemes Sofa aufgestellt. Sie setzten sich, und ein Dienstmädchen brachte den Tee. Alles, was mit diesem Tee zu tun hatte, war fragil, preziös und elegant und überhaupt ganz wie die Hausherrin; außerdem war es wunderbar, reichlich und großzügig in seinem Überfluß, und auch das entsprach vermutlich dem Wesen dieser Frau. Es gab delikates, kleines Feingebäck, viereckige, krustige Dingerchen, die so knusprig, saftig und duftig waren, daß sie einem im Mund zerschmolzen, und außerdem kleine, rechteckig und in Würfel geschnittne Sandwiches, lecker und zierlich, zwar winzig, aber ungeheuer gut. Miss Telfair erkundigte sich bei ihren Gästen, ob sie heißen Tee oder Eis-Tee oder aber Whisky wollten. Es war ein heißer Tag; Joel entschied sich für Eis-Tee und lehnte den Whisky ab. Eugen bat ebenfalls um Eis-Tee. Sie goß den Tee für die beiden in wunderbare, hohe, dünnwandige Gläser, die mit hellen Eissplittern gefüllt waren, und gab je ein frisches Minzenblatt und eine Zitronenscheibe dazu; sie tat das geschickt und schön mit ihren kleinen, schnellen, porzellan-lieblichen Händen, und dann wandte sie sich leicht und kühl lächelnd an Eugen und erkundigte sich auf ihre spröde, schnittige Art, in der irgendwie Güte und Freimut waren:

»Wollen Sie nicht ein wenig Whisky dazu?« Und als er zögerte, zu zweifeln schien und doch ein williges Gesicht machte, setzte sie hinzu: »In Ihren Eis-Tee, wenn Sie ihn so gern trinken ...?«

Er sah sie ein wenig betreten an und meinte unsicher:

»Ich weiß nicht ... geht das denn zusammen?«

Miss Telfair lehnte den Kopf zurück, ihre Wangen hatten den Ton von rosig bemaltem Porzellan, und sie lachte ein dünnes, metallisches und dennoch musikalisches und freundliches Lachen.

»O ja!« rief sie heiter und feurig, »das geht zusammen! das geht sehr gut zusammen!« Etwas ernster setzte sie hinzu: »Ja, Whisky schmeckt sogar wirklich sehr gut so«, und dann fragte sie spröd, aber durchaus ermutigend mit ihrem feuerhellen Porzellanlächeln: »Warum versuchen Sie's nicht mal?«

Eugen blickte Joel zweifelnd an, er wußte nicht, was er tun sollte, denn er wollte den Freund nicht in Verlegenheit bringen. Joel gab mit seinem eifrig-strahlenden Lächeln den Blick zurück, schüttelte drollig ablehnend den Kopf und erklärte:

»Für mich kommt das nicht in Betracht. Aber Du mußt es ganz nach Deinem Belieben halten. Versuch es also, wenn Du magst – –«

»Nun – dann ...« Er willigte ein, und Miss Telfair nahm leichtlächelnd eine Flasche Scotch Whisky vom Tablett, entkorkte sie und goß einen Schuß – und zwar einen guten, ordentlichen Schuß – in Eugens Glas. Und als er ausgetrunken hatte, machte sie ihm nochmals einen Eis-Tee fertig und gab wiederum einen tüchtigen Schuß Scotch dazu.

Das regte an und löste; es ward Eugen behaglicher zumut; sie kamen schnell und leicht ins Gespräch, und er unterhielt sich gut. Miss Telfair war eine gescheite, hurtige, kühle, interessierte Person, sie wahrte durchaus ihren Abstand zu Menschen und Dingen und war dennoch freundlich; sie war gleichzeitig kühl belustigt und doch neugierig. Sie erkundigte sich nach Eugens Universitätstätigkeit, wollte wissen, was er unterrichte, was für Leute in seine Klassen kämen, was für eine Art Leben er in New York führe, und fragte ihn auch nach seinem Schauspiel. Ihre abstandwahrende, kühle Neugier erinnerte ihn an jene der Mrs. Pierce, – es war dies wohl die Art, in der sich Frauen aus abgeschlossenen, bevorrechteten Kreisen nach den Geschöpfen erkundigen, die ›da drunten‹ in der großen, namenlosen Welt von Staub und Lärm und Daseinskampf und Geschwiemel lebten, – aber Miss Telfairs Neugier war freundlicher und bemühter als die der Mrs. Pierce, und es war auch eine gewisse menschliche Wärme in ihrem Interesse.

Sie war offenbar Joel sehr zugetan; ihre Beziehung zu ihm war die einer älteren, unverheirateten Familienfreundin, die so intim und nahbekannt ist, daß sie eigentlich schon zur Familie zählt, und die für die Kinder des Hauses ganz so viel Zuneigung und Teilnahme aufbringt, als wären sie ihr blutsverwandt. Miss Telfair wandte sich nun an Joel und sprach mit ihm über einen Wandschirm, den er für sie malte. Wie vorauszusetzen war, wußte sie in den Dingen dieser dekorativen Malerei durchaus Bescheid; sie sprach über Joels Arbeit mit der Genauigkeit einer Autorität auf dem Gebiet, mit der Sicherheit und Urteilsüberzeugtheit der Sachkundigen, sie sagte ihm kurz und bündig, klipp und klar auf ihre spröde, schnittige Art, was sie von der Leistung hielt, und Joel hörte ihr begierig zu, das hagere Gesicht emporgehoben, ihr aufmerksam hingegeben und respektvoll zugewandt.

»Das mittlere Stück ist ausgezeichnet, Joel, – wirklich erstklassig, überhaupt Deine beste Arbeit, – und ganz entschieden das beste Stück für den Wandschirm. Das rechte Seitenstück ist auch gut, wenn auch nicht so gut wie das mittlere Stück. Der Vordergrund ist da nicht ganz durchkomponiert, nicht ganz ausgewichtet. Ich kann Dir morgen zeigen, wie ich das meine, – aber immerhin, das Stück ist gut und geht an.«

»Und das andre ... das linke Seitenstück?« wisperte Joel beflissen. »Was hältst Du davon?«

»Ich halte es für sehr, sehr schlecht«, erklärte sie kühl und schnittig, »und finde, daß Du da mit Deiner Arbeit abgefallen bist und wohl oder übel das ganze Stück nochmal malen solltest.«

Ein Zucken ging über Joels hageres Gesicht; er zuckte aber nicht vor Schmerz oder Enttäuschung, sondern vielmehr, weil er in seinem heftig-begierigen Interesse, in seiner Aufmerksamkeit jäh betroffen war. Unwillkürlich neigte sich der lange, dünne Oberkörper nach vorn, und die großen, schönen, knochigen Hände auf den Knien bogen sich nach auswärts.

»Aber warum, Madge? ... Sag es mir, bitte. Wieso meinst Du, daß ich da mit meiner Arbeit abgefallen bin?« wisperte Joel beflissen.

»Nun«, erklärte Miss Telfair, »zunächst einmal hast Du die Komposition nicht zusammengehalten. Das Bild fällt auseinander und läuft Dir gewissermaßen fort. Du wolltest den Bildaufbau an den des mittleren Stücks anschließen und von dort aus durchführen, ihn von dorther zu einem Abschluß, zu einer Ausrundung bringen. Aber dann ist Dir nichts eingefallen, und da hast Du den Pavillon oder das Sommerhäuschen oder was es ist in die Landschaft gesetzt, weil Du einfach keine abschließende Lösung wußtest.«

»Das Tempelchen gefällt Dir also nicht?« fragte er lächelnd.

»Ich halte es für einen vollkommen gottverlassenen Einfall«, erklärte sie ruhig. »Es steht vollkommen beziehungslos da, – und wirkt einfach furchtbar. Es gibt nichts in der Gesamtkomposition, mit dem es irgend etwas zu tun haben könnte, es steht da, wie ein kranker Zahn in einem guten Gebiß, und in der Farbe ist es grauenhaft ... Nein, Joel, das Ding ist danebengeraten, es wirft das ganze Gefüge um, weil es im Bild keinen Platz hat.«

»Ja ... aber der Hintergrund. Was hältst Du denn von dem?«

»Den halte ich auch für schlecht«, sagte sie, ohne eine Sekunde zu zögern. »Du hast zuviel, viel zuviel Gold drin, beinah doppelt soviel wie in den beiden andern Tafeln, – deswegen ist das Verhältnis der Farbmassen sehr schlecht.«

»Hm«, machte Joel und streichelte sich nachdenklich das Kinn. »Ja«, wisperte er, »ich versteh' schon, was Du da meinst ... Daß das Tempelchen das Bild aus dem Gerück bringen könne, hatte ich nicht bedacht ... es mag sein, daß Du recht damit hast ... Aber«, er lächelte sein strahlend liebenswürdiges und gutherziges Lächeln, »über den Hintergrund bin ich ganz andrer Meinung als Du, Madge ... Ich glaube, da irrst Du Dich; ich möchte mich recht gern mit Dir auf ein ausführliches Argument drüber einlassen.«

»Schon recht!« antwortete sie frisch und durchaus gutwillig, »ich werde morgen 'nüberkommen, und da wollen wir dann den Streit austragen ... Aber ...« Sie schüttelte den Kopf und erklärte spröd und eigensinnig überzeugt: »Ich weiß bestimmt, daß ich im Recht bin, Joel. Der ganze Wandschirm gerät aus den Verhältnissen, weil dieses linke Seitenstück die Einheit stört ... Du solltest das Stück wirklich nochmals malen ...«

Auf diese Art und Weise redeten die beiden eine Zeitlang hin und her von der Kunst, und alsdann erhoben sich Joel und Eugen zum Aufbruch. Miss Telfair war zu ihrem Ton der spröden, etwas beifälligen Freundlichkeit zurückgekehrt und fragte zum Abschied:

»Was tut Ida heut abend? Fährt sie 'rüber zu den Pastons zum Feuerwerk?«

»Ja«, wisperte Joel. »Wir fahren alle. Kannst Du nicht auch kommen?«

»Nein, schönen Dank«, erklärte sie lächelnd. »Das ist alles schön und gut so, daß einem ein bißchen angst und bange wird, und so weiter – – aber öfter als alle fünf Jahre einmal gehn solche Festlichkeiten über meine Kräfte. Bei dieser Hitze möcht ich mich nicht für 'ne Million Dollar in so ein Menschengedränge begeben ... Bitte, sag Ida, daß ich sie morgen zum Lunch erwarte; Irene kommt auch ... Und nun, ... leben Sie wohl«, sagte sie zu Eugen, sah ihn mit ihrem hellen Porzellanlächeln an und verabschiedete ihn mit einem schnellen kühlen Druck ihrer kleinen Porzellanhand. »... Kommen Sie wieder mal hier herauf und besuchen Sie uns, nicht? ... Und bringen Sie Ihr Stück mit ... Und versuchen Sie doch mal, eines Abends um zehn zu Bett zu gehn ... Wirklich«, meinte sie mit einer frischen, kühlen Ironie, »man verliert sehr wenig dabei.«

Draußen auf der Landstraße dann wisperte Joel strahlend vor Staunen und Bewunderung:

»Sie ist einfach unglaublich! ... Meinst Du nicht auch? ... Weiß alles«, fuhr er fort, ohne diese etwas weitgehende Behauptung durch Sonderzusätze einzuschränken. »Schlechthin stupend, was sie weiß und versteht! ... Und dabei so eine nette Person«, meinte er ruhig. »Gehört zu den nettesten Menschen, die ich überhaupt kenne ... ganz das, was 'ne alte Jungfer sein sollte ... – meinst Du nicht auch?«

»Ja. Aber warum ist sie 'ne alte Jungfer? Warum hat sie nicht geheiratet?«

»Hm«, machte Joel nachdenklich und starrte entrückt auf die Straße. »Kann ich nicht sagen ... Sie ist unheimlich reich ... Ungeheuer reich ... sie hat ganze Haufen Geld ... konnte ihr Leben lang tun, was ihr beliebte ... sie ist überall hingereist ... in der ganzen Welt herumgefahren ... und ich nehm an, daß das der Grund sein kann, warum sie nicht geheiratet hat. Sie hat auch wohl nie jemanden gefunden, der ihr gut genug gefiel, daß sie um seinetwillen ihre Art zu leben aufgegeben hätte ... Aber sie ist eine erstaunliche Person ... meinst Du nicht auch?«

»Ja«, sagte Eugen.

Sie gingen weiter auf der Straße, und alsbald sahen sie das große, weiße, baumumstandene Elternhaus Joels vor sich und drunten im Tal im Licht der schon weit im Westen stehenden Sonne den blitzenden, blinkenden Strom. Sie gingen ins Haus.


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