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XV

Eugen war umgezogen, und nun – im Haus der Murphys an der Trowbridge Street in Cambridge – wohnte er zum erstenmal bei Iren. Er entdeckte, daß die Murphys vollkommen anders waren als alle Iren seiner bisherigen Bekanntschaft und nichts von den Eigenschaften besaßen, die er allen Iren zugetraut und an allen Iren für wahr gehalten und vorausgesetzt hätte. Er fand bald heraus, daß die Murphys eine typische Familie von Boston-Iren waren. Es waren ihrer fünf: nämlich Mr. und Mrs. Murphy, zwei Söhne und eine Tochter. Mrs. Murphy stand dem Haushalt vor; das Haus an der Trowbridge Street gehört den Gatten, und sie vermietete Zimmer an »Lodgers«. Mr. Murphy war Nachtwächter in einem Lagerhaus am Bostoner Hafen. Die Tochter war Schreibmaschinenfräulein in einem irischen Geschäft in Boston. Der ältere Sohn, Jimmy, hatte eine Schreiberstelle auf dem Bostoner Magistrat, und Eddy, der jüngere Sohn, den Eugen am besten kannte, studierte auf dem Boston College. Außerdem wohnten, seit Jahren schon, noch zwei weitere Iren im Haus: Mr. Feeney, ein junger Mann, der in Raymonds Warenhaus in der Washington Street in Boston arbeitete, und Mr. O'Doul, ein unverheirateter Mann in den mittleren Jahren, der das Vorderzimmer im ersten Stock, das unmittelbar über Eugens Zimmer lag, innehatte. Mr. O'Doul war Ingenieur, er soff schwer, manchmal lag er tagelang zu Bett mit rheumatischen Anfällen, die ihm die Glieder so verrenkten und verkrampften, daß er sich nicht rühren konnte.

In den Murphys konnte Eugen nicht eine Spur von der Lebensfülle, der übermütig-wildschwärmerischen Mutwilligkeit und dem Humor entdecken, den die Iren, die er zu Haus in Altamont kannte, Leute wie Mike Fogarty, Tim Donovan oder die MacReadys, so sehr besaßen. Die Murphys waren hart, unergiebig, brach, kümmerlich, grausam. Ein wildgewordner und verkorkster »Puritanismus« entstellte diese Katholiken, und trotzdem waren sie furchtbar verderbt. An ihnen und an ihrem Leben war nichts Warmes, Reiches oder irgendwie Spendendes; – es schien, als wären ihnen die Lebenswurzeln in den Mauern und auf dem Pflaster der Großstadt abgestorben; es schien, als wäre all das Wilde, Jähe, Launige, Lustige, Leidenschaftliche und Geheimnisvolle im Wesen der irischen Rasse verdorrt, nachdem diese Leute die magische Erde ihrer Vorfahren verlassen hatten; es schien, als wären das Gefauch und Gezänk der Großstadtstraßen und die wachstumslose Kantigkeit von Backstein und Eisenbeton diesen Leuten in die Seele gefahren. Sogar ihre Sprechweise war hart, grau und schal; die Murphys vermochten fast nichts auszudrücken, und es ist fraglich, ob der Sprachschatz, dessen sie sich bedienten, mehr als dreihundert Worte zählte. Bei den Männern – Murphy, Jimmy, Eddy, Feeney und O'Doul – war es besonders so: sie kamen mit ein paar doofen Wörtern und abgedroschnen Ausdrücken aus, die, in stumpfsinnig-abgewandelter Intonation und von ein paar leicht krampfhaften Arm- und Handbewegungen begleitet, unheimliche Leerläufe des Denkens und Fühlens anzeigend, das Wenige aussagten, was diese Männer aussagen konnten oder auszusagen hatten. Hauptsächlich sagten sie: »Sie wissen ja ...« oder »Sie wissen, was ich meine.« Eugen war auf erfinderische Flüche und heftig-grobe Kraftwörter gefaßt gewesen, und er entdeckte, daß die Murphys da nichts zu bieten hatten, außer »Jesses!«, »Heiliger Jesus!« oder »Christ!« und »Heiliger Christus!« und ganz gelegentlich einmal »Heilige Maria!« Zur Bezeichnung menschlicher Mitgeschöpfe männlichen Geschlechts bedienten sie sich in ausschließlichem Dauergebrauch des widerlich-doofen Wörtchen guy – sprich »gey« –, das ungefähr Kauz bedeutete, aber längst nur noch als Synonym für Kerl, Geselle, Mann, Mensch, Bursche gilt. Dieses Wörtchen guy wimmelte in den Murphyunterhaltungen wie die Pünktchen in einem getüpfelten Kattun. So: –

– »Was für'n guy?«

– »DER guy!« (Handbewegung.)

– »Nah, nah, net DER guy ... der ärmere guy!«

– »Was für'n guy mein' Se (Fingerbewegung) ... den groß'n guy?«

– »Na, na, na, – verkehrt – DEN guy net ... den klein'n guy!«

– »Gehnse fort!« (geringschätziges Lachen) »Gehnse fort!« (Verstummung, kleiner Krächzlaut – häh!) »DER guy kann doch nicht mit'em guy wie d'm Grogan boxen! 'n guy wie der Grogan schlägt so'n guy wie DEN wie nix um. Heiliger Jes's!« –

So, mit Lachen, Widerspruch, Zustimmung, mit allem Zubehör, die die Rede unter lebenden Menschen zu haben pflegt, unterhielten sich die Murphys stunden- und stundenlang. Ganze Abende lang. Jeden Abend von sechs Uhr nachmittags an. Diese gräßliche Travestie auf ein wirkliches Gespräch unter lebendigen Menschen wirkte auf das Gemüt des Zuhörers wie ein unaufhörlicher, kalt-grau-verdrießlicher Nieselregen, wie ein alles Leben erstickender Strom flüssiger Zementmasse.

Anfangs hatte Eugen gedacht, das Ausdrucksgehaben der Murphys sei nur gewissermaßen ein Deckmuster, eine Art Tarnung, die sie angenommen hätten, um den Notwendigkeiten des Lebens und des Beschäftigtseins unter Artfremden und Protestanten zu begegnen, etwa so wie Kellner in europäischen Kontinentalländern ein wenig Englisch können für die britischen und amerikanischen Reisenden. Er war auf diese Vermutung gekommen, weil er etwas arglistig Verschlossenes, etwas spöttisch Verschwörerisches, etwas gehässig Mißtrauisches an den Murphys bemerkte, sobald sie mit Leuten zu tun hatten, die nicht wie sie Iren und Katholiken waren. Er hatte gedacht, sie hätten wohl ein Leben voll Wärme, Geheimnis und Leidenschaft untereinander, ein Leben, in das sie keinen Fremden einließen, fand aber schnell heraus, daß er sich da schwer geirrt hatte. Diese Leute dachten, empfanden und sprachen wie Holzfiguren, wie Automatenmenschen, wie Schaufensterpuppen mit einem eingebauten Sprechapparat, der ein paar banale Redeformeln, einen abgestumpften Jargon von fünfzig bedeutungslosen Wörtern hervorbringt. Wenn sie so stundenlang miteinander redeten, hörte es sich genau an wie das idiotische, ewig dasselbe wiederholende Gekrächz von Klangfetzen auf einem Grammophon, wenn die Nadel in der Schallspur der Platte steckengeblieben ist.

Manchmal pflegte Eugen diese Unterhaltungen zu unterbrechen. Er ging den Korridor hinunter zu dem kleinen trübseligen Wohnzimmer, wo die Murphys sich allabendlich samt ihren beiden irischen Untermietern versammelten. Er tat dies beim Ausgehn, um für jemanden eine Nachricht zu hinterlassen, beim Zurückkehren, um zu fragen, ob jemand für ihn dagewesen sei oder etwas für ihn abgegeben habe, oder auch um seine Miete zu bezahlen.

Sobald er anklopfte, verstummten die Stimmen: nur Flüstern oder ein trocknes leises Gekicher war manchmal hörbar. Im Augenblick rief es dann drinnen: »Herein!« und Eugen stand einem Zimmer voll verstummter, schnell in Empfangspositur gesetzter Gesichter entgegen. Die Männer sagten entweder nichts oder ein Grußwort, scheinbar recht freundlich, aber schnelle schlaue Blicke gingen zwischen ihnen hin und her, und um die Ecken ihrer dünngezognen, harten Münder spielte etwas Loses, Verderbtes, Spöttisches. Mrs. Murphy erhob sich dann und kam ihm grüßend entgegen, eine falsche Herzlichkeit in der Stimme, eine unsaubre Höflichkeit im Wesen, eine gräßliche und kränkende Vorspiegelung von Freundlichkeit im Gehaben, und auch ihr Gesicht machte den Eindruck, als hätte sie es soeben zurechtgelegt und ihm schnell einen frommen Ernst aufgedrückt. Sie hörte ihn aufmerksam an, aber diese Aufmerksamkeit war bösartig heuchlerisch, denn sie tauschte das spöttisch-lose Mienenspiel und die stumm-schlauen Blicke mit den Männern. Dann, wenn Eugen gegangen war und die Tür hinter sich zugemacht hatte, fing entweder ein halblautes Gemurmel an, oder jemand lachte plötzlich heftig-höhnisch auf, oder jemand sagte laut: » Hei-liger Jees's!«

Eugen verachtete sie. Sie waren ihm widerwärtig, weil sie so dumpf, dreckig und unaufrichtig waren, weil sie so dumm, unwesentlich und häßlich dahinlebten, weil sie so absichtlich und schamlos freundlich taten und unfreundlich waren, weil sie mit verschwörerischer Heimlichtuerei sich ausschlossen, und hinter Wällen aus schieberisch-verruchter Politik und bigotter Engherzigkeit sicher verschanzt ihr kleinliches und lästerliches Leben führten und jedem Fremdling mit dumpfstumpfer Feindseligkeit begegneten.

Die Männer waren von einer verdorrten, mägerlichen und rohen Art. Mr. Murphy war ein kleiner Stöpsel, er schien aus Kork gemacht zu sein. Er hatte einen dünnen, eingesunkenen Mund, um den ein lockerer Hohn ständig spielte, und einen kurzgestutzten, grauen Schnurrbart. Eugen sah ihn nie anders als in Hemdsärmeln und Socken, die Beine auf einen Stuhl gelegt. Feeney, O'Doul, Jimmy und Eddy, obschon nach Größe, Form und Alter verschieden, hatten alle die dicke, talgig aussehende Haut, die harten dumpfen Augen und die Angewohnheit, den dünnen, losen Mund beim Sprechen schief zu ziehen, gemeinsam. Mrs. Murphy war, rein körperlich gesehen, die Größte von der Gesellschaft. Sie besaß auch eine gewisse Reife und Fruchtbarkeit des Wesens, die die andern nicht hatten; aber auch diese Reife und Fruchtbarkeit waren sehr vom Meltau mitgenommen. Sie war ziemlich groß und breit, ein schlampiges Frauenzimmer mit silberweißem Haar, was ihr irgendwie ein Aussehen listig-finsterlicher Hexenhaftigkeit verlieh. Sie hatte ein feuerrotes Gesicht mit Ekzemflecken, ihre Stimme war herzhaft, ihr Lachen laut, aber ihre Miene verriet das Falsche, Feindselige und Duckmäuserische ihres Charakters.

In Eddy Murphy, dem jüngsten Sohn, waren noch nicht alle anständigen Impulse abgestorben. Er hatte sich, im Zustand der Verstumpfung und Verkümmerung, eine Freundseligkeit bewahrt, die Rudimente einer Jugendsehnsucht nach einem besseren, wärmeren, kühneren und freieren Leben. Im Lauf der Zeit machte er ein paar linkisch-geschämige undeutliche Versuche, eine Bekanntschaft mit Eugen anzubahnen. Dann und wann einmal erschien er in Eugens Zimmer und erzählte ihm ein bißchen von seinem Leben auf dem College und von seinen Zukunftshoffnungen. Er war ein kleiner Kerl; in der Statur, der Flinkheit und in der fiebrig-dürren, korkartig-schrumpflichen Beschaffenheit schlug er seinem Vater nach. Er gehörte zu den brünetten Iren, hatte dunkles Haar und schwarze Augen. Eines seiner Beine war bös nach außen gebogen; er hatte es, erzählte er, als Schulbub bei einem Fußballwettkampf gebrochen.

Bei seinem ersten Besuch stand er eine Weile scheu, linkisch und mißtrauisch verlegen herum, blökte von Zeit zu Zeit ein paar Worte heraus und starrte die Bücher und Papiere in Eugens Zimmer verdutzt an.

Was er mit all diesen Büchern täte. Fragender Krächzlaut.

»Ich lese sie.«

»Gehnse fort! Sie wollen mich anführen! So viel kann doch 'n guy nicht lesen?!«

Es waren zweihundert, höchstens dreihundert Bücher, aber wenn die ganze Widener Library dagestanden hätte, hätte Eddy auch nicht verdutzter sein können.

»Nun, ich habe sie alle, oder doch wenigstens die meisten, gelesen. Und außerdem sonst noch 'nen Haufen Bücher.«

»Gehnse fort! Spaß beiseite!« Er war baff, konnte es nicht glauben. »Warum wollense so 'ne Masse lesen?«

»Ich lese gern. Sie nicht?«

»Ach ... ich weiß nicht ... Sie wissen ja ...« Das Wort gebrach ihm. Peinlich-verlegne, leichte Schulterbewegung und gleichzeitiges Händezucken. »... Schon recht.«

»Aber Sie müssen doch für den Unterricht im Boston College lesen, nicht wahr?«

»Und ob!!« rief er, plötzlich zum Leben erwacht. »Das kann man schon sagen! Hei-liger Jees's! Da kriegt ein guy was aufgeladen! Ein Verbrechen ist's!«

Betretenes Schweigen. Eddy sah stumm-verwirrt die Bücher an. Plötzlich platzte er heraus, sagte triumphierend ein Sprüchelchen auf: »Shakespeare war der größte Dichter in unsrer Sprache, der je gelebt hat. Er schrieb Schauspiele und Sonette. Ein Sonett ist ein Gedicht zu vierzehn Zeilen; es besteht aus zwei Teilen, der Oktave und dem Sextett.«

»Das ist aber allerhand. Gelt, Sie müssen tüchtig büffeln für den Unterricht?«

»Und ob! Das glaubt einem die falsche Welt nicht.« Pause. Dann plötzlich krampfhaft: »Wissense auch, wer der größte Prosaschriftsteller war?«

»Nein ... Wer denn? Jonathan Swift?«

»Gehnse fort!«

»Addison? ... Dryden? ... Matthew Arnold? ...« fragte Eugen hoffnungsvoll.

»Gehnse fort! Gehnse fort! Weit daneben!« rief Eddy schadenfroh.

»So? Daneben geraten. Nun, wer ist's denn?«

»Der Kardinal James Henry Newman«, krächzte Eddy triumphierend. »Der isses! ... Der Pater Dolan sagt's ... Jesses! ... Do gibt's nix, was der guy nich' weiß! Der größte lebende englische Gelehrte! ... Newman schrieb die ›Apologia pro vita suo‹ ... Das is' Latein.«

»Nun, ja, jawohl, Newman ist ein guter Schriftsteller«, bestätigte Eugen. Und um auf ein Argument zu kommen, bemerkte er: »Aber Thomas Carlyle ist auch ein guter Schriftsteller.«

»Gehnse fort!« rief Eddy geringschätzig. »Sie woll'n mich anführ'n!« Er schwieg eine Weile. Dann fragte er grinsend: »Wissense auch, warum Se das sag'n?«

»Nein. Warum denn?«

»Weilse en Linkshänder sin'«, erklärte Eddy mit einem herzhaften und gutmütigen Lachen.

»Linkshänder?!? Wieso? Was meinen Sie damit?«

»Oh, so nennen wir sie in der Schul'«, sagte er.

»Nennen Sie wen –?«

»Ei, so'n guy wie Sie. So nennen wir die Protestanten.« Er lachte. »Wir nennen sie Linkshänder.«

Die Bezeichnung, als eine Lebensäußerung betrachtet, die aus einer Welt kam, die allem Fremden feindselig, hart, fanatisch, mißtrauisch gegenüberstand, war unschön und schändlich; trotzdem war auch etwas unwiderstehlich Komisches an der Sache. Und plötzlich lachten Eugen und Eddy laut auf.

Nun war das Eis gebrochen, und die beiden konnten sich leichter verständigen. Eddy kam dann öfter mal 'rein, sprach freier, ungezwungener, natürlicher und brachte auch manchmal seine englischen Schulaufsätze mit, um sich von Eugen helfen zu lassen.

Solcherart waren die Boston-Iren, mit denen Eugen damals zum erstenmal in Berührung kam. Er mußte da oft an Mike Fogarty, Tim Donovan und die MacReadys denken, wilde, lebensvolle, freimütige, mutwillige, weltoffene Naturen, die er in seiner Kindheit gekannt hatte. Sie schienen ihm zu einer größeren und vollkommen verschiedenen Rasse zu gehören. Er dachte, es wäre vielleicht die Herrlichkeit von Erde, Luft und Himmel in Catawba, die den Iren dort die geschöpfliche Reife und Süße des Wesens bewahrt hatte, während ihre Vettern hier in Boston auf dem wurzellosen Asphalt verdorrten, sauer und siech geworden waren in dem wüsten Straßentumult, hart und häßlich und tot in dem brachen Land.

 

Die einzige Person im Haus, mit der Eugen gut stand und die er mit ziemlicher Regelmäßigkeit sah, war ein chinesischer Student, namens Wang. Mr. Wang hatte das Zimmer nebenan, oder genauer: die beiden nächsten Zimmer, denn er war sehr reich, Sohn eines Mandarins, der in China Provinzialgouverneur war.

Mr. Wangs Gepflogenheit und Führung stand in auffallendem Gegensatz zu der des Durchschnittsasiaten, der eine amerikanische Universität besucht. Diese andern, beflissene Sucher nach Kenntnis, waren gekommen, um zu arbeiten. Mr. Wang, ein fauler, gutmütiger Taugenichts mit mehr Geld, als er ausgeben konnte, war gekommen, um sich zu amüsieren. Und das tat er mit ganzem Herzen und mit einer Ergebenheit, die eines besseren Zieles würdig gewesen wäre. Er vergnügte sich auf einfache, aber kostspielige Weise, kaufte sich blumige, seidene Hausmäntel, seidene Hemden, sehr teure, im Stil der Brodway-Lebemänner geschnittene Maßanzüge. Fünfpfundschachteln von Schokoladekrem-Pralinen, die er maßlos gern aß, Hunderte von Grammophonplatten, er machte Wochenendreisen nach New York, gab fürstliche Bankette in einem teuren chinesischen Restaurant in Boston und trieb wohl auch allerlei gesellschaftlichen Aufwand mit »nett flett Gör«. Das aussprachliche flett bezog sich auf eine für den Wollüstling Mr. Wang an ›netten Gören‹ unerläßliche Eigenschaft, nämlich fett.

Mr. Wang selber war ein fettes, faules, dummes und gutmütiges Kind. Seine beiden Zimmer im Haus der Murphys hatte er sich selber eingerichtet mit geschnitzten Tiekholzmöbeln, prächtigen Wandschirmen, schönen Truhen, üppigen Diwanen und weichen Sofas. In diesen Räumen glomm immer das Licht lüstern gedämpfter Lampen, es roch dort stets nach Sandelholz und Weihrauch, und manchmal erschallte von dort Mr. Wangs plötzliches, schrill aufkreischendes kindisches Gelächter. Er hatte zwei Busenfreunde – junge Chinesen, anscheinend ebenso reich, faul und vergnügungssüchtig wie er –, die jeden Abend zu ihm kamen. Dann konnte Eugen die drei in ihrer fremdartigen Muttersprache babbeln und schnattern hören. Plötzlich wurde es leis nebenan: Getuschel, dann aufkreischendes Gelächter.

Eugen war mit dem Chinesen recht gut bekannt. Mr. Wang war zu ihm gekommen um Hilfe bei der Abfassung englischer Aufsätze, die er für seine Kurse auf der Universität machen mußte. Wang war nicht nur dumm, er war auch durch und durch faul und arbeitete überhaupt nichts. Eugen hatte ein paar Arbeiten für ihn geschrieben, und Mr. Wang hatte ihn in dankbarer Erkenntlichkeit ein paarmal zum Nachtessen eingeladen in sein chinesisches Leibrestaurant, wo die beiden prächtig tafelten, und wo es für Eugen fremde, ganz köstliche und erlesene Genüsse gab. Außerdem drängte ihm Wang ständig Schokolädchen und teure Zigaretten auf. Und schließlich, ganz gleichgültig, wo er ihn traf, im Haus der Murphys, auf der Straße oder im Harvard Yard, Wang begrüßte Eugen immer mit einem Scherz – einem Scherz, den er aber- und abermals wiederholte, sich jedesmal aufs neue wie ein Kind oder ein Idiot darüber freuend. Der Scherz war dieser: Wang kam schlau angeschlichen, das feiste Chinesengesicht schon von Heiterkeit bewegt, die feiste Kehle bereits von hysterischem Lachen bebend, schüttelte den gezückten Zeigefinger und sagte:

»Gest Nacht ich Sie seh mit nett flett Gör ... ji, ji, ji ...« Er kreischte vor Lachen, während Eugen protestierte, und beschrieb wollüstig-füllige Kurven mit seinen fetten Chinesenhänden. »... nett flett Gör wie dies ...« Er kreischte vor Heiterkeit, bog sich vor Lachen, erstickte schier vor Lachen, stampfte auf vor Lachen. »... nett flett Gör ... wie dies ... ji, ji, ji, ji, j ...«

Wang hatte diesen Scherz so oft und in so unpassenden Augenblicken gemacht, daß es nachgerade peinlich war. Scheinbar ganz besonders ergötzte es ihn, sich gerade dann zu nahen, wenn sein Opfer sich ernsthaft mit einer würdig aussehenden Person unterhielt. So hatte Wang Eugen bereits dreimal ertappt, einmal im Gespräch mit Dodd, einmal im Gespräch mit Professor Hatcher und schließlich einmal im Gespräch mit dem steifgestärkten Professor Fust, der seit dreißig Jahren an der Universität über amerikanische Literatur las. Es gab keine Möglichkeit, Mr. Wang von seinem Scherz abzubringen. Einwand und Protest erreichten das Gegenteil: kindlich beglückt darüber, daß er Verlegenheit verursachte, suchte er dann sein Scherzlein noch öfter anzubringen, und erneuten Vorstellungen begegnete er abwehrend und hingerissen erheitert mit kreischendem Gelächter und einem »Ji, ji, ji ... nett flett Gör ... wie dies«. Und seine vollfetten Chinesenhände erschufen vollfette Weiberformen in der Luft.


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