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LXXXI

In jener Nacht schlief Eugen wenig. Der Vorfall im Lokal, die Folgen, die Starwicks Streit möglicherweise nach sich ziehen konnte, ließen ihm keine Ruh. Das Geschehne schien ihm phantastisch, dünkte ihn unglaublich, lag auf ihm wie ein Alp. Bei Tagesanbruch stand er auf, ging zum Fenster, starrte ins graue Licht, das gerade über die Dächer und Schornsteine von Paris heraufkam. Hager, fahl, zitronenfarben standen die alten Gebäude in der ersten Helle, standen sie klar und nüchtern in der wunderbaren, schlichten Sachlichkeit des Tagens und der Morgenfrühe, und als Eugen sie ansah, da schienen ihm die grellen Lichter, die Musik und die betrunkenen Stimmen, schien ihm der Streit mit dem kleinen Franzosen, schien ihm die ganze seltsame und arge Alchimie der Nacht noch weiter entrückt, unwirklicher und traumhafter als zuvor. Konnte das geschehn sein? War Starwick wirklich zum Zweikampf gefordert worden? Dachte Starwick im Ernst daran, sich zu schlagen oder zu schießen?

Eugen machte sich fertig, zog sich an. Mit trocknen Lippen und einer merkwürdigen, tauben Leichtigkeit in den Gliedern ging er hinunter auf die Straße. In der Rue Bonaparte rief er ein Taxi an. Die Morgengeräusche – Rolläden wurden hochgezogen, Scheuerfrauen schruppten auf den Knien die Hauseingänge, Geschäfte wurden aufgemacht – alles das trug dazu bei, daß die vergangne Nacht noch unwirklicher erschien.

Als er ins Atelier kam, war jedermann bereits auf. Ann war beim Kaffeekochen, sie machte Rühreier zum Frühstück. Elinor kämmte sich gerade, Starwick war noch droben auf dem Balkon. Während Elinor sich das Haar machte, unterhielt sie sich mit ihm, der von droben her antwortete.

»Aber Frank«, sagte sie, »so töricht bist Du denn doch nicht, daß Du das tust! Du glaubst doch sicher selber nicht dran! Du beabsichtigst doch nicht, Dich zu schießen oder zu schlagen?«

»Ace«, kam es kalt von oben. »Gerade das! Durchaus!«

»Aber – oh! Sei doch kein Esel!« rief Elinor ungeduldig. Mattlächelnd, die Stirn herunterrunzelnd, sich auf die Lippe beißend, mit einem leichten Kopfschütteln wandte sie sich an Ann und rief staunend aus:

»Ist das nicht unglaublich?! Hast Du je im Leben so was Irrsinniges gehört?!«

Sie hatte den Unterkiefer gespannt, während das matte Lächeln um ihre Mundwinkel spielte, und das drückte jene grimme Entschlossenheit aus, die die drei andern an ihr kannten.

Als Eugen eintrat, hatte sich Ann, den Löffel in der Hand, vom Herd umgedreht. Sie stand da und sah ihn eine Weile mürrisch an. Plötzlich lachte sie ihr kurzes, zürnendes Lachen, wandte sich an Elinor und sagte:

»Gott! Und da ist der Sekundant! Machen die zwei nicht ein Paar!«

»Aber mein Lieber«, rief Elinor mit leichtem, heiterem Spott. »Wo ist denn der Zylinderhut? Wo sind die gestreiften Hosen und der Vormittagsrock? Wo der Duellkasten mit den Revolvern? ... Allright, Monsieur d'Artagnan«, rief sie ironisch zum Balkon hinauf. »Euer Freund Monsieur Porthos ist eingetroffen ... Und das Frühstück ist fertig, Darling! ... Wie war doch dieses Sprichwort wegen einer Armee?« fragte sie schein-unschuldig. »Lautet es nicht so, daß eine Armee nicht mit leerem Magen in die Schlacht ziehn sollte? ... Ahem!« sie räusperte sich. »Werden Monsieur d'Artagnan geruhen, am Morgen des großen Waffengangs sein Frühstück in Gesellschaft zweier schwacher Frauen einzunehmen? ... Oder ziehen Monsieur es vor, mit dero ergebnem Sekundanten allein gelassen zu werden, um die – ahem! ahem! ... die letzten Vorvereinbarungen zu besprechen?«

Starwick antwortete erst, als er die Stufen herunter ins Atelier gekommen war.

»Ihr könnt bleiben, wenn Ihr wollt«, sagte er gleichgültig. »Ich werde ohnehin nichts zu bereden haben.« Er wandte sich an Eugen und sagte mit erlaucht-gelangweilter Gemüdetheit: »Frage, was der Mann von mir will. Laß mich wissen, was verlangt wird.«

»A-aber was soll ich denn sagen, Frank? Was soll ich denn den Vertretern von Dir aus mitteilen?«

»Sage, was Du willst«, entschied Starwick gleichgültig. »Irgend etwas. Sage, daß ich bereit bin, mich dem Mann zu stellen, wo und wie und wann und unter was für Bedingungen er es möchte. Laß die andre Seite diese Sachen erledigen.«

Er griff nach dem Besteck und fing an, seine Orange auszulöffeln.

»O Frank, Du Blödel!« rief Elinor, packte Starwick an den Haaren und schüttelte ihn. »Sei nicht so dumm! Du weißt genau, daß Du mit dieser Farce nicht ernst machen wirst.«

Er hob die Augen. Ruhig. Geduldig verdrossen. Er sah Elinor an.

»Bedaure!« sagte er. »Aber ich muß das. Wenn es das ist, was er von mir verlangt, muß ich es tun. Soviel wenigstens bin ich dem Mann schuldig. Wirklich, weißt Du.«

Gefrühstückt wurde dann in einer peinlich unbehaglichen Stille, die nur durch Elinors bösartige Anspielungen unterbrochen wurde. Starwick bewahrte seine verdrossene, unempfindliche Ruhe.

Gegen zehn Uhr hörte man draußen auf dem Hinterhof Schritte, jemand kam in den Hausflur, ging die Stufen herauf, die Atelierschelle schrillte. Die beiden Frauen wechselten unbehagliche Blicke. Starwick stand ruhig auf und wandte sich ab. Einen Augenblick später rief Elinor laut »Entrez!«

Die Tür ging auf, und ein Mann trat ein. Der Mann trug gestreifte Hosen, die des Bügelns sehr bedurften, und hatte einen ausgefransten, abgeschabten Gehrock an. Unterm Arm hatte er eine Aktenmappe. Er war glatzköpfig, fahlgelb, ungefähr fünfundvierzig Jahre alt, hatte ein kleines Schnurrbärtchen und verstohlene Augen. Er sah die vier Leute im Raum nacheinander schnell und scharf an, dann erkundigte er sich:

»Monsieur Star-u-ihk?«

»Ace«, sagte Starwick und wandte sich um.

»Ah, bon!« sagte der kleine Franzose munter, lächelte und zeigte seine gelben Stoßzähne. Er war leicht nach vorngebeugt dagestanden und hatte gewartet, die Aktenmappe begierig in den dünnen Fingern haltend. Nun trat er schnell näher, zog eine Karte aus seiner Brieftasche, reichte Starwick mit einer etwas schnörkelhaften Handbewegung die Karte und sagte:

»Monsieur, permettez-moi. Ma carte.«

Starwick überflog die Karte mit einem gleichgültigen Blick und wollte sie gerade auf den Tisch legen, als ihn der kleine Franzose in dieser Bewegung unterbrach. Seine dünne, ziemlich schmutzige Hand ausstreckend, sagte er höflich, aber dringlich:

»S'il vous plaît, monsieur!« nahm die Karte und steckte sie zurück in seine Brieftasche.

Starwick deutete auf einen Stuhl und sprach:

»Wollen Sie nicht Platz nehmen?«

Von nun an fand die Unterredung in einem Gestoppel aus Französisch und Englisch statt. Der kleine Franzose setzte sich, zupfte seine gestreiften Hosenbeine vorsichtig ein wenig hoch, legte dann die Finger gebogen, die Fingerspitzen angestemmt auf seine knochigen Knie. Er neigte sich leicht nach vorn, lächelte abermals schmeichlerisch sein etwas widerliches Lächeln und fragte:

»Monsieur Star-week ees Américain?«

»Ace«, sprach Starwick.

»And was at Le Rat Mort last night?«

»Ace«, sprach Starwick.

»Et Monsieur?« Er nickte Eugen fragend an. »Vas also zere?«

»Ace«, antwortete Starwick.

»Et Mademoiselle ... et Mademoiselle«, er wandte sich höflich fragend an die beiden jungen Frauen. »Zey vere also zere?«

»Ace«, sprach Starwick.

»Ah, bon!« rief der kleine Franzose aus, nickte heftig, machte ein vollkommen befriedigtes Gesicht. Er hatte somit herausgebracht, daß Starwick Amerikaner war, daß Starwick, daß Eugen, daß die beiden jungen Frauen in der vergangenen Nacht in einem Lokal, genannt: ›Le Rat Mort‹, ›Die Tote Ratte‹ gewesen waren. Nun rieb sich das Männlein munter die kleinen, knochendürren, trockenen Hände, nahm alsdann die kleine, abgenutzte Aktenmappe, die er bisher fest zwischen die Knie geklemmt gehalten hatte, löste die Riemen, schnappte das Schloß auf und zog ein paar Bogen grellgelben Papiers heraus. Diese Bogen waren bedeckt mit Notizen in einer feinen, winzig kleinen Handschrift.

»Monsieur«, begann er, räusperte sich, raschelte eindrucksvoll mit den dünnen Papierbogen. »Monsieur, I s'ink ...«, er sah Starwick schmeichlerisch, schlau, verständnisinnig an. »Monsieur, I s'ink, perhaps, was ...« Er zuckte leicht die Achseln, die Miene wurde ein wenig geringschätzig. »Monsieur vas – drink-ing?«

Auf diese geradebrechte Frage, ob er getrunken habe, antwortete Starwick nicht gleich. Er errötete, senkte das Haupt, und im nächsten Augenblick sagte er kalt, in einem Ton, der zwar feststellt, deswegen aber nicht das geringste zugesteht oder gar einräumt:

»Oui! C'est ça, monsieur!«

»Ah-h« rief der kleine Franzose wieder aus. Er kakelte ein trocknes, kleines Gackern der Befriedigung. »– an' ven one drink – espeecialee, monsieur, ven we are yong –«, wieder das schmeichelhafte Lachen, »– he sometime do an' say some t'ings zat he reegret – eh?« Somit hatte er der Meinung Ausdruck gegeben, daß man beim Trinken, besonders wenn man jung ist, manchmal Dinge sagt und tut, die einen reuen. Der kleine Franzose hatte seine Bemerkung mit dem Fragelaut »Eh?« abgeschlossen, und an diesem Punkt der Unterhaltung sprang Elinor ein.

»Aber freilich!« rief sie schnell, ungeduldig begierig. »Genau das war's! Frank hatte getrunken, das Ganze geschah wie ein Blitz, jetzt ist alles vorüber, wir bedauern das Ganze, jedermann bedauert, es war wirklich ein bedauerlicher Vorfall, es tut uns leid, wir bitten um Entschuldigung!«

»Aber keineswegs!« rief Starwick ärgerlich errötend und sah Elinor grollend an. »Keineswegs! Ich pflichte Dir nicht bei!«

»Ach Frank, Du Blödel! Sei still! Laß mich diese Sache in die Hand nehmen.« Sie wandte sich an den kleinen Franzosen und sagte schnell und glatt und mit ihrer ganzen beschwätzerischen und einschüchternden Überredungsgabe:

»Monsieur, was können wir tun, um diesen bedauerlichen Vorfall, diesen Fehler, wieder gutzumachen?«

»Comment?« fragte der Franzose. Sie hatte englisch gesprochen, und er hatte offenbar kein Wort verstanden.

»Monsieur Starwick«, erklärte Elinor wieder mit beschwätzerischer Überredungsgabe, »Monsieur Starwick – comme vous voyez, monsieur – est très jeune. Il a toutes les fautes de la jeunesse. Mais il est aussi un homme de grand esprit, de grand talent. Il a le tempérament d'un artiste, d'un homme de génie. Comme un Français, monsieur, vous ...«, flocht sie schmeichelnd ein, »... vous connaissez cette espèce d'hommes. Vous avez qu'ils ne sont pas toujours responsables de leurs actes. C'est comme ça avec Monsieur Starwick. Il est de bon coeur, de bonne volonté; il est honnête, généreux et sincère, mais il est aussi plein de tempérament – impulsif: – il manque de jugement. Hier soir nous avons tous – comme on dit – fait la noce ensemble. Monsieur Starwick a bu beaucoup – a bu de trop – et il a été coupable d'une chose regrettable. Mais aujourd'hui il se repent très sincèrement de sa conduite.

Il vous offre ses apologies les plus profondes. Il a déjà assez souffert. Dans ces circonstances, monsieur«, schloß sie mit dem Gebaren des reizvollen guten Zuredens, »on peut excuser le jeune homme, n'est-ce pas? On peut pardonner une faute sie honnêtement et sincèrement regrettée.«

Sie hielt inne und lächelte den Franzosen an mit einer Miene hoffnungsvoller Endgültigkeit, ganz so, als sagte sie: ›Na also, da sind wir doch ganz einer Meinung, n'est-ce pas? Nun ja, ich wußte es doch, daß Sie hierin ganz mit mir übereinstimmen, nicht wahr? Also!‹

Aber so leicht ließ sich der Franzose nicht bereden. Er fuchtelte ablehnend mit den dünnen Fingern in der Luft herum, Elinors Worte gleichsam beiseite schiebend, er schüttelte den Kopf, so, als wäre er gar nicht überzeugt, er lachte ein trocknes, bezweifelndes Lachen und erklärte:

»Ah-h I don't know – mademoiselle! Zese apologies!« Mit seinen dünnen, zweifelhaften Fingern schob er abermals die Entschuldigungen beiseite und schickte sich nun an zu sagen, es wäre ja ganz schön, sich zu entschuldigen, aber der Schaden sei geschehn. »Eet ees all ver-ree well to meck apologies ... bot ze – vat you say? – ze dommage! ze dommage is done ...« Er wandte sich gewichtigen Ernstes an Starwick: »Monsieur, you have been coupable of a ver-ree gret offense. Ze – ze – vay you say? – ze assault, monsieur – ze assault ees 'ere in France une chose très sérieuse! Vous comprenez?« Er sagte, Starwick habe etwas sehr Schlimmes getan, der tätliche Angriff sei in Frankreich eine sehr ernste Sache. Er fragte, ob Starwick verstünde.

»Ace«, sagte Starwick.

Und nun sprach der kleine Franzose von seinem Klienten. Von seinem furchtbar verletzten und beleidigten Klienten und kam dann darauf, daß es notwendig sei, »Reparationen zu machen.«

»Mon client –« Der kleine Franzose räusperte sich gewichtig-würdig. »– mon client, Monsieur Reynal, 'as been terriblement blessé – insulté! Monsieur!« rief er scharf aus. »Eet ees necessaree zu meck des réparations, n'est-ce pas?«

Starwick bejahte kalt: »Ace! Was auch immer für Reparationen Sie wünschen.«

Der Franzose starrte ihn einen Augenblick vollkommen erstaunt an, und dann rief er erregt und gierig aus:

»Ah, bon! Zen you agree?« Dann wäre Starwick einverstanden?

»Vollkommen«, erklärte Starwick.

»Bon! Bon!« sagte das Männchen gierig und rieb sich habsüchtig zufrieden die Hände. »Monsieur est sage – ees, vat you say? – ees ver-ree wise.« Der Herr sei lebensklug, der Herr sei – wie nenne man es drüben? – sehr weise. »Monsieur est Américain – n'est-ce pas? – un étranger – comme vous, mademoiselle – ... et vous monsieur ... et vous, mademoiselle – you are 'ere zu meck ze tour – zu be libre – free – n'est-ce pas? zu avoid ze complications – –«

»Aber wie?« fragte Elinor bestürzt. »Was ist denn? ... Ich versteh' nicht. Was soll denn das heißen? ...« Die Herrschaften seien alle Amerikaner, hatte der Mann gesagt, sie seien wohl hier um ›frei‹ zu sein, um den ›Komplikationen‹ zu entgehn. Und nun fuhr der Franzose fort und versicherte, daß es wirklich besser wäre, den ›Komplikationen‹ zu entgehen, ernstere Folgen zu vermeiden.

»Alors«, ließ er sich vernehmen, »eet ees bettaire to avoid ze complications – oui! Ah«, erklärte er, rückte die Augenbrauen hoch und sah Starwick an, »mais Monsieur est sage ... est très, très sage! C'est toujours mieux de faire des réparations ... et éviter les consequences plus sérieuses.«

»Aber wie?!« rief Elinor abermals. Ihr Staunen wuchs ständig. »Ich versteh' nicht. Von was für Reparationen reden Sie denn?«

»Zese, madame!« sagte der Franzose. Er hüstelte gewichtig, raschelte mit den dünnen Papieren, die er in der Hand hielt, brachte das oberste Blatt nah vor die Augen und fing an zu lesen:

»Pour l'endommagement d'un veston du soir – –: trois cent francs!«

»Was? Was?« sagte Elinor kleinlaut in einem frostigen Ton. »Für ... WAS?«

»Mais oui, madame!« rief der Franzose leidenschaftlich und stieg nun auf den Gipfel sittlicher Entrüstung. »Un veston du soir complet – ruiné, madame! – complètement, absolument ruiné! ... Trois cent francs, monsieur«, sagte er verschmitzt, sich an Starwick wendend, »– c'est pas cher! ... Pour moi, oui! – c'est cher – mais pour vous – ah-h«. Er machte eine wegwerfende Bewegung mit seinen schmutzigen Fingern und lachte höhnisch geringschätzig. »– ce n'est rien! Rien du tout.« Er raschelte mit den dünnen Papieren und las weiter:

»Pour l'endommagement d'une chemise – une chemise, n'est-ce pas, du soir? –« Er blickte fragend auf.

»Aber das ist«, jappte Elinor, »das ist ja –« Sie blickte Starwick staunend an. Starwick sagte nichts.

»Pour l'angoisse mentale ...«, fuhr der Franzose fort.

»Was?« jappte Elinor und blickte Ann an. »Was hat er gesagt?«

»Mental anguish«, übersetzte Ann bündig. Seelenpein. Sie wandte sich an den Franzosen: »Schon gut, wieviel kostet die Seelenpein?«

»C'est cinq cent francs, mademoiselle.«

»Aber dieser Mann..?« rief Elinor. Sie wandte sich mit einer von Erkenntnis bestürzten Miene an Ann. »Dieser Mann ist –«

»Ein Winkeladvokat, ja!« sagte Ann bitter. »Konntest Du das nicht gleich sehn?«

»Ah, mademoiselle«, begann der Franzose mit einer vorwurfsvollen Grimasse und machte eine kleine, geringschätzige Fingergebärde. »– you are –«

»Wieviel? Wieviel wollen Sie?« fragte Ann in ihrem gleichmütigen, tonlosen Französisch.

»Vous comprenez, mademoiselle – –«

»Wieviel?« fragte sie bestimmt. »Wieviel wollen Sie?«

Seine verstohlenen Augen leuchteten auf mit einem jähen Fuchsglitzen gieriger Habsucht.

»Mille francs!« sagte er gierig. »Mille francs pour tout ensemble! ... Pour vous, mademoiselle –«, wieder lachte er höhnisch geringschätzig und machte die wegwerfende Gebärde mit seinen schmutzigen Fingern, »– ce n'est rien – pour moi – –«

Sie stand abrupt auf, ging zum Wandbrett, auf dem ihre Handtasche lag. Sie machte die Handtasche auf, nahm eine Rolle Banknoten heraus, kam zurück, warf die Rolle auf den Tisch vor den Platz des Franzosen.

»Mais, mademoiselle –« stotterte der Mann, außerstand, an einen solchen Glücksfall zu glauben, die Augen in einem hypnotisch-faszinierten Starren wie an die Geldscheine angeleimt.

»Geben Sie mir eine Quittung!« sagte Ann.

»Comment?« fragte er und sah eine Sekunde auf. Er hatte nicht gleich verstanden. Sofort aber rief er: »Ah-h! Un reçu! Mais oui, mais oui, mademoiselle! Tout de suite!«

Zitternd in frenetischer Hast kritzelte er eine Quittung auf einen der gelben Papierbogen, reichte ihr das Blatt, grapste die Banknoten mit zitternder Klaue, stopfte sie in seine Brieftasche.

»Nun gehn Sie!« sagte Ann.

»Mademoiselle?« Er stand hastig scharrend auf, griff krallend nach seiner Aktenmappe und seinem Hut, sah Ann nervös an. »– Vous dites?«

»Gehn Sie!!« sagte Ann. Sie ging langsam auf ihn zu.

Er floh zur Tür hinaus wie eine erschreckte Katze.

»Mais oui ... mais parfaitement ... mais –«, stotterte er. Er wäre beinah die Stufen hinuntergefallen. Er blickte sich nervös-ängstlich um, als er ging. Ann machte die Tür zu, kam zum Tisch zurück, setzte sich wieder auf ihren Stuhl, starrte mürrisch auf ihren Teller, sagte nichts. Starwick war purpurrot im Gesicht; er sah niemanden an, sagte nichts. Elinor machte sich mit ihrer Serviette zu schaffen: sie hielt sie sich vors Gesicht, preßte sie fest auf den Mund. Von Zeit zu Zeit erbebte ihr Bauch, erbebte ihre Brust, erbebten ihre schweren Schultern krampfhaft erschüttert in Zuckungen; sie brachte erstickte, berstende Japp- und Röchellaute hervor.

Es ward zuviel für sie. Mit einem unterdrückten, leisen Aufschrei sprang sie auf, rannte blindlings durch den Raum, verschwand ins Badezimmer, warf die Tür hinter sich zu. Von dort hörten die andern, Lachschwall um Lachschwall, ihr schreiendes, schluchzendes, gellendes Gelächter, bis endlich eine manchmal noch durch erschöpftes Röcheln unterbrochne Stille eintrat. Ann blickte unentwegt mit einem mürrischen, geelendeten Gesicht auf ihren Teller. Und Starwick saß da wie immer: gemüdet, abweisend, empfindungslos, großartig. Sein Gesicht aber war krebsrot.


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