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Die irrende Menschenseele.

Ein schauerlicher Traum sank auf mein Haupt:
Ich kämpft' den letzten Kampf. Ein lähmend Grausen
Schnitt durchs Gebein. Der mühende Atem ging
So schwer, so schwer, in immer bangern Pausen.

Da war der Tod. Er hockt am Bettesrand
Und zupfte ungeduldig an der Decke.
Ihm ist's zu lange, bis der Adern Streit
Zum letzten Zucken sich daniederstrecke.

Dann war es aus. Und das Bewußtsein flog
Nun mit der Seele, die sich losgerungen.
Ihr aber ward ein starkes Flügelpaar,
Daß sie sich wie die Wolken aufgeschwungen.

Sie flog zur Ewigkeit – bis Stern um Stern
Sich herrlich aus dem Dunkel aufgehoben,
Kometen rasten! Ihre Bahn war Blitz!
Wie grell und prasselnd ihre Zacken stoben!

Nun kommen Sonnen! Eine Lichtgewalt,
Mit unerhörtem Blenden vorgequollen.
Ein Tosen brandet, wie in Schlacht und Drang
Kriegswagen rasselnd durcheinander rollen.

Dann sank das alles. Und ein Düstern hob
Sich auf wie eines Mantels Riesenfalten –
Wie Leiber lastend, wie die starre Wucht,
Wenn schwarze Nebel sich zu Bergen ballten. –

Nun jagt die Seele, denn sie will zu Gott.
Wo schlägt zu Gott sich Weg und Pfad und Brücke?
Doch immer Nacht, unausschöpfbar gestaut
Ihr Flügel schlägt die Finsternis in Stücke.

Doch immer Nacht! Nun aber schluchzte auf
Der irrenden Seele hilflos-banges Stöhnen.
Das schwirrt wie Geißeln, und es schrie die Luft,
Die aufgepeitschte, mit den gleichen Tönen.

Das sind auch Seelen! Tausend, ringsumher,
Nein, Millionen, suchend und verloren,
Schreiend nach Gott, in tiefster Irre Qual,
Nach seines Himmels hellen Perlentoren.

Hört's denn kein Gott, wie das Gewimmel schwillt,
Wie Seelen sich auf Seelen notvoll scharen,
Die in dem tauben, tropfenden Düster schon
Fliegen und flattern seit Millionen Jahren. –

So fliegt die Seele mit in dieser Schar –
Und Sehnsucht fällt sie an im wilden Jagen
Nach ihrem Leib – und sie wird jäh und schnell,
Gedankenschnell zur Erde abgetragen.

Da lag der Leib, vom Hügel überdeckt,
Wimmelnd von Würmern, die ihn träg zergraben,
Die Seele schaudert, doch sie weiß nichts mehr,
Will nichts, als eine Heimat wieder haben.

Sie weint und fleht und spricht ihr stärkstes Wort.
Doch bleibt es Staub, darein die Winde gehen.
Das Haus bleibt wüst, es kann kein Lebenshauch
Durch die zerschlagenen Fenster wieder wehen.

Da hub die Seele so zu beten an,
Davon der Himmel Throne wanken müßten.
Zu Lippen ward es, die um Trost und Licht
Dem schlafenden Gott die Hände fast zerküßten.

Doch es blieb Nacht, die keine Hoffnung weiß.
Da fiel die Seele in so wildes Fluchen,
Als müßte sie den Ausgang aus der Pein
In andern Rätselwelten jammernd suchen.

Mit der Unsterblichkeit Verzweiflung stürmt
Der Flüche Meer, das überlaufen wollte,
Aus dem das grausam marternde Geschick
Der Millionen Seelen stöhnend grollte. –

Furchtbarer Fluch, aus dem's wie Blitze geht,
Auch du versinkst! So soll's denn also bleiben?
So soll, sag du es, Gott, der Seelen Heer
Durch Ewigkeiten hilflos weiter treiben?


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