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Die Schwester vom Fluss.

Ich habe dich geküßt, so jung, so wild,
Bin, mein nicht mächtig, vor dir hingesunken.
Ich sah dich nicht und habe doch dein Bild
In meiner Seele Spiegel eingetrunken.

Schwül war die Nacht. Jasmin und Flieder haucht,
Reglose Riesen stehn die schwarzen Tannen.
Vom Fluß herauf die weiße Nixe taucht,
Will seidne Netze um zwei Menschen spannen.

Bringt Wasserrosen wie die Sterne bleich
Und schmückt mein Lieb und singt so süß und leise.
Atmend in Wundern steigt ein Blumenreich
Aus ihres Liedes schwermutsatter Weise.

Da mengt sich Mund mit Mund und Hand mit Hand,
Bis selig keins mehr weiß, was noch das seine:
Ich nehme deiner Lippen Purpurbrand,
Nimm meine Hand, als wäre sie die deine.

Ein Sprosser flötet. Stumme Mitternacht
Kommt langsam aus den Büschen hergegangen,
Setzt sich zu uns und rührt so seltsam sacht
Die Seele an mit morgenkühlem Bangen.

Die Nixe seufzt. Sie muß zum Strom zurück.
Noch hält ihr Blick uns schwesterlich umschlungen.
Dann weicht sie langsam. Hat von Lieb und Glück
Ihr letztes wehes leises Lied gesungen.

Das klang so, wie ein Stern dem andern sagt:
»Ach, Bruder, morgen muß ich niederfallen!«
Und jeder Stern mit dem gequälten klagt,
Und alle Himmel bangend wiederhallen.


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