Poggio Fiorentino
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193.
Von dem Sohne eines Fürsten, der auf Befehl seines Vaters wegen seiner Lästerzunge den Stummen spielen mußte.

Ein spanischer Fürst hatte einst einen erwachsenen Sohn, dessen schändliche Lästerzunge ihm schon den Hass vieler zugezogen hatte. Daher befahl er ihm, nie mehr ein Wort zu sprechen, und der Sohn gehorchte. Bald darauf geschah es, daß beide bei einem feierlichen Gastmahle des Königs, bei dem auch die Königin zugegen war, anwesend waren. Der junge Mann bediente seinen Vater sehr aufmerksam und spielte die Rolle eines Stummen. Die Königin, ein unzüchtiges Weib, hielt ihn für wirklich stumm und taub, und da sie glaubte, daraus Nutzen ziehen zu können, bat sie seinen Vater, er möge ihn ihr überlassen. Als sie seine Einwilligung erlangt hatte, ließ sie ihn bei ihren geheimsten Handlungen zugegen sein, so daß er häufig Zeuge ihrer Unzucht wurde. Zwei Jahre später war sein Vater bei einem ähnlichen Gastmahle zugegen. Der König hatte inzwischen häufig den jungen Mann, den alle für stumm hielten, gesehen. Während er nun die Königin bediente, fragte der König seinen Vater, ob er aus Zufall oder von Natur stumm 196 sei. Der alte Fürst antwortete, keines von beiden sei der Fall, er sei es auf seinen Befehl wegen seiner Lästerzunge. Da bat ihn der König, er möge ihm die Erlaubnis zum Reden geben. Nachdem der Fürst sich längere Zeit dagegen gesperrt und gesagt hatte, ein Skandal würde die Folge sein, erlaubte er auf Drängen des Königs seinem Sohne endlich, zu sprechen, wenn er wolle. Alsbald sagte dieser, zum Könige gewandt: »Du hast eine Frau, die schamloser und liederlicher ist als eine Hure.« Verwirrt verbot ihm der König, weiterzusprechen. Es ist Gewohnheit mancher Menschen, daß sie, wenn sie auch selten sprechen, doch immer beschimpfen.

 


 


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