Poggio Fiorentino
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100.
Sehr hübsche Geschichte von einem Greise, der seinen Esel auf den Schultern trug.

Im Kreise der päpstlichen Sekretäre wurde einmal gesagt: sich nach der Meinung des Publikums richten, heiße sich der schlimmsten Knechtschaft unterwerfen; denn es sei unmöglich, es allen recht zu machen, da jeder nach seiner Weise denke, und der eine dies, der andere jenes für gut halte. Als Beleg für diese Anschauung erzählte einer eine Fabel, 100 die er vor längerer Zeit in Deutschland gelesen und auch gemalt gesehen hatte. »Ein Greis,« berichtete er, »hatte sich mit seinem kleinen Sohne auf den Weg gemacht, um seinen Esel, den er ohne Ladung vorauftraben ließ, auf dem Markte zu verkaufen. Einige Landleute, die auf den Feldern arbeiteten, tadelten, als die drei vorüberkamen, den Greis, daß er den Esel unbeladen lasse, und weder er selbst, der doch seines Alters wegen, noch sein Sohn, der um seiner zarten Jugend willen des Reittiers bedürfe, aufsteige. Da setzte der Greis seinen Knaben auf den Esel und ging selbst zu Fuß weiter. Als andere das sahen, schalten sie über die Dummheit des Greises, daß er seinen Sohn, der doch kräftiger sei, auf den Esel gesetzt habe, während er selbst, hinfällig vor Alter, zu Fuß folge. Der Alte änderte seinen Entschluß, ließ den Knaben absteigen und setzte sich selbst auf den Esel. Aber schon nach wenigen Schritten hörte er sich vorwerfen, daß er seinen kleinen Sohn, ohne Rücksicht auf dessen Jugend, wie einen Diener hinter sich herlaufen lasse, während er selbst, der Vater, reite. Durch diese Worte veranlaßt, ließ er den Sohn zu sich auf den Esel steigen und setzte so den Weg fort. Schon fragten ihn andere, ob der Esel ihm gehöre, und als er bejaht hatte, wurde er getadelt, 101 daß er mit dem Tiere umgehe, als gehöre es einem andern, der Esel sei nicht fähig, eine solche Last zu tragen, es sei genug, wenn er einen trage. Verwirrt durch soviel verschiedene Meinungen, und da er den Esel weder ohne Last, noch mit ihnen beiden als Reitern, noch mit einem allein ohne Schmähungen laufen lassen konnte, verlor der Mann den Kopf, band schließlich dem Esel die Beine zusammen, hing ihn an einem Stock auf, dessen Enden er und sein Sohn auf die Schultern nahmen, und setzte so den Weg zum Markte fort. Als sich nun alle, die ihnen begegneten, ob der Neuheit des Schauspiels den Bauch vor Lachen hielten und über die Dummheit der beiden, hauptsächlich des Vaters, höhnten, geriet dieser in Zorn, und da er am Ufer eines Flusses angekommen war, warf er den gebundenen Esel ins Wasser und kehrte, nachdem er ihn auf diese Weise verloren hatte, nach Hause zurück. So stellte der gute Mann, der es allen recht machen wollte, niemand zufrieden und verlor seinen Esel.«

 


 


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